Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig GanghoferЧитать онлайн книгу.
sorgenvoller wurde das Gesicht des Jägers. Seinen Herrn aber schien das unfreundliche Bild der Landschaft nicht zu verstimmen. Der wanderte immer zu, versunken in stille Gedanken, mit diesem träumenden Lächeln, mit diesem Leuchten in den Augen.
Schon ein paarmal hatte Praxmaler verwundert umhergeguckt. »A gspaßiger Nebel! Der riecht ja wir der Dampf, der von der Kohlstatt kommt!«
Und was war das für ein Rauschen, fern in der Höhe? Sie hatten noch eine Wegstunde bis zum See, da konnte man doch den Wasserfall des Seebaches noch nicht hören? Und waren denn die Leute auf der Sebenalm verrückt geworden? Sie schrien, daß man's auf eine halbe Stunde weit hören konnte! Nun kamen ein paar Kühe in wilder Flucht gerannt. Und im Wald ein Laut, der den Jäger ganz verblüfft machte: der Pfiff einer Gemse. Das begriff er nicht. Gemsen hier unten im Talwald? So tief steigen sie nicht einmal herunter im schwersten Winter!
»Herr Fürst! Ich weiß net, heut muß was los sein! Da saust a Rudel Gams durch' Wald. Wie kommen die Gams da runter?«
Ettingen drängte mit Ungeduld: »So lassen Sie doch die Gemsen! Ich will nicht jagen heut!«
»Net jagen?« Das war für Pepperl von allen Wundern dieses Morgens das größte. »Ja, sakra, warum steigen wir denn nacher auffi zum See?«
Er bekam keine Antwort. Und da machte sein Scharfsinn einen Gedankensprung. »Ah, da schau!« Hatte nicht gestern der Förster erzählt, er hätte das Malerfräulein zum Sebensee hinaufreiten sehen? Und hatte der Fürst nicht gleich darauf gesagt: »Pepperl, morgen machen wir eine Pirsche zum Sebensee«? Er dachte an jenen Morgen im Blumengarten des kleinen Seehauses, dachte an die drei Hirsche im Geißtal, die ihr Leben dem Malerfräulein zu danken hatten, dachte an jene Gewitternacht in der Waldstube dort oben – und dem Praxmaler-Pepperl ging ein Licht auf. »Ah, da schau!« Schmunzelnd musterte er seinen Herrn. Jetzt verstand er auch das Wort von der Sonne, die heute scheinen würde. »Dös glaubst! Die hat freilich Sonnenschein in die Äugerln! Da kann der Nebel so dick sein, wie er mag!«
Ein sausender Windstoß riß die grauen Dünste entzwei, und man sah den steilen Tejakopf von einer schwarzen Wolke umlagert.
»Duhrlaucht! Schauen S' da auffi! Was is denn dös für a Gwölk? So pechschwarz kann doch kein Wetter net aufziehen?«
Ehe der Blick des Fürsten die Höhe fand, nach welcher der Jäger deutete, hatte der jagende Nebel die Bergspitze mit ihrer finsteren Haube schon wieder verhüllt.
Sie schritten aufwärts durch den steigenden Wald. Da hörten sie wieder von der Sebenalm die schreienden Stimmen. Jetzt blieb auch Ettingen stehen, wie von einer Sorge befallen. »Praxmaler! Was können die Leute nur haben?«
»Ich kann mir's net denken! Und da müssen mehr Leut beinand sein als wie d' Sennleut und der Hüter! Und wie's in der Luft liegt! Als ob's wo brennen tät! Es wird doch ums Herrgotts willen in der Almhütten kein Feuer net ausbrochen sein!«
Da hörten sie das Keuchen eines Menschen und ein Gerappel von Steinen, als käme einer in wahnsinnigem Lauf über den Steig hinuntergerannt.
»Um Christi willen«, stammelte der Jäger, »was is denn?«
Ein Mensch tauchte im Nebel auf. Es war der Sebener Senn. Jetzt stand er vor den beiden, nach Atem ringend, das fahle Gesicht wie mit Ruß bestrichen. Die Augen waren rot verquollen und die Ärmel seiner Joppe von kleinen Brandlöchern durchsiebt, als wäre er durch einen Regen glühender Funken gelaufen. Mit beiden Fäusten packte er den Jäger an der Brust: »Der Förstner? Wo ist der Förstner? Ich muß den Förstner haben und d' Holzerleut.«
Ettingen rüttelte ihn am Arm. »Aber Mensch, so sagen Sie doch, was ist denn geschehen?«
»Der Sebenwald brennt. Der ganze Wald bis übern See auffi, alles an einzigs Fuier! 's ganze Jungvieh droben, alles muß hin sein, alles! D' Höll kann net ärger sein! Und 's Fräuln is droben seit gestern! Jesus! Jesus! Sag mir doch, Jäger, wo is denn der Förstner?«
»Mar und Joseph! Draußen im Tillfuß is er! Lauf Senn, lauf um Himmels willen, was d' laufen kannst!«
Der Senn wollte rennen, doch Ettingen hielt den Arm des Mannes umkrampft.
