Der exzellente Butler Parker 6 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
Mylady hatte eine Bekannte in Brighton besucht und befand sich auf der Rückfahrt nach London. Parker benutzte eine spärlich befahrene Seitenstraße, um dem starken Rückreiseverkehr in die Hauptstadt zu entgehen. Stocksteif und aufrecht, als habe er den vielzitierten Ladestock verschluckt, saß er am mächtigen Lenkrad seines Privatwagens und nahm mit bemerkenswerter Geschwindigkeit souverän die Kurven.
Plötzlich wurde es auf der schmalen Strecke lebendig. Das Dröhnen schwerer Motoren war zu hören und schwoll zu einem wahren Crescendo an. Olivgrüne Lastwagen kamen aus einer Biegung hinter Parkers Privatwagen, und der Butler sah sich genötigt, reaktionsschnell an den Straßenrand zu steuern.
»Das ist doch die Höhe!« empörte sich Lady Agatha im Fond und forderte ihren Butler auf, den Militärkonvoi zu verfolgen. »Ich spüre deutlich einen klaren Anschlag auf mich. Die Unterwelt hat sich eine neue Methode ausgedacht, um mich lahmzulegen. Beeilen Sie sich, damit wir die Lümmel zur Strecke bringen. Geben Sie Gas, Mister Parker!«
»Mylady müssen gewisse Leute außerordentlich stören, daß man zu einem derart aufwendigen und massiven Mittel greift«, ließ sich Parker vernehmen.
»Ich bin eben einfach zu gefährlich, und das weiß die Unterwelt«, erklärte Lady Agatha munter. »Man weiß, daß ich früher oder später jeden zur Strecke bringe, und deshalb will man mich beseitigen. Meine Gegner wissen, wozu ich fähig bin!«
»Myladys Ruf ist wie Donnerhall in der Unterwelt«, erwiderte Parker schmeichelhaft.
»Das haben Sie sehr hübsch gesagt, Mister Parker, das muß ich mir unbedingt merken. Aber es trifft genau den Kern der Sache«, gab sie zufrieden zurück.
Parker steuerte seinen Privatwagen durch eine weitere, sehr scharfe Kurve und trat plötzlich auf die Bremse, Mylady, die sich etwas vorgebeugt hatte, wurde gegen die Vordersitze gepreßt und verlor ihre eigenwillige Hutschöpfung, die bei oberflächlicher Betrachtung an eine Kreuzung zwischen Kochtopf und Napfkuchen erinnerte und erst auf den zweiten Blick als Kopfbedeckung auszumachen war.
»Was soll das, Mister Parker, wollen sie mich neuerdings auch umbringen?«
»Meine bescheidene Wenigkeit hofft, Mylady nicht allzusehr inkommodiert zu haben, aber dort am Straßenrand hält einer der Militärlastwagen. Man scheint von einer Reifenpanne überrascht worden zu sein. Sicher möchte sich Mylady mit den Insassen ein wenig austauschen«, bemerkte Parker höflich.
»Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Ich werde diesen Burschen mal ordentlich Bescheid sagen!«
Mylady stieß, ehe ihr Parker beim Aussteigen behilflich sein konnte, die Fondtür auf und wälzte ihre walkürenhafte Gestalt auf das olivgrüne Fahrzeug zu.
Am rechten, hinteren Zwillingsreifen standen mehrere uniformierte Männer, die sich wie auf Kommando umwandten, um Mylady entgegenzusehen.
Als sie nur noch zwei oder drei Schritte entfernt war, löste sich ein schlanker, hochgewachsener Mann aus der Gruppe und trat mit federnden Schritten auf die ältere Dame zu.
*
Er blieb vor Lady Agatha stehen und legte die ausgestreckte Rechte grüßend an den Mützenrand, der übrigens eine silberne Borte trug und ihn als Offizier auswies.
»Ich muß mich sehr wundern über Ihre Manieren im Straßenverkehr, junger Mann«, grollte die Lady und faßte ihn scharf ins Auge, »seit wann versucht die Armee, harmlose Steuerzahler mit ihren Lastwagen umzubringen?«
»Pardon, Madam, dies ist ein sehr eiliger Transport, und wir sind bereits etwas spät dran. Falls wir Sie behindert haben sollten, darf ich Sie in aller Form um Entschuldigung bitten.«
»Hm.« Lady Agatha schnaufte enttäuscht und wandte sich hilfesuchend nach Parker um, der hinter ihr Aufstellung genommen hatte. Sie ärgerte sich ein wenig über das perfekte Verhalten des Offiziers, das ihr keinerlei Anlaß zu einer kleinen Auseinandersetzung bot.
