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Schloss Gripsholm. Kurt TucholskyЧитать онлайн книгу.

Schloss Gripsholm - Kurt  Tucholsky


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Se­gel­boo­te steck­ten ihre Mas­ten in die graue Luft, und be­la­de­ne Käh­ne ruh­ten faul im stil­len Was­ser. »Guck mal, War­ne­mün­de!«

      »Diß kenn ich scha denn nu doch wohl biss­chen bes­ser als du. Har­re Gott, nein … Da ische den Strom, da bin ich so­zu­sa­gen an groß gie­worn! Da wohnt scha Korl Dü­sig un min oll Wie­sen­dörpsch, un in das nüd­li­che lüt­te Haus, da wohnt Tapp­sier Krö­ger, den sind sol­che net­ten Men­schen, as es auf die­se aus­ge­klür­te Welt sons gah nich mehr gibt … Und das is Ze­na­ter Eg­gers sin Hus, Dree Lin­den. Un sieh mal: das alte Haus da mit den schö­nen Barock­gie­bel – da spückt es in!« – »Auf platt­deutsch?« frag­te ich. – »Du büschan gan­zen mong­kan­ten Mann; meins, den War­ne­mün­der Gie­s­pens­ter spü­ken auf hoch­deutsch rum – nee, al­lens, was Recht is, Ord­nung muss sein, auch inne vier­te Di­men­zi­on …! Und …« Rrrums – der Zug ran­gier­te. Wir fie­len an­ein­an­der. Und dann er­zähl­te sie wei­ter und er­klär­te mir je­des Haus am Strom, so­weit man se­hen konn­te.

      »Da – da is das Haus, wo die alte Frau Brüs­ha­ber in gie­wohnt hat, die war eins so fühnsch, dass ich’n beß­res Zeug­nis ge­habt hab als ihre Groß­kin­der; die wa­ren ümme so ver­schli­chen … und da hat sie von ’n ol­len Wie­dow, dem Schul­de­rek­ter, ge­sagt: Wann ick den Kierl inn Mars hat, ick scheet em inne Ost­see! Un das Haus hat dem al­ten Lauf­mül­ler gie­hört. Den kennst du nich auße Welt­ge­schich­te? Der Lauf­mül­ler, der lag sich ümme inne Haa­ren mit die hohe Ob­rig­keit, was zu die­se Zeit den Lan­drat von der De­cken war, Lan­drat Lud­wig von der De­cken. Und um ihn zu ägen, kauf­te sich der Lauf­mül­ler einen al­ten räu­di­gen Hund, und den nann­te er Lur­wich, und wenn nu Lan­drat von der De­cken in Sicht kam, denn rief Lauf­mül­ler sei­nen Hund: Lur­wich, hin­teh mich! Und denn grien­te Lauf­mül­ler so finsch, und den Lan­drat är­ger­te sich … un da­von ha­ben wi auch im Schohr 1918 kei­ne Re­vo­lut­schon gie­habt. Ja.« – »Lebt der Herr Mül­ler noch?« frag­te ich. – »Ach Gott, nei­en – he is all lang dod. Er hat sich gie­wünscht, er wollt an Weg be­gra­ben sein, mit dem Kopf gra­de an Weg.« – »Wa­rum?« – »Dscha … dass er den Mä­chens so lan­ge als möch­lich un­te­re Röck … Der Zoll!« Der Zoll.

      Eu­ro­pa zoll­te. Es be­trat ein Mann den Raum, der frag­te höf­lichst, ob wir … und wir sag­ten: nein, wir hät­ten nicht. Und dann ging der Mann wie­der weg. »Ver­stehst du das?« frag­te Ly­dia. – »Ich ver­ste­he es nicht«, sag­te ich. »Es ist ein Ge­sell­schaftss­piel und eine Re­li­gi­on, die Re­li­gi­on der Va­ter­län­der. Auf dem Auge bin ich blind. Sieh mal – sie kön­nen das mit den Va­ter­län­dern doch nur ma­chen, wenn sie Fein­de ha­ben und Gren­zen. Sonst wüss­te man nie, wo das eine an­fängt und wo das an­de­re auf­hört. Na, und das gin­ge doch nicht, wie …?« Die Prin­zes­sin fand, dass es nicht gin­ge, und dann wur­den wir auf die Fäh­re ge­scho­ben.

      Da stan­den wir in ei­nem klei­nen ei­ser­nen Tun­nel, zwi­schen den Damp­fer­wän­den. Rucks – nun wur­de der Wa­gen an­ge­bun­den. »Wis­sen möcht ich …«, sag­te die Prin­zes­sin, »warum ein Schiff ei­gent­lich schwimmt. Es wiegt so viel: es müss­te doch un­ter­gehn. Wie ist das! Du bist doch einen stu­dier­ten Mann!« – »Es ist … der Luft­ge­halt in den Schot­ten … also pass mal auf … das spe­zi­fi­sche Ge­wicht des Was­sers … es ist näm­lich die Ver­drän­gung …« – »Mein Lie­ber«, sag­te die Prin­zes­sin, »wenn ei­ner über­mä­ßig viel Fach­aus­drücke ge­braucht, dann stimmt da et­was nicht. Also du weißt es auch nicht. Pe­ter, dass du so ent­setz­lich dumm bist – das ist scha­de. Aber man kann ja­wohl nicht al­les bei­ein­an­der ha­ben.« Wir wan­del­ten an Bord.

