Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig GanghoferЧитать онлайн книгу.
du?«
»Frag nit! Wenn’s ernst wird, kommt er.«
Greimold trat zum Feuer, das beim Hagtor brannte. Der Geißhirt ließ sich unter Dach schicken. Ruglind sagte: »Ich bleib. Du, Hauswirt, mußt sinnen. Mich laß die Scheiter tragen und das Pech schütten.«
So wachten die beiden bis zum Morgen. Bei Anbruch der Dämmerung schlug der westliche Sturm in kalten Nordwind um. Über Hof und Dächer mischten sich wässerige Flocken in den Regen. Der Abend brachte scharfen Frost, und bevor es nach einer windstillen Nacht wieder Morgen wurde, waren die Berge und der Wald verschwunden, und alle Lüfte waren weiß von dicht und ruhig fallendem Schnee.
Als Greimold, der am Morgen die Wache gehalten, in die Herdstube trat, die Kleider von gefrorenem Schnee bedeckt, ließ Jutta, die mit ihrem Strohgeflecht neben dem Feuer saß, die Hände ruhen. »Vater? Sind alle Gesindleut fortgegangen? Weil ich sie nimmer schreiten hör im Hof.«
»Es ist Winter worden, und die Eisblumen sind gewachsen. Die decken allen Boden linder als Maiengras.«
Es huschte wie sinnender Kummer über das Gesicht der Blinden. »Vater? Darf ich nit ein lützel hinaus und die Eisblumen schauen?« Er legte den Arm um die Blinde und führte sie vor das Haus. Die weiße Zenta trabte vor den beiden her. »Wie lind das unter den Füßen ist!« Jutta hob das Gesicht und streckte die Hände. Da konnte sie den Fall der Flocken spüren. »Als tat mich ein Kindl anrühren, das kühle Fingerlein hat!«
Bellend tollte die Hündin in den Schnee hinaus, und mit ihrem weißen Fell verschwand sie völlig im Gestöber.
Greimold winkte den Männern zu, die in der Nähe des Hages schwere Felssteine aus einem Hügel brachen. Sie ließen die Werkzeuge ruhen und standen schweigend.
Jutta schmiegte sich an den Vater. »Stehen sie schon hoch, die Eisblumen?«
»Spannenhoch.« »Meinst du, sie wachsen noch höher?«
»Ja, Kindl, das hoff ich.«
»Aber nit so hoch, daß sie den Weg versperren?«
Greimold fragte lächelnd: »Was für einen Weg?«
»Den vom Jägerhaus zum Gotteslehen.«
»Nein, Kind, den sperren die Eisblumen nit, und täten sie haushoch wachsen!« Während er die Blinde zurückführte ins Haus, blies er die Schneeflocken aus ihrem Haargeringel.
Drüben beim Steinbruch nahmen die Männer die Arbeit wieder auf. Einen Felsblock um den andern wälzten sie aus der verschneiten Erde hervor, die Bausteine für eine feste Mauer, die sie innerhalb des Hages rings um Haus und Ställe errichten wollten. Schon am folgenden Abend mußten sie wegen des starken Schneefalles die Arbeit einstellen.
In dichtem Gestöber fielen die Flocken, Tag und Nacht, eine ganze Woche lang. Als sich der Himmel wieder klärte, lag der Schnee halbmannshoch, eine weite, weiße, undurchdringliche Mauer, die das Gotteslehen schützend umzog und jeden Weg verschloß, der vom Tal zu den Bergen führte. »Jetzt laßt euch die Ruhzeit schmecken!« sagte der Gotteslechner zu seinem Gesind. »Bleibt der Winter so streng, wie er anhebt, so sind wir sicher bis zum Frühjahr.«
Am Abend, als Greimold nach der Mahlzeit noch mit den Hirten um den Herd saß, kam die Helgard aus Juttas Kammer gelaufen. »Hauswirt, komm! Und schau, was das Kindl hat! Ein Zährl ums ander rinnt ihr übers Gesicht. Und das weißt du doch, das Weinen tut ihren Augen weh!«
Erschrocken eilte Greimold in die Kammer. Jutta stand im Lichtschein einer Wachskerze, die in eisernem Ring an der Mauer brannte. Zwischen den zitternden Fingern hielt sie einen dürr gewordenen Halm. Ihre nassen Augen waren weit geöffnet, als möchte sie das Sehen erzwingen, »Kindl? Was hast du?«
»Schau nur, Vater! Sein Knöspl ist abgefallen, und das Hälml ist dürr. Jetzt kann’s nimmer blühen.«
Er streichelte Juttas Haar, nahm ihr den dürren Halm aus den Händen und sagte ruhig: »Sein Blüml wird blühen. Mir kannst du’s glauben. Du verlangst, was wider die Natur ist. Die Sommerblumen müssen schlafen im Grund, solang die Eisblumen wachen.«
Sie nickte.
