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Der Löwe von Flandern. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.

Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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hatte schon zwei Stühle herangeschoben und setzte sich mit Meister Rogaert beim Kopfende des Bettes nieder. Der kranke Ritter betrachtete sie voll gespannter Neugierde. Man konnte in seinen Zügen lesen, wie sehr es ihm schon jetzt nahe ging.

      „Laß mich erst ganz ausreden,“ begann Maria, „unterbrich mich nicht und sei vernünftig, lieber Bruder. – Am Abend deines Mißgeschicks rief unser Graf seine getreuen Lehnsleute zusammen und teilte ihnen mit, daß er nach Frankreich reisen wolle, um dem König Philipp dem Schönen zu Füßen zu fallen, und Gwijde von Flandern zog also mit den Edlen nach Compiègne; aber dort wurden sie allesamt gefangen genommen, und nun wird unser Land von den Franzosen beherrscht. Flandern untersteht Raoul von Nesle …“

      Dieser knappe Bericht ergriff den Ritter nicht so heftig, als man hätte erwarten sollen. Er antwortete nicht und schien in tiefes Nachdenken versunken.

      „Ist das nicht traurig?“ fragte Maria.

      „O großer Gott!“ seufzte Adolf, „welche holde Seligkeit hast du Gwijde zugedacht, da er so viele Demütigungen hienieden erdulden muß! – Aber sage mir, Maria, ist auch der Löwe von Flandern gefangen?“

      „Ja, lieber Bruder, Robrecht van Bethune sitzt zu Bourges in Berry gefangen und Herr Wilhelm in Rouen. Von all den Edlen, die mit ihm beim Grafen waren, ist nur einer diesem traurigen Schicksal entgangen – der listige Dietrich.“

      „Nun begreife ich auch die abgebrochenen Worte und die Tränen der unglücklichen Machteld. – Ohne Vater, ohne Verwandte muß die Tochter des Grafen von Flandern bei Fremden Zuflucht suchen!“

      Hell funkelten seine Augen, sein Gesicht strahlte vor Begeisterung, und er fuhr fort:

      „Das teure Kind meines Fürsten und Gebieters ist mein Schutzengel gewesen! Wohl ist sie jetzt verlassen, unglücklich, allen Verfolgungen ausgesetzt; aber eingedenk der Wohltaten des Löwen werde ich über sie wachen wie über ein Heiligtum. O, welch schöne, welch erhabene Aufgabe ward mir zuteil! Wie ist mir nun das Leben wert, da ich es ganz der Dankbarkeit weihen kann.“

      Nach kurzem, tiefem Nachdenken ward plötzlich sein Gesicht finster; flehend blickte er den Arzt an und sprach:

      „O Gott! wie quälend wird nun meine Wunde, wie unerträglich das Krankenlager! Rogaert, werter Freund, o macht mich doch rasch gesund – Gott wird's Euch vergelten, damit ich etwas für sie tun kann, die mich so liebreich in meiner Krankheit gepflegt hat. Spart kein Geld, braucht die köstlichsten Kräuter, die edelsten Arzneien, damit ich aus dem Bett komme, denn hier werde ich fürder keine Ruhe mehr haben!“

      „Aber, Herr van Nieuwland,“ antwortete Rogaert, „die Heilung Eurer Wunde läßt sich nicht beschleunigen, die Natur muß immer Zeit haben, die Wundflächen wieder zu vereinigen. Geduld und Ruhe werden Euch mehr helfen als alle Wundersteine. Aber wir wollten Euch noch mehr sagen. Wißt, daß die Franzosen überall die Herren spielen und mit jedem Tag hochmütiger werden. Bisher haben wir die junge Machteld noch ihren Augen entzogen, aber wir fürchten, sie könnte doch einmal entdeckt werden, und dann kann es geschehen, daß auch sie an Johanna von Navarra ausgeliefert wird.“

      „Heiliger Himmel!“ rief Adolf aus, „Ihr habt recht, Meister Rogaert, man würde sie nicht schonen! Aber was tun? Welch Elend, so da zu liegen, während sie meine Hilfe braucht!“

      „Ich weiß einen Platz,“ erwiderte Rogaert, „wo Machteld in Sicherheit sein würde.“

      „O, Ihr rettet mich aus der Verzweiflung, sagt rasch, wo das ist!“

      „Meint Ihr nicht, Adolf, daß sie im Jülicher Lande bei ihrem Ohm Wilhelm in aller Ruhe bleiben könnte?“

      Bei dieser Frage erschrak der Ritter sichtlich. Sollte er Machteld in fremde Lande ziehen lassen? Sollte er sich selbst in die Unmöglichkeit setzen, ihr zu helfen, sie zu verteidigen? Dazu konnte er sich nicht entschließen, da er sich doch schon innerlich vorgenommen hatte, Machteld persönlich ihrem Vater zurückzugeben und sie vor jeder Kränkung zu bewahren.

