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Der Mann im Mond. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.

Der Mann im Mond - Wilhelm  Hauff


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Sie?" antwortete Ida gedehnt und unmutig. "Doch nein, da würde er ja nicht auf den Ball gehen," setzte sie freudig hinzu; "da würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen."

      "Oder," fuhr jener fort, "es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus, und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen."

      "Nicht doch," fiel sie ein, "wie mögen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus als alle unsere Assessoren, Leutnants und so weiter zusammen? Und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!"

      "Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert! Das

       Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen führen!

       Übrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den

       Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich

       eindrängen, auf den Zahn zu fühlen."

      "Nun ja, tun Sie das, liebes Hofrätchen; aber ja recht artig und delikat," setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten hinzu; "wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!"

      * * * * *

       Inhaltsverzeichnis

      Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und, an seine Säule gelehnt, so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück. "Wer ist es? Wie heißt er?" fragten zehn, zwanzig zumal. "Was hat er gesprochen?"

      "Nichts hat er gesprochen," antwortete Berner, "sondern mir nur diese

       Karte gegeben."

      Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen als ein schön gestochenes Wappen und der Name Emile, Comte de Martiniz. "Ein Graf also?" Die Neugierde war nur halb gestillt; die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie hätten gar zu gerne gewußt, woher er komme, wohin er gehe, warum er nicht tanze. Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten; doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, daß er in des Fremden Seele fühlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein müsse, gab das Zeichen, und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen, rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze.

      Walzer um Walzer waren getanzt; noch immer stand die fremde gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine glänzende Tuch seines Kleides; das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontraktierten sonderbar mit jener dunkeln Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren; aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigne Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.

      Wie es aber zu gehen pflegt, die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite; denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war; denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die Tränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte? Hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef— Nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? Da hat es keine Not! Es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt.

      Elf Uhr war vorüber; es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen, und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr, und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.

      "Ach, sehen Sie nur," sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, "sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer; wenn er nur nicht krank wird." Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem Krankheitsanfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpreßte, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.

      "O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen: Was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen? Wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen."—

      Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!!!

      Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig; denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da; aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin—

      Da öffnete sich die Tür, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.

      Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen

       sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der

       Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges

       Töchterchen zur Tafel.

      * * * * *

       Inhaltsverzeichnis

      Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß- und blaugestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchens pochte. "Macht auf, Meister Küster! Seid so gut und macht auf!" rief eine tiefe, aber bescheidene Stimme draußen. "Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein," näselte der Küster, "der die Sakramente noch will." Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere; denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte. Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustür auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann in reichbordiertem Bedientenrock. "Was soll's so spät?" fragte der Küster.

      "Kamerad,"


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