Die bedeutendsten Staatsmänner. Isabella AckerlЧитать онлайн книгу.
Castlereagh setzte daher – gegen den erbitterten Widerstand der Protestanten – im irischen Parlament den »Act of Union« durch, der ein gemeinsames Parlament für England und Irland vorsah. Seinem Gerechtigkeitssinn entsprechend, forderte er gleichzeitig die politische Emanzipation für die irischen Katholiken. Als dieses Ansinnen am Widerstand von König Georg III. scheiterte, traten Castlereagh und Lord Cornwallis zurück. In der Folge fungierte er aber als Berater für irische Angelegenheiten für Premierminister Henry Addington.
1802 wurde er mit dem Vorsitz der Kontrollbehörde für die indischen Angelegenheiten betraut, wodurch er im britischen Kabinett schnell an Einfluss gewann. 1805 wurde er im Kabinett von William Pitt Staatssekretär für das Kriegswesen. Seine erste Aufgabe war die Entsendung eines britischen Corps nach Hannover, das jedoch durch Napoleons Sieg bei Austerlitz nicht mehr zum Einsatz kam, Castlereagh blieb jedoch von der Wichtigkeit einer starken britischen Armee überzeugt.
Als William Pitt starb, verließ Castlereagh das Kabinett und wurde Sprecher der Opposition für außen- und militärpolitische Fragen. Schon ein Jahr später, als William Henry Duke of Portland die Regierungsgeschäfte übernahm, beteiligte sich Castlereagh als Kriegsminister wieder an den Regierungsgeschäften, fest entschlossen, Großbritannien an der europäischen Auseinandersetzung mit Napoleon teilnehmen zu lassen. Durch eine große Heeresreform sorgte er für eine schlagkräftige Armee, sowohl für die Verteidigung der Insel als auch für den Krieg in Übersee.
Die Revolte Spaniens gegen Napoleon unterstützte Großbritannien durch ein Truppenkontingent. Castlereagh setzte sich dafür ein, dass Arthur Wellesley, der spätere Duke of Wellington, das Kommando erhielt. Als ein britisches Unternehmen gegen die napoleonische Marinebasis in Antwerpen infolge Krankheit der Soldaten scheiterte, brachen Zwiste und Intrigen im britischen Kabinett aus, und Castlereagh wurde für das Desaster verantwortlich gemacht. Als er erfuhr, dass Außenminister George Canning ihn durch Wellington ersetzen wollte, forderte er seinen Widerpart zum Duell, wobei dieser leicht verletzt wurde. Beide Gentlemen legten ihre Kabinettsfunktionen nieder.
1812 kehrte er wieder zur Politik zurück, und zwar als Außenminister im Kabinett Robert Banks Jenkins nach der Ermordung von Premier Spencer Perceval. Für das nächste Jahrzehnt behielt Castlereagh die Führung der britischen Außenpolitik. Erste und wesentliche Aufgabe war es, die europäische Koalition gegen Napoleon zusammenzuschweißen und in weiterer Folge die europäische Neuordnung für die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. 1814 führte er Gespräche in Châtillon, bei denen sich herauskristallisierte, dass die europäische Neuordnung unter der Kontrolle der Großmächte zu stehen habe. Diese Grundsätze wurden im Vertrag von Chaumont im selben Jahr beschlossen und bildeten für zwei Dezennien die Leitlinien der europäischen Politik.
Beim Wiener Kongress 1814/1815 spielte Castlereagh eine wichtige vermittelnde Rolle. Unter allen Umständen wollte er einen Machtzuwachs Russlands vermeiden, wichtig war ihm die Stabilisierung der europäischen Mitte, nämlich Deutschlands und Italiens. Gemeinsam mit dem Österreichischen Staatskanzler Klemens Wenzel Metternich dominierte er die Verhandlungen und sorgte dafür, dass Russlands und Preußens Forderungen im Zaum gehalten wurden. Sein Grundsatz, knapp gefasst, lautete: »just equilibrium« (wörtlich: gerechtes Gleichgewicht). In Verfolgung dieser Absicht kam es auch zu regelmäßigen Konsultationen der europäischen Großmächte. Bei der Konferenz von Aix-en-Chapelle 1818 wurde Frankreich wieder in den Kreis der Mächte aufgenommen. Strikt widersetzte Castlereagh sich dem russischen Vorschlag nach Etablierung eines militärischen Sanktionssystems. Deshalb lehnte er auch die Konferenzen von Troppau (1820) und Laibach (1821) ab, die sich mit den liberalen Bewegungen in Deutschland, Spanien und im Königreich beider Sizilien befassten und dementsprechende Sanktionen forderten. In einem Grundsatzpapier von 1820 legte er klar die Unterschiede zwischen den absolutistischen Systemen Mittel- und Osteuropas und den konstitutionellen Strukturen in Frankreich und Großbritannien dar. Danach konnte Großbritannien nur im Rahmen des parlamentarischen Systems tätig werden.
