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Die großen Revolutionen der Welt. Prof. Dr. Jürgen NautzЧитать онлайн книгу.

Die großen Revolutionen der Welt - Prof. Dr. Jürgen Nautz


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Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und deren Macht und Gewalt solchergestalt gebildet wird, als ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit am schicklichsten zu seyn dünket. Zwar gebietet Klugheit, daß von langer Zeit her eingeführte Regierungen nicht um leichter und vergänglicher Ursachen willen verändert werden sollen; und demnach hat die Erfahrung von jeher gezeigt, daß Menschen, so lang das Uebel noch zu ertragen ist, lieber leiden und dulden wollen, als sich durch Umstoßung solcher Regierungsformen, zu denen sie gewöhnt sind, selbst Recht und Hülfe verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von Mißhandlungen und gewaltsamen Eingriffen auf einen und eben den Gegenstand unabläßig gerichtet, einen Anschlag an den Tag legt, sie unter unumschränkte Herrschaft zu bringen, so ist es ihr Recht, ja ihre Pflicht, solche Regierung abzuwerfen, und sich für ihre künftige Sicherheit neue Gewähren zu verschaffen. Di[e]s war die Weise, wie die Kolonien ihre Leiden geduldig ertrugen; und so ist jetzt die Nothwendigkeit geschaffen, welche sie zwinget ihre vorigen Regierungssysteme zu verändern …«

      Nach der Aufzählung einer langen Liste von Vorwürfen gegen das englische Mutterland folgt die Erklärung der Unabhängigkeit; auch diese wiedergegeben in der Übersetzung des Pennsylvanischen Staatsboten:

      »Indem wir, derohalben, die Repräsentanten der Vereinigten Staaten von America, im General-Congress versammlet, uns wegen der Redlichkeit unserer Gesinnungen auf den allerhöchsten Richter der Welt berufen, so Verkündigen wir hiemit feyerlich, und Erklären, im Namen und aus Macht der guten Leute dieser Colonien, Daß diese Vereinigten Colonien Freye und Unabhängige Staaten sind, und von Rechtswegen seyn sollen; daß sie von aller Pflicht und Treuergebenheit gegen die Brittische Krone frey- und losgesprochen sind, und daß alle Politische Verbindung zwischen ihnen und dem Staat von Großbrittannien hiemit gänzlich aufgehoben ist, und aufgehoben seyn soll; und daß als Freye und Unabhängige Staaten sie volle Macht und Gewalt haben, Krieg zu führen, Frieden zu machen, Allianzen zu schliessen, Handlung zu errichten, und alles und jedes andere zu thun, was Unabhängigen Staaten von Rechtswegen zukömmt.«

      Die Unabhängigkeitserklärung war von Thomas Jefferson (1743 - 1826) ausgearbeitet worden. Deutlich beeinflusst sind diese Dokumente von den Ideen John Lockes (1632 - 1704), wie sie bereits Thomas Paine (1737 - 1809) aufgegriffen hatte, der mit seiner Flugschrift Common Sense vom 10. Januar 1776 einen wichtigen publizistischen Beitrag zum Erfolg der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung leistete: Amerika müsse unabhängig werden und ein demokratisches Regierungssystem einführen, das auf den Menschenrechten basiere, so die Botschaft, die die amerikanische Bevölkerung faszinierte. Zentral für Paines Denken war die Gesellschaft, während er Staat und Regierung nur als Hilfsorgane der Gesellschaft betrachtete. In seiner Schrift Common Sense fand er dafür diese Worte: »Die Gesellschaft ist ein Segen, eine Regierung, sogar die beste, ist nichts anderes als ein notwendiges Übel; die schlechteste ist unerträglich.«

      Mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 finden zum ersten Mal die Menschrechte Eingang in ein offizielles staatliches Dokument. Das unerhört Neue, das Revolutionäre liegt in dem darin entwickelten Verständnis eines vorstaatlichen Rechts, das Ziel und Zweckbestimmung allen staatlichen Handels sein müsse. Das Regierungssystem sollte derart gestaltet werden, wie es zur Gewährleistung der Sicherheit und des Glücks der Bürger notwendig erschien.

      Zum ersten Mal gab sich ein Staat eine Verfassung, die auf den natürlichen Rechten des Einzelnen und der Souveränität des Volkes beruhte sowie demokratische Strukturen festlegte. Allerdings war das Wahlrecht noch kein allgemeines, sondern durch Eigentumsklauseln eingeschränkt, die von rund drei Vierteln der männlichen Weißen erfüllt wurden. Trotz dieser Einschränkungen entstand in den Neuenglandstaaten ein neuer Demokratietypus: die Verfassungs- und Grundrechtsdemokratie. Deren Herrschaft beruht (a) auf der Basis vorstaatlicher Menschenrechte, die auch die Volkssouveränität begründen, (b) auf Gewaltenteilung und zeitlicher Begrenzung aller Staatsämter, schließlich (c) auf der Trennung von Staat und Kirche.