»So lassen S' doch aus, Herr!« keuchte der Senn. »Ich muß ja um d' Leut!«
Ettingen rang nach Worten. »Gibt es noch einen Weg –«, die Stimme brach ihm, »einen Weg durch das Feuer zum See hinauf?«
»Kein' nimmer! 's ganze Seetal is zu mit Fuier! So lassen S' doch aus!« Gewaltsam befreite der Senn seinen Arm und rannte, mit keuchender Stimme betend: »Vater, Vater unser, der du bist im Himmel –« Er verschwand im Nebel. Und Ettingen umklammerte den Ast einer Fichte, als müßte er eine Stütze haben, um sich aufrecht zu erhalten. Dem Jäger schossen die Tränen in die Augen, als er dieses verstörte Gesicht sah, diesen verzweifelten Blick.
»Jesus! Herr Fürst!«
Ettingen erwiderte keinen Laut. Seine Glieder streckten sich, als wären sie Stahl geworden. »Komm!«
Wortlos eilten sie durch den Wald hinauf und erreichten das Almfeld. Hier lag der Nebel nicht mehr so dicht wie im tieferen Tal. Man sah die Leute, die mit Geschrei umherrannten, um die scheu gewordenen Kühe einzufangen – man sah den Wald und über seinen Wipfeln den schwarzen, von trübem Feuerschein durchflackerten Qualm, der von Wand zu Wand die ganze Breite des Seetals füllte.
Mit brennenden Augen spähte Ettingen durch die Schleier des Nebels. »Nein! Da gibt es keinen Weg mehr! Nicht durch den Wald hinauf!« sagte er mit erloschener Stimme. »Aber einen anderen gibt es! Sie muß sich vor dem Feuer geflüchtet haben, in die Felsen hinauf! Dort müssen wir sie finden! Wir müssen!« Er eilte den steilsten Latschengehängen zu, gegen den Tejakopf, dessen gewaltige Felsenmauer zwischen dem Prantlkar und dem brennenden Seetal aufstieg und in schwarzem Rauchgewölk verschwand.
Erschrocken lief der Jäger seinem Herrn nach. »Mar und Joseph! Duhrlaucht! Wo wollen S' denn hin?«
»Hinauf! Dort hinauf! Durch das Prantlkar und über den Paß – den Weg, den wir neulich gingen, als das Gewitter kam – und die schöne Nacht!«
»Da müssen wir links durch'n Wald und von drunt her auffi!«
»Nein! Ich sehe einen Weg ins Kar, der näher ist. Dort hinauf!« Ettingen deutete nach den Latschenbändern, die schräg über die Felswand emporkletterten gegen die Höhe des Kars. »Da sparen wir eine Stunde!«
Praxmaler wischte sich den Schweiß von der Stirn und stammelte: »Um Gotts willen, Duhrlaucht! Da steig ja ich kaum durch. Sie kommen net auffi!«
»Ich muß hinauf!« Ettingen hatte schon den Latschenhang erreicht und begann zu klimmen.
Ohne Widerrede legte der Jäger alles ab, was er trug, die Büchse, den Rucksack, die beiden Wettermäntel – jetzt brauchte er freie Arme, denn er wußte, daß es um das Leben seines Herrn ging.
Sie kamen zum Fuß der Felswand und begannen zu klettern, wortlos, Ettingen immer voran. Mit Sausen stürzten unter seinen Tritten die Steine in die Tiefe – er hatte keinen Blick für sie, seine Augen suchten immer die Höhe. Nie bedurfte er der Hilfe des Jägers, und wenn Praxmaler ratlos innehielt, fand Ettingen immer wieder eine Schrunde im Gestein, einen Tritt, der ihn höher brachte, so rasch, daß der Jäger Mühe hatte, sich dicht hinter seinem Herrn zu halten.
Als sie die Kuppe der Wand erreichten, sah Praxmaler in die schwindelnde Tiefe, die hinter ihnen lag, und bekreuzte sein Gesicht.
Nur eine kurze Strecke hatten sie noch zu steigen, weniger mühsam, und dann kam über Griesfelder und Latschenrücken ein ungefährlicher Weg in das Kar.
Der Nebel begann sich langsam zu heben. Von der Höhe, auf der die beiden waren, konnten sie den Eingang des brennenden Tales überblicken. Zwischen Qualm und Dämpfen sah man die flammenden Bäume. Auf weite Strecken war der Grund schon kahl gebrannt; bald erschienen diese Stellen grau, bald wieder, wenn der Wind die Asche verwehte, waren sie verwandelt in rote Glut. Und die Flammen der Bäume, Rauch und Qualm, die Aschenwolken, alles strebte in jagendem Winde hinauf, dem See entgegen.