1822 wollte Castlereagh noch an der Konferenz von Verona teilnehmen, da britische Interessen in Griechenland und in den spanischen Kolonien betroffen waren. Strikt hielt er an der Nichtinterventionsthese fest und bekräftigte, dass Großbritannien auch Staaten anerkennen würde, die aus erfolgreichen Revolutionen hervorgingen. Damit distanzierte er sich und die britische Außenpolitik klar von der reaktionären Politik im übrigen Europa, wie sie vor allem nach seinem Tod verfolgt wurde.
In seinem eigenen Land war Castlereagh trotzdem nicht sehr populär, da er zu viel auf Geheimdiplomatie hielt. Angriffe Lord Byrons, der sich in geradezu romantischer Weise für Griechenland engagierte, und weitere Drohungen gegen ihn und das gesamte Kabinett ließen ihn um sein Leben fürchten. Dazu kam als weitere Belastung die königliche Scheidungsaffäre, denn König Georg IV. trennte sich von seiner Gattin Karoline. All dies löste bei Castlereagh eine akute Paranoia aus. Weitere Verdächtigungen, die gegen ihn geäußert wurden, trieben ihn in den Selbstmord – ein tragisches Ende für einen großen Diplomaten.
CAMILLO GRAF BENSO DI CAVOUR
Der Visionär des italienischen Nationalstaates, der unermüdliche Betreiber der italienischen Unabhängigkeit und der Begründer des Königreiches Italien begann seine eigentliche politische Laufbahn bei der in Turin erscheinenden Zeitschrift »Il Risorgimento«. Der Titel dieses Blattes war Programm seines gesamten politischen Wirkens.
Cavour stammte väterlicherseits aus einer adeligen piemontesischen Familie, seine Mutter war eine zum Katholizismus konvertierte Genfer Calvinistin, Taufpatin war Napoleons Schwester Pauline, die mit Prinz Camillo Borghese verheiratet war. Seine früheste Erziehung und schulische Ausbildung erhielt er in der elterlichen Familie, als zweitgeborener Sohn wurde er für die militärische Laufbahn bestimmt, auch wenn ihn die Politik wesentlich mehr interessierte.
1820 wurde er in die Militärschule in Turin eingeschrieben, vier Jahr später zum Pagen von König Karl Albert bestellt. Seine radikal-liberale Gesinnung eckte jedoch an, man übte Druck auf ihn aus, die Armee zu verlassen. Daher quittierte er mit 21 Jahren den Militärdienst. Nun widmete er sich der Verwaltung des elterlichen Besitzes in Grinzane nahe Turin, von 1832 bis 1848 stand er der kleinen Gemeinde als Bürgermeister vor.
In dieser Zeit unternahm Graf Cavour zahlreiche Reisen durch Europa, studierte Politik und Landwirtschaft in Paris und Genf. Er soll ein schlechtes Italienisch gesprochen haben, das ihn den Italienern als Ausländer erschienen ließ. 1830 wurde er Zeuge der Julirevolution in Paris, was ihn in seinen liberalen Ansichten bestärkte. Das nachfolgende Regime von Louis Philippe führte ihm die Effizienz einer konstitutionellen Monarchie vor Augen. Und so sah er die Zukunft Italiens auf drei Säulen ruhend, nämlich Liberalismus, Nationalismus und technischem Fortschritt.
Mit der Wahl des liberalen Papstes Pius IX. im Jahr 1846 sah Cavour seine Stunde gekommen, 1847 gründete er die Zeitschrift »Il Risorgimento«, die ihm in Sardinien-Piemont zu großem Einfluss verhalf. Die europäischen Revolutionen des Jahres 1848, der Aufstand im Königreich beider Sizilien veranlassten König Karl Albert von Sardinien-Piemont eine Charta der Freiheiten für sein Königreich zu erlassen. Cavour vermochte den König zu überreden, Österreich den Krieg zu erklären. Mit dem Ausbruch des Aufstandes in Mailand war die beste Gelegenheit geboten, sich gegen Österreich zu erheben. Cavour richtete einen Aufruf an Karl Albert, sich der revolutionären Bewegung anzuschließen. Doch die Schlachten von Custozza und Novarra wurden zur Niederlage für Sardinien, die revolutionären Bewegungen in der Lombardei und im Veneto wurden niedergeschlagen. Der Geist der Revolution aber lebte weiter. Bei der Wahl zur sardischen Abgeordnetenkammer gewann Cavour einen Sitz, König Albert dankte zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II. ab.
Nun begann Cavours eigentliche Karriere. 1850 übernahm er in der Regierung Massimo D’Azeglios das Landwirtschafts- und Handelsressort, 1851 das Finanzressort. Ein Jahr später hatte er den Regierungschef verdrängt und bestimmte fortan die gesamte Politik des Königreichs Sardinien. Er wurde zwar von Zeitgenossen als »Despot« und »Kampfhahn« bezeichnet, doch grundsätzlich vertrat er eine liberale Grundhaltung, die letztlich zur Basis des geeinten Königreiches Italien wurde. In Piemont leitete