»Du mußt dich gedulden, bis im Land wieder Maien ist. Das Knöspl ist freilich abgefallen. Aber der Halm hat noch ein Würzl.«
Sie wollte fühlen.
Da sagte er hastig: »Laß mir den Halm! Ich grab ihn unter dem Eisblumenbeet in guten Boden. Im Maien blüht dein Blüml. Gelt, jetzt tu dich nimmer kümmern drum?«
Sie lächelte. Das war nicht ihr stilles, ruhiges Lächeln wie sonst. Es war Glaube in diesem Lächeln, aber auch Verlangen und Sehnsucht.
Greimold ging aus der Kammer. Draußen in der Stube ließ er den dürren Halm in die Flamme fallen. Schweigend saß er und hörte nicht, wenn die Sennen eine Frage an ihn richteten. Als sie die Stube verließen, um ihre Ruh zu suchen, ging er mit ihnen und trat ins Freie.
Klare, kalte Winternacht war um das Haus gelagert. Heftig flimmerten die Sterne, und ein matter Widerschein ihres Lichtes funkelte in den Schneekristallen. In der Stille ein dumpfer, langgezogener Laut. Das ferne Geheul eines hungernden Wolfes. Und jetzt ein Klingen im Tal, hell und hastig: Im Stifte läuteten sie das silberne Zügenglöckl. Da mußte von den Chorherren einer im Sterben liegen.
Dem alten Dietmar Scharsach rann das Leben aus der müden Seele.
In der Kapitelnacht hatten sie den Greis in einer Fensternische des Korridors gefunden, Gesicht und Hände mit vertrocknetem Blut bedeckt. In der Krankenzelle antwortete er auf keine Frage und zerfiel von einem Tag zum andern. Der Medikus sagte: »Ratio profecta a rerum natura. Er ist in einem Alter, in dem man kein Nasenbluten mehr verträgt.«
So lag er eine Woche. Am ersten schönen Tag, als das Schneegestöber versiegte, ging es mit ihm zu Ende. Gegen Abend erwachte er noch einmal aus seinen Fieberträumen. Da wollten sie ihm die heilige Zehrung reichen. Er wehrte sich gegen den Trost der Kirche wie ein eigensinniges Kind sich sträubt gegen bittere Arznei. »Mich hungert nimmer. Ich will den Propst. Den Propst!« Man holte Herrn Friedrich aus dem Refektorium, wo die Chorherren bei der abendlichen Mahlzeit versammelt waren. Als der Propst die Tür der Krankenstube öffnete, klang hinter ihm der heitere Lärm der Schmausenden mit dem Geklapper der zinnernen Schüsseln und in der Zelle vor ihm die Stimme des Sterbenden, dem der Medikus die Hände festzuhalten suchte: »Laß mich, du! Ich will zu meinem Buben.«
»Denke deines Gottes, Dietmar!« mahnte Herr Pabo, der Kaplan, der mit dem Ziborium neben dem Bette stand. »Bekenne deine Sünden!«
»Ich bin kein Heiliger. Ich bin ein Vater und will meinen Buben haben.« Der Kranke fiel zurück auf die Kissen. Schwer atmend bewegte er noch immer die Lippen mit unverständlichem Lallen.
»Hole den Linhart Scharsach!« befahl Herr Friedrich dem Medikus. »Der Vogt soll ihn aus der Haft entlassen.« Zu Pabo sagte er: »Gedulde dich mit deinem heiligen Trost! Ich will dich rufen lassen, wenn der Kranke ruhiger wird. Die Beichte kannst du ihm erlassen. Das ist kein Sünder. Der letzte Gedanke seines Lebens ist väterliche Liebe. Gott, von dem wir predigen, daß er unser aller Vater ist, wird ihm gnädig sein.« Er setzte sich zu dem Kranken auf das Lager. Der schwere Dunst des Räucherwerkes, das sie in die Glut des Kohlenbeckens geworfen hatten, erfüllte beklemmend die Zelle. Die Wachslampe beleuchtete das Lager und den sterbenden Greis. In Erbarmen betrachtete Herr Friedrich das Gesicht des Kranken. Es war abgezehrt bis auf Haut und Knochen, das Fieber hatte die welken Lippen mit weißem Schorf bedeckt, und auf Nase und Wange sah man noch die gelblichen Male des Faustschlages. Dietmars Augen blickten irr und glänzend. Fieberträume schienen um seine erlöschende Seele zu gaukeln. Er begann zu reden, in abgerissenen Worten. Manchmal wurde seine zittrige Stimme zu kreischendem Lallen, und dann schlug er mit den Armen um sich. Es schien, als stritte er im Fieberwahn gegen Feinde, die ihn hart bedrängten. Jetzt sah er ein brennendes Dach und wollte löschen, retten. Nun fing er in Schmerz ein Klagen an, als hätte er das Haupt seines erschlagenen Weibes in den Armen, als lägen die blutigen Leichen seiner Töchter vor ihm. Die Züge entstellt, mit verglasten Augen stemmte er sich von den Kissen auf und schrie: »Mein