Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
nicht anzusehen. Die Mühe kannst du dir sparen.«
Ein erleichtertes Lächeln huschte über Jennys angespanntes Gesicht.
»Nichts gebrochen?«
»Nein. Dafür habe ich das Gefühl, dass die Hand immer dicker wird«, gestand Danny zähneknirschend. »Kein Wunder, wenn ständig jemand darauf herumdrückt.« Die vielen Untersuchungen hatten weder seiner Stimmung noch seinem Gesundheitszustand gutgetan.
»Zeig noch mal her!«, bat sie ihn, und folgsam setzte sich der junge Arzt vor die Klinikchefin auf einen Stuhl.
Sie rollte mit dem Hocker heran.
»Die Schwellung hat wirklich zugenommen.« Sie zog den Kugelschreiber aus ihrer Brusttasche und fuhr damit erneut über die Finger. »Spürst du das?«
Missmutig schüttelte Danny den Kopf.
»Alles taub«, musste er widerwillig zugeben.
Jenny seufzte und rollte hinüber zu dem kleinen Tisch, auf dem die Ergebnisse des Labors lagen. Sicherheitshalber warf sie noch einmal einen Blick darauf.
»Die Entzündungsparameter sind leicht erhöht, aber nicht besorgniserreg…« Sie hielt verdutzt inne, als Danny ihr das Blatt aus der Hand nahm.
»Darf ich mal sehen?«
Jenny und Daniel tauschten vielsagende Blicke.
»Bitte, du kannst die Diagnose auch gern selbst stellen, wenn du möchtest«, sagte Jenny Behnisch scharf.
Diese Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Tut mir leid. Ich wollte deine Kompetenz nicht anzweifeln. Aber der Motor …, die Quetschung …«, stammelte er verlegen.
»Das Labor ist nicht dramatisch«, wiederholte Jenny und lächelte ihn versöhnlich an. »Trotzdem möchte ich sicherheitshalber eine Antibiose machen. Es sieht ganz danach aus, als ob du Gelegenheit hast, den Klinikbetrieb mal einem intensiven Test zu unterziehen.«
Danny verstand sofort, was sie ihm damit sagen wollte.
»Ich soll hierbleiben?«, fragte er entgeistert.
Jenny und Daniel nickten gleichzeitig. Um ja kein Risiko einzugehen, hätte er seiner langjährigen Freundin denselben Vorschlag gemacht.
»Sicherheitshalber«, stimmte Dr. Norden zu. »Schließlich ist ein Arzt mit einer Hand nicht wirklich was wert.«
Danny sah seinen Vater an und wusste, dass er keine Chance hatte. So gab er sich seufzend geschlagen und bezog zehn Minuten später mit frisch verbundenem und geschienten Arm ein hübsches Einzelzimmer in der Behnisch-Klinik.
*
Als Dr. Norden in die Praxis zurückkehrte, saß Olivia in der kleinen Küche und unterhielt sich angeregt mit Janine Merck. Wie der Arzt angekündigt hatte, war der Tisch reich gedeckt gewesen. Als Daniel hereinkam, wischte sie eben mit einem Stück Weißbrot den letzten Rest einer leckeren Soße vom Teller.
»Wo ist denn Ihr Sohn abgeblieben?«, fragte sie ebenso verwundert wie ängstlich, als sie Danny nirgendwo entdecken konnte.
»Er musste vorsichtshalber in der Klinik bleiben.«
Vor Schreck verschluckte sich Olivia an dem Stückchen Brot und hustete, bis ihr die Tränen kamen. Janine sprang auf und holte ihr ein Glas Wasser, das sie keuchend in kleinen Schlucken trank.
»Wegen mir?«, krächzte sie endlich.
»Keine Sorge.« Beschwichtigend schüttelte Daniel den Kopf. »Eigentlich bin ich Ihnen für das kleine Malheur mit der Motorhaube sogar dankbar.« Er berichtete von Dannys Sturz am vergangenen Abend. »Ohne den Unfall mit der Motorhaube hätte er sich niemals behandeln lassen.«
»Ich bin trotzdem nicht stolz darauf.« Sichtlich zerknirscht betrachtete Olivia die Blumen auf ihrem Kleid. »Kann ich ihn denn in der Klinik besuchen?«
»Damit warten Sie lieber, bis sich seine Laune etwas gebessert hat. Womöglich reißt er Ihnen sonst den Kopf ab. Und das wäre wirklich schade.«
Mit diesem Kompliment brachte Dr. Norden seinen jungen Gast zum Lachen. Schon fühlte sich Olivia ein bisschen besser.
