Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig GanghoferЧитать онлайн книгу.
hielt den Finger übers Knie und klopfte ihn mit der Faust. Dann nähte er weiter. Nach jedem Stich zog er so grimmig an, daß der Faden sich spannte wie eine Saite. Dabei wurde die Naht so pfriemig wie ein schlecht geheilter Studentenschmiß.
Als die harte Arbeit mit Not und Seufzen vollendet war, begann es schon zu dunkeln. Da sah er am Fenster der Jägerhütte den Lampenschein aufblinken. »So, Bürscherl, bist daheim? Jetzt kommst mir aber grad in Wurf!« Er trug die geflickte Hose und das Nähzeug in die Stube und ging hinüber zum Jägerhaus.
Mazegger kniete vor dem eisernen Sparherd, um Feuer anzuschüren.
»Du? Wo warst denn heut?«
Zögernd erhob sich der Jäger. Er schien es gleich zu merken, daß sich ein Gewitter über ihm entladen sollte. »Der Kammerdiener hat mir einen Brief übergeben. Den hab ich nach Leutasch getragen.«
»So? Da kannst freilich aufs Wild net aufgschaut haben. Aber was hast denn gestern gsehen? Auf der Abendpirsch?«
»Nichts.«
»So? Gar nix? Und gegen Leutasch naus bis gwesen? Im Hämmermoos?«
Mazegger wandte sich zum Herd und nickte.
Da brach das Gewitter los. »Du Lugenschüppel, du gottverlassener! Da schau her!« Der Förster griff in die Joppentasche und warf dem Jäger die Sichel einer Spielhahnfeder vor die Füße. »Da hast dein Federl wieder! Am Steig zum Steinernen Hüttl droben hab ich's gefunden. Warum lügst mich denn so an?«
Brennende Röte war über das bleiche Gesicht des Jägers geflogen. Seine Augen funkelten.
Der Förster betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dabei verrauchte sein Zorn, und er sagte mit ruhigem Ernst. »Toni! Jetzt will ich dir die letzte Verwarnung geben. 's Lugen vertrag ich net. Alles kann ich eim Jager verzeihen, a Jager ist auch nur a schwacher Mensch. Aber 's Maul, wenn er aufmacht im Dienst, muß ich a wahrs Wörtl hören. Und drum sag ich dir's jetzt als dein Fürgsetzter: lügst noch an einzigs Mal, so kannst deine sieben Zwetschgen packen.«
Schweigend starrte der Jäger in die Lampenflamme und nagte an der Lippe.
»So! Und jetzt reden wir noch von was anderm mitanander, weißt, Tonerl, als Mensch und Mensch.«
Mazegger drehte langsam das Gesicht über die Schulter, und seine Augen wurden klein.
»Ich bin dir gut gwesen, Toni, wie ich gut bin zu alle Leut. Oft, wenn du deine gachzornigen Streich so gmacht hast, hab ich mir denkt: trag's ihm net nach, er is verwildert, hat als Kind viel Unglück erfahren, hat d' Mutter hergeben müssen und hat den Vater verloren. Aber wer in verstandsame Jahr kommt, muß in ihm a bißl aufrichten, was bucklet graten is. In dir, Toni, wachst sich was aus, was mir Sorgen macht. Und da fallt dir jetzt noch so an Unsinn ins Blut –«
Der Jäger fuhr auf: »Herr Förster!« Es blitzte in seinen Augen. »Sagen Sie mir meinetwegen als Vorgesetzter, was Sie wollen. Das muß ich anhören. Was über den Dienst hinaus und mich allein angeht, bitt ich in Ruh zu lassen!«
»So?« Dem Förster schwollen an den Schläfen die Adern; seine Stimme blieb ruhig. »So sag ich dir's halt im Dienst: mach du deine Pirschweg und lauf net allweil deiner Narretei nach, statt dem Jagdschutz! Meinst, ich weiß net, warum mich gestern wieder anglogen hast und heimlich beim Steinernen Hüttl droben warst? Ich müßt ein' Eselstritt von einer Hirschfährten net unterscheiden können. 's Fräuln wird auf der Alm droben gmalt haben, und da bist ihr wieder nachgstiegen, Toni! Denk a bißl, wer du bist und wer dös Fräuln is! Ja, schau mich nur an! Und laß mir dös Fräuln in Ruh! Sonst hast es mit mir z'tun! Brock dir a Blüml, dös für dich gewachsen is am Weg! Aber streck deine Hand net aus nach eim Sterndl, dös am Himmel glanzt.«
Mazegger lachte, und ein häßlicher Zug legte sich um seinen Mund. »Ein Sterndl? So? Da muß freilich ein anderer kommen! Vielleicht so einer wie unser gnädiger Herr Fürst? Bieten Sie 's ihm doch an! Er hat ihr gestern eh schon nachspekuliert mit seinen hochfürstlichen Augen –«
Weiter kam Mazegger nicht; eine schallende Ohrfeige schnitt ihm die höhnische Rede ab. Einen Augenblick stand er mit aschfahlem Gesicht. Dann sprang er wie ein wütendes Raubtier dem Förster an den Hals.