      Er bot all seine Seelenkräfte auf, um einen anderen Weg zu finden, ohne daß sie so weit von ihm fort mußte. Als er ihn gefunden glaubte, verklärte die Freude sein Gesicht, und er entgegnete:

      „Wahrlich, Meister Rogaert, dieser Ort scheint mir recht günstig; aber Ihr sagt selbst, daß die französischen Banden über ganz Flandern verstreut sind; deshalb wäre solche Reise für ein Edelfräulein wohl zu gefährlich. Mit einem Geleit stände es noch ärger. Und sollte ich Jungfrau Machteld allein mit einigen Dienern ziehen lassen? Nein! ich muß über sie wie über mein Seelenheil wachen, denn Robrecht van Bethune wird von mir einst seine Tochter zurückfordern.“

      „Aber, Herr Adolf, erlaubt mir zu erwidern, daß Ihr die Jungfrau noch mehr bloßstellt, wenn Ihr sie in Flandern haltet; denn wer soll sie beschirmen? Ihr nicht, – dazu seid Ihr nicht imstande. – Die Herren der Stadt werden es auch nicht tun, sie sind ja Frankreich ergeben. Was würde aus dem armen Edelfräulein werden, wenn die Franzosen es entdeckten?“

      „Ich habe ihren Beschirmer bereits gefunden,“ antwortete Adolf, – „Maria, schick' bitte einen Knecht zu dem Zunftmeister der Wollenweber, er möchte mich besuchen. Meister Rogaert, ich beabsichtige, unsere junge Edeldame unter den Schutz der Gemeinde zu stellen. – Findet Ihr den Einfall nicht gut?“

      „O ja, er ist nicht übel, aber es wird Euch nicht glücken; denn das Volk ist aufgebracht gegen alles, was sich adlig nennt; man darf ihm damit nicht kommen. – Und eigentlich haben sie nicht so unrecht, Herr Adolf, denn die meisten der Edelleute halten zu den Feinden und wollen die Rechte der Gemeinden vernichten.“

      „Das kann mich von meinem Vorhaben nicht abbringen, Meister Rogaert. Mein Vater hat der Stadt Brügge viele Vorrechte verschafft, und der Zunftmeister der Weber und seine Kameraden haben das nicht vergessen. Sollte es mir aber dennoch mißglücken, so werden wir überlegen, wie wir die Jungfrau nach Jülich bringen.“

      Etwa eine halbe Stunde nach dieser Unterredung trat Meister De Coninck, Obmann der Wollweber, in Adolfs Zimmer.

      Ein langes Koller von braunwollenem Tuche, ohne Zierat oder Borten, also gänzlich verschieden von der stolzen Kleidung der Edlen, wallte bis auf seine Füße herab. Man sah, daß der Vorsteher der Weber absichtlich allen Putz mied, um seinen niedrigen Stand anzuzeigen und so Hochmut mit Hochmut zu beantworten; denn dieses wollene Wams umhüllte den mächtigsten Mann von Flandern. Auf dem Haupte trug er eine flache Mütze, unter der seine Haare einen halben Fuß lang über die Ohren fielen. Ein Gürtel hielt die weiten Falten seines Kollers über den Hüften zusammen, und der Griff eines Kreuzmessers blinkte an seiner Seite. Da er ein Auge verloren hatte, war sein Antlitz nicht sehr einnehmend. Ungewöhnliche Blässe, vorstehende Backenknochen und die gefurchte Stirn verliehen seinem Gesicht einen sinnenden Ausdruck. Gewöhnlich fiel nichts Besonderes an ihm auf; wenn aber etwas seine Aufmerksamkeit erregte, ward sein Blick durchdringend und lebhaft; dann leuchtete sein kluger, männlicher Geist aus dem einzigen Auge, das ihm noch geblieben war, und seine Haltung wurde trotzig und stolz. Beim Eintreten betrachtete er wie ein mißtrauischer Fuchs die Menschen im Zimmer und zumal Meister Rogaert; denn er merkte gleich, daß dieser listiger war als die anderen.

      „Meister De Coninck,“ sprach Adolf, „wollet bitte näher treten. Ich habe eine Bitte, die Ihr mir nicht abschlagen werdet; denn meine ganze Hoffnung ruht auf Euch. Aber erst müßt Ihr mir geloben, das Geheimnis, welches ich Euch anvertrauen will, niemandem zu entdecken.“

      „Die Rechtfertigkeit und die Freundlichkeit des Herrn van Nieuwland sind den Wollwebern noch unvergessen,“ antwortete De Coninck, „deshalb mögen Euer Edeln auf mich als einen dankbaren Diener rechnen. Sollte allerdings Eure Bitte den Rechten des Volkes und der Gemeinde widersprechen, so würde ich Euch raten, das Geheimnis für Euch zu behalten und nichts von mir zu verlangen.“

      „Seit wann,“ rief Adolf etwas unwillig, „seit wann, Meister, haben die Herren van Nieuwland Eure Rechte verkürzt? Ihr beleidigt mich.“

      „Vergebt mir, Herr, wenn Euch meine Worte verletzt haben,“ entgegnete De Coninck;


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