»Sie sind sehr freundlich zu mir. Obwohl es auch meine Schuld ist, dass Ihr Mitarbeiter jetzt ausfällt und Sie alle Arbeit allein machen müssen.« Der ansehnliche Stapel Patientenkarten auf dem Tresen war Olivias Aufmerksamkeit nicht entgangen.
»Außerdem haben Sie meinen Parkplatz mit Beschlag belegt«, scherzte Daniel und zwinkerte ihr zu.
»Ich werde das Auto abholen lassen, sobald ich das Haus meiner Mutter gefunden habe«, versprach Olivia schnell, und augenblicklich wurde Daniels Herz schwer. Wusste die junge Frau, dass ihre Mutter nicht mehr am Leben war? Er warf einen Blick auf die Uhr. Bis der erste Patient zur Nachmittagssprechstunde kam, war noch etwas Zeit.
»Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin.« Auf keinen Fall wollte er sie ihrem Schicksal überlassen.
»Oh nein, bitte nicht«, lehnte Olivia Schamel zu seiner Überraschung bescheiden ab. »Ich hab Ihnen sowieso schon so viele Umstände gemacht. Es reicht vollkommen, wenn Sie mir ein Taxi rufen.«
»Nichts da!«, sprach Dr. Norden ein Machtwort und erhob sich. »Wenn Sie bereit sind, können wir aufbrechen.«
Ein Leben lang hatte sich Olivia nach einem fürsorglichen Vater wie Daniel gesehnt. Sicher, ihre Großmutter hatte ihr Bestes gegeben. Und obwohl sie inzwischen erwachsen war, war da ein großes Loch in Olivias Seele, das sich nach elterlicher Liebe und Schutz sehnte wie nach nichts sonst auf der Welt. Deshalb nahm sie das Angebot schließlich an.
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, murmelte sie, als sie sich neben Daniel auf dem Beifahrersitz anschnallte. Er hatte ihr geholfen, das spärliche Gepäck umzuladen, und startete den Motor. »Seit meine Großmutter gestorben ist, war kein Mensch mehr so freundlich zu mir.« Schon wieder drängten sich die Tränen in Olivias grüne Augen. »Seitdem habe ich noch mehr gehofft, dass sich meine Mutter bei mir meldet, mich vielleicht doch sehen will. Und jetzt ist sie auch tot.« Eine Träne trat über die Ufer und rollte langsam über ihre schmale Wange zum Kinn. Dort hing sie eine Weile. Als Daniel über eine Bodenwelle fuhr, tropfte sie auf das dünne T-Shirt.
Obwohl er tiefes Mitgefühl für die Lage seiner jungen Mitfahrerin hegte, fiel Daniel Norden ein Stein vom Herzen. Er hatte gefürchtet, Olivia vom Tod ihrer Mutter erzählen zu müssen. Zumindest das blieb ihm erspart. In seine Gedanken hinein fuhr die unglückliche junge Frau fort.
»Stellen Sie sich vor: Mein Freund hat vergessen, mir zu sagen, dass meine Mutter gestorben ist. Als ich es erfahren habe, bin ich sofort losgefahren«, erzählte Olivia einfach weiter. Es tat ihr gut, sich mit jemandem zu unterhalten und sich den Kummer von der Seele zu reden. In letzter Zeit hatte sie nicht viel Ansprache gehabt. »Vielleicht habe ich ja Glück und komme wenigstens noch rechtzeitig zur Beerdigung.«
Daniel warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, setzte den Blinker und biss sich dabei auf die Lippe.
»Ich kannte deine Mutter, Olivia«, ging er unwillkürlich zum vertrauten ›Du‹ über.
Olivias Augen wurden groß und rund vor Staunen.
»Wirklich?«, fragte sie hoffnungsvoll und begann vor Aufregung, unruhig auf dem Sitz herumzurutschen.
»Sie nannte sich Christine Javier. Deshalb wusste Danny nicht sofort, um wen es geht.«
»Das war ihr Pseudonym. Meine Mutter war Schriftstellerin«, nickte Olivia. All das wusste sie. Und verstand umso weniger, warum sich Christine nie bei ihr gemeldet hatte. »Sogar ziemlich erfolgreich. Woher kannten Sie sie?«
»Sie war viele Jahre lang meine Patientin, ehe sie in ein Pflegeheim ziehen musste. Die Beerdigung war heute Vormittag.«
»Oh!« Olivia starrte angestrengt geradeaus durch die Windschutzscheibe. Sie betrachtete die schmucken Einfamilienhäuser links und rechts der Straße,