»Sie hatten bedauerlicherweise eine Panne?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Allerdings, und bedauerlich ist genau das richtige Wort«, lächelte der Offizier. »Wie gesagt, wir sind schon etwas spät dran und müssen unsere Einheit vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Entschuldigen sie mich!« Er legte erneut die Hand grüßend an die Mütze und wandte sich mit zackiger Kehrtwendung zu seinem Fahrzeug.
»Man hofft, daß Sie nicht die Orientierung verloren haben, Colonel«, bemerkte Parker höflich.
Der Colonel fuhr bei dieser Bemerkung auf dem Absatz herum und starrte Parker aus zusammengekniffenen Augen an. »Was wollen Sie damit sagen, Mann?« knurrte er, während er den Butler von oben bis unten musterte. Sein Ton war jetzt längst nicht mehr so höflich und verbindlich wie vorher; aus seiner Stimme drang sogar deutlich eine gewisse Schärfe.
»Sie haben offensichtlich Raketen geladen«, fuhr Parker fort und deutete mit der Schirmspitze zum LKW hinüber, dessen Ladefläche mit einer gefleckten Plane bedeckt war. Unter der zeichneten sich allerdings eher deutlich die Umrisse eines solchen Projektils ab. Außerdem schaute die nadelförmige Raketenspitze unter der Plane hervor und ragte sogar etwas über die Ladefläche hinaus.
»Das ist ja wohl deutlich zu sehen. Worauf wollen Sie hinaus?«
Der Offizier trat näher auf Parker zu und blieb dicht vor ihm stehen. »Sie kommen mir etwas seltsam vor, Mann, ich frage mich, ob Sie sich wirklich nur zufällig hier aufhalten oder ob mehr dahintersteckt. Ich überlege ernsthaft, Sie festnehmen zu lassen, um Sie im nächsten Ort der Polizei zu übergeben.«
Lady Agatha starrte den Colonel empört an und schob sich angriffslustig näher.
»Sie wissen offenbar nicht, mit wem Sie es zu tun haben, Sie Lümmel, aber das mache ich Ihnen gern klar.«
Der Offizier sah die ältere Dame verdutzt an, stutzte einen Augenblick und brach dann in schallendes Gelächter aus. Das hätte er besser nicht getan.
Mylady sah ihn freudig bewegt an. Dann hob sie ihren rechten Fuß und ... trat gegen das Knie des Colonels. Der schrie vor Überraschung und Schmerz auf und hielt sich die lädierte Stelle. Diese Gelegenheit nutzte die Lady, um eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen an den Mann zu bringen.
Da Mylady begeistert dem Bogen- und Golfsport frönte, waren ihre Muskeln keineswegs unterentwickelt. Entsprechend fiel die Wucht ihrer Maulschelle aus.
Der Colonel wurde von dem Schlag leicht angehoben und segelte förmlich über den staubigen Straßenbelag auf seinen LKW zu, wo er von seinen Soldaten mit ausgebreiteten Armen empfangen wurde.
»Man darf sich nicht alles bieten lassen im Leben, Mister Parker«, dozierte Lady Agatha, »schon gar nicht von aufgeblasenen Militärs, die unsere mühsam erarbeiteten Steuergroschen mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen.«
»Man scheint über Myladys unmißverständliche Meinungsäußerung ein wenig ungehalten zu sein«, bemerkte Parker höflich »und die Absicht zu haben, gegen Mylady mehr oder weniger massiv vorzugehen.«
»Diese Lümmel werden hier und heute ihr Waterloo erleben, Mister Parker«, verkündete Lady Agatha munter. »Ich zeige den Burschen mal, was ’ne Harke ist.«
»Die Herren dürften schon jetzt zu bedauern sein«, wußte Parker im voraus. »Gegen Mylady gibt es nicht den Hauch einer Chance, wenn meine Wenigkeit diese Feststellung treffen darf.«
»Sie sagen es, Mister Parker«, gab Mylady zurück und schwang unternehmungslustig ihren Pompadour.
*
»Und, wie ging die Schlacht aus?« erkundigte sich Mike Rander interessiert am Abend in der großen Wohnhalle in Myladys Fachwerkhaus in Shepherd’s Market.
»Ich siegte natürlich. Was denn sonst, mein lieber Junge?« freute sich die Lady und nahm einen Schluck Cognac. »Allerdings, eines muß ich schon sagen: sollten diese Waschlappen jemals in die Verlegenheit kommen, das Empire zu verteidigen … armes old England, kann ich da nur sagen!« Sie seufzte tief und schüttelte bekümmert den Kopf.
»Sie waren mit der Qualität unserer Vaterlands Verteidiger nicht zufrieden, Mylady?« hakte Kathy Porter