»Du! Ah, schau! So einer bist du!« Sie rangen miteinander, und es gehörte die zähe Kraft des schweren Mannes dazu, um die Fäuste von sich abzuwehren, die seinen Hals umschlossen. Ein Ruck, ein Schwung dieser stählernen Arme, und Mazegger taumelte gegen die Wand. »So, du!« Schwer atmend brachte Kluibenschädl den aufgerissenen Hemdkragen wieder in Ordnung. »Über vier Wochen such dir an anderen Dienst! Müßt ich mich net schenieren, daß ich dem Herrn Fürsten den Grund sag, so tät ich dich heut auf d' Nacht noch davonjagen. Dem Herrn Fürsten z'lieb soll's heißen, daß selber kündigt hast! Verstehst? Und solang 's Fräuln am Sebensee draußen is, gehst mir nimmer aussi! Dös sag ich dir!« Er drehte dem Jäger den Rücken und schritt zur Tür.
Leichenblaß und zitternd an allen Gliedern starrte Mazegger ihm nach. Als der Förster schon in der Tür verschwinden wollte, riß der Jäger das Messer von der Hüfte. Er machte einen Schritt. Dann sank ihm der Arm. Er schleuderte das Messer fort und preßte die Faust an seine Stirn.
Das hatte der Förster nicht mehr gesehen. Er stand schon draußen in der Nacht und spuckte aus, als hätte er damit einen symbolischen Punkt hinter die erledigte Geschichte der letzten Minuten gesetzt. Unschlüssig blickte er zum Fürstenhaus hinauf, dessen Fenster hell in den dunklen Abend leuchteten. Ob er nicht doch seinem Herrn den Vorfall melden sollte? Er schüttelte den Kopf zu diesem Gedanken, ging in seine Hütte und zündete in dem finsteren Stübchen die Lampe an. Als er auf dem Bett die geflickte Lederhose liegen sah, nahm er sie und betrachtete beim Lampenschein die wulstige Naht. »Sakra, sakra«, brummte er seufzend vor sich hin, »die wird mich drucken!« Er hängte die Lederhose an den Kleiderrechen und sah sie mißtrauisch noch einmal an. Dann holte er das Geheimnis von Woodcastle aus der Tischlade.
Im gleichen Augenblick kam der Praxmaler-Pepperl zur Tür hereingestürmt, atemlos von einem zweistündigen Dauerlauf. »Herr Förster! Der Hirsch is heut am richtigen Fleck! Wenn der Herr Fürst morgen in der Fruh mit mir aussi marschiert zum Sebensee, kommt ihm der Hirsch auf hundert Schritt.«
»No also, geh nur gleich nauf und mach Rapport!«
Pepperl stellte die Büchse fort und rannte davon. Als er nach einer Viertelstunde zurückkam, berichtete er mit aller Freude, deren er in seiner Erschöpfung noch fähig war: »Morgen kracht's. Der Herr Fürst geht mit. Um zwei in der Fruh wird abmarschiert.« Ans Kochen und Essen dachte er nimmer. So müd war er. Nur den Wecker stellte er. Dann stieß er die Schuhe von den Füßen und warf sich angekleidet auf die Matratze.
Eine Minute, und er schlief bereits. Wohl war ihm droben im Försterhaus der »Schwarzlackierte« begegnet. Aber der Gedanke an des »dumme unbetreute Madl« und am Burgis »armen alten Vater« ging ihm unter in diesem Bärenschlaf seiner Müdigkeit. Und während Pepperl sägte, saß Kluibenschädl bei der Lampe und las im Geheimnis von Woodcastle das spannende Kapitel von Lord Fitzgeralds wunderbarer Rettung. Und die standhafte Liebe der jungen, »berückend schönen« Lady Maud wirkte so zaubermächtig auf das Herz des Lesers, daß er dem Dichter sogar den Tod des armen Lion verzieh.
Er las noch immer, als gegen halbzwei Uhr morgens mit Gerassel der Wecker ging.
»He, Pepperl! Auf!«
Der Erwachende machte große Augen. »Mar und Joseph! Herr Förstner! Halb zwei? Und sie schlafen noch net?«
»Na!« Kluibenschädl wischte sich die Tränen seiner Rührung aus den Augen. »Aber jetzt haben s' anander, der Lord und die Laadi. Jetzt kann ich meine Augen zumachen!« Langsam begann er sich zu entkleiden. »Pepperl, dös Büchl mußt lesen! So was is schön: wenn zwei treue Liebsleut nach aller Gfahr anander kriegen. Da könnt man schier selber wieder ans Heiraten denken!« Er seufzte. »Wenn alle Weibsbilder so wären wie die Laadi!« Trübselig schüttelte er den Kopf und tauchte, während Pepperl in die Schuhe fuhr, bis an die Nasenspitze unter die Decke.
Ein paar Minuten, und Praxmaler war wegfertig. Als er die brennende Kerze in die