      Schiffs­längs – back­bord – steu­er­bord … ganz lei­se ar­bei­te­ten die Ma­schi­nen. War­ne­mün­de blieb zu­rück, un­merk­lich lös­ten wir uns vom Lan­de. Vor­bei an der Mole da lag die Küs­te.

      Da lag Deutsch­land. Man sah nur einen fla­chen, be­wal­de­ten Ufer­strei­fen und Häu­ser, Ho­tels, die im­mer klei­ner wur­den, im­mer mehr zu­rück­rück­ten, und den Strand … War dies eine ganz lei­se, win­zi­ge, eine kaum merk­ba­re Schau­kel­be­we­gung? Das wol­len wir nicht hof­fen.

      Ich sah die Prin­zes­sin an. Sie spür­te so­gleich, wo­hin­aus ich woll­te. »Wenn du käu­zest, min Jung«, sag­te sie, »das wäre ein Zück­zeh fuh!« – »Was ist das?« – »Das ist Fran­zö­sisch« – sie war ganz auf­ge­bracht – »nu kann der Dschung nich mal Fran­zösch, un hat sich do Jah­re­ner fünf in Pa­ris fei­ne Bil­dung bi­e­lernt … Segg mohl, was has­se da ei­gent­lich inne gan­ze Zeit gie­macht? Kann ich mi schon leb­haft vor­stelln! Ümme mit die klei­nen Dirns um­her, nöch? Du bi­scha einen Wüst­ling! Wie sind denn nun die Fran­zö­sin­nen? Komm, er­zähl es mal auf Ly­dia – wir gehn hier rauf und run­ter, im­mer das Schiff ent­lang, und wenn dir schlecht wird, dann beugst du dich über die Ree­ling, das ist in den Bü­chern im­mer so. Er­zähl.«

      »Es schei­nen Frau­en zu sein«, sag­te Ly­dia.

      Die Fäh­re schau­kel­te nicht gra­de – sie deu­te­te das nur an. Auch ich deu­te­te et­was an, und die Prin­zes­sin be­fahl mich in den Spei­se­raum. Da sa­ßen sie und aßen, und mir wur­de gar nicht gut, als ich das sah – denn sie es­sen viel Fet­tes in Dä­ne­mark, und die­ses war eine dä­ni­sche Fäh­re. Die Herr­schaf­ten aßen zur Zeit: Spickaal und He­ring, He­rings­fi­let, ein­ge­mach­ten He­ring, dann et­was, was sie »sild« nann­ten, fer­ner vom Baum ge­fal­le­nen He­ring und He­ring schlecht­hin. Auf fes­tem Land eins im­mer bes­ser als das an­de­re. Und dazu tran­ken sie je­nen herr­li­chen Schnaps, für den die nor­di­schen Völ­ker, wie sie da sind, ins Him­mel­reich kom­men wer­den. Die Prin­zes­sin ge­ruh­te zu spei­sen. Ich sah ehr­fürch­tig zu; sie war ess­fest. »Du nimmst gar nichts?« frag­te sie zwi­schen zwei He­rin­gen. Ich sah die bei­den He­rin­ge an, die bei­den He­rin­ge sa­hen mich an, wir schwie­gen alle drei. Erst als die Fäh­re lan­de­te, leb­te ich wie­der auf. Und die Prin­zes­sin strich mir lei­se übers Knie und sag­te ehr­fürch­tig: »Du bi­scha mei­nen klei­nen Klaus Stör­te­be­cker!« Und ich schäm­te mich sehr.

      Und dann ru­ckel­ten wir durch Laa­land, das dalag, flach wie ein Eier­ku­chen, und wir kram­ten in un­sern Zei­tun­gen, und dann spiel­ten wir das Bü­cher­spiel: je­der las dem an­de­ren ab­wech­selnd einen Satz aus sei­nem Buch vor, und die Sät­ze füg­ten sich gar schön in­ein­an­der. Die Prin­zes­sin blät­ter­te die Sei­ten um, ich sah auf ihre Hän­de … sie hat­te so zu­ver­läs­si­ge Hän­de. Ein­mal stand sie im Gang und sah zum Fens­ter hin­aus, und dann ging sie fort, und ich sah sie nicht mehr. Ich tas­te­te nach ih­rem Täsch­chen, es war noch warm von ih­rer Hand. Ich strei­chel­te die Wär­me. Und dann setz­ten sie uns wie­der über ein Meer­was­ser, und dann roll­ten wir wei­ter, und dann – end­lich!


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