      Am 15. November 1779 stimmte der Kontinental-Kongress den Articles of Confederation zu, die 1781 ratifiziert wurden. Sie waren die erste Verfassung der dreizehn nordamerikanischen Staaten und der Vorläufer der Verfassung von 1789. Zunächst galt dieses neue Regierungssystem lediglich in den Einzelstaaten, da es noch keinen formellen Zusammenschluss der amerikanischen Staaten gab. Dieses Dokument schrieb zunächst die Souveränität der Einzelstaaten fest. Wegen der Autonomie der Einzelstaaten, fehlender Steuerhoheit des Kongresses und des Einstimmigkeitsprinzips für Beschlüsse war dieses System rasch nicht mehr in der Lage, die anstehenden Probleme zu lösen. Probleme in der wirtschaftlichen Entwicklung, Inflation, Auseinandersetzungen mit der indigenen (eingeborenen) Bevölkerung gefährdeten die revolutionären Prinzipien und verlangten nach einem tieferen Zusammenschluss der Einzelstaaten.

      Der 1787 in Philadelphia zusammengetretene Verfassungskonvent sollte diese Aufgabe lösen. Er war beherrscht von der Kontroverse zwischen den einen Bundesstaat anstrebenden Federalists John Jay (1745 - 1829), Alexander Hamilton (1755/1757? - 1804), James Madison (1751 - 1836) und George Washington (1732 - 1799), und den Anti-Federalists, die einen Staatenbund anstrebten, George Mason (1725 - 1792), Patrick Henry (1736 - 1799), Elbridge Thomas Gerry (1744 - 1814), Luther Martin (1748 - 1826), und Richard Henry Lee (1732 - 1794). Die Federalists forderten vor allem eine bundesstaatliche Verfassung mit gestärkten Kompetenzen für den Bund. Die Anti-Federalists konnten jedoch die Beibehaltung der Autonomie der Einzelstaaten im Rahmen des 1776/81 geschlossenen Staatenbundes durchsetzen. So konnte auf der Grundlage eines Vorschlages von Roger Sherman (1721 - 1793) und Oliver Ellsworth (1745–1807), ein Kompromiss gefunden werden (Great Compromise oder Connecticut Compromise) in Form eines Bundesstaates mit präsidialem Regierungssystem. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 17. September 1787, nach einem zögerlichen Ratifikationsverfahren in den Bundesstaaten ab 1789 in Kraft, wies als signifikante Merkmale auf (1) Gewaltenteilung und (2) gegenseitige Kontrolle (Checks and Balances) von Mitgliedsstaaten und Bund sowie zwischen den Staatsgewalten der Union. Die Verfassung konnte um zusätzliche Artikel (Amendments) ergänzt werden.

      Die ersten zehn Amendments bildet die Bill of Rights, die der amerikanische Kongress am 25. September 1789 beschlossen hat und die bis zum 15. Dezember 1791 von 11 Bundesstaaten ratifiziert wurde. Die in der Bill of Rights niedergeschriebenen Rechte räumen den Menschen in den USA unveräußerliche Rechte ein, die von einer Verfassungsgerichtsbarkeit geschützt werden. Jeder Einwohner kann sie beim Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof einklagen bzw. Gesetze auf ihre Verfassungstreue überprüfen lassen. Im Einzelnen handelt es sich um diese Rechte: Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht des Besitzes und der Mitführung von Waffen, das Recht der Aufstellung einer Miliz, der Anspruch auf Entschädigung bei Beschlagnahmungen und Enteignungen, Schutz vor sonstiger Willkür der Exekutive. In den letzten Bereich gehören auch umfangreiche Schutzrechte gegenüber der Justiz: Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, das Aussageverweigerungsrecht, Schutz vor überzogener Untersuchungshaft, das Recht auf Geschworene bei Straf- und Zivilprozessen, das Übermaßverbot bei Strafen des Staates und das Verbot einer zweiten Anklage wegen desselben Vergehens. Schließlich enthielten die ersten zehn Amendments die Garantie, dass die Bürgerrechte durch den Staat nicht eingeschränkt werden konnten.

      Am Ende dieses langen, zum Teil blutigen Weges war ein Staat entstanden mit Verfassung ohne Vorbild, sowohl was die Staatskonstruktion angeht als auch bezüglich der Niederlegung unantastbarer Grundrechte in einem staatlichen Dokument. Bereits die Virgina Bill of Rights von 1776 setzte im Bereich der Menschenrechte Maßstäbe. Diese Dokumente schufen den ersten Staat, dessen Bundes- und Länderregierungen sich zur Demokratie bekannten. Gerade die Formulierung der Menschenrechte wirkt fort im Menschenrechtskatalog vieler aktueller Verfassungen und in der Charta der Vereinten Nationen.

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