Gesammelte Werke von Nikolai Gogol. Nikolai GogolЧитать онлайн книгу.
die Mitte des zweiten Monats stand Taraß wieder fest auf den Füßen. Die Wunden waren verharscht – nur noch die tiefen Säbelnarben gaben Kunde davon, wie die Polacken den alten Recken in der Arbeit gehabt hatten. Doch wich der schwere Trübsinn nicht von ihm. Drei scharfe Falten hatte der Gram in seine Stirn geprägt, und die verlor er nicht mehr bis ans Ende. Blickte er um sich, dann dünkte ihn im Lager alles so neu und fremd – die alten Genossen waren tot. Keiner lebte mehr von denen, die mit ihm für die gute Sache, für Glauben und Kameradschaft ins Feld gezogen waren. Auch der Teil des Heeres, den der Hetman auf die Verfolgung der Tataren mitgenommen hatte, war aufgerieben worden bis zum letzten Mann, gestorben und verfault. Die einen hatte der Feind im Schlachtgewühl gefällt, die andern waren vor Hunger und Durst in den weiten Salzsümpfen der Krim verschmachtet, die dritten an Scham und Gram dahingesiecht in der Gefangenschaft der Heiden. Auch den Hetman hatte der Tod ereilt, ihn und alle die andern getreuen Kameraden. Gras wucherte schon wieder auf den Hügeln, darunter so viel feurige Kosakenkraft zur ewigen Ruhe gebettet lag.
Taraß ging durch die Tage wie im Gedenken an ein verrauschtes überschäumend frohes Fest. Alles Geschirr ist zu Splittern zerschlagen, du findest keinen Tropfen Wein mehr, die Gäste und die Diener haben die kostbaren Becher und Schüsseln gestohlen; da stehst du, ein betrübter Hausherr, und denkst in deinem Sinn: – Hätte ich das Fest doch gar nicht erst gefeiert!
Die andern Kosaken taten alles, den Alten zu zerstreuen und aufzumuntern – umsonst! Gar mancher graubärtige Pandoraspieler, der in das Lager kam, pries in seinem Lied die ruhmvoll stolzen Taten des Obersten Taraß – umsonst! Finster und teilnahmlos blieb Bulbas Gesicht, unendlich tiefe Trauer brütete in seinem Blick, hangenden Hauptes murmelte er vor sich hin: »Mein Sohn! Ostap!«
Die Kosaken rüsteten einen neuen Beutezug über das Meer. Zweihundert Kähne stark, fuhren sie den Dnjepr hinunter, und Kleinasien lernte von neuem die Männer mit den langen Schöpfen auf den rasierten Schädeln kennen. Feuer und Schwert hausten mörderisch an den fruchtbaren Küsten. Die Turbane der Moslim sprenkelten die blutgetränkten Felder so dicht wie Wiesenblumen und schwammen hundertweise in den Bächen und Flüssen. Überall wimmelte es von teerbefleckten Kosakenpluderhosen, überall schwangen kräftige Fäuste die schwarzen Knuten. Jeder Weinberg wurde von den Kosaken leergefressen und verwüstet, in den Moscheen ließen sie Berge von Kot zurück, kostbare persische Schale zerrissen sie zu Fußlappen oder gürteten ihre schmierigen Röcke damit. Lange Jahre nachher noch fand man in den Winkeln der Moscheen kurze Kosakenpfeifen. Endlich machten sie sich frohen Muts auf die Heimfahrt; doch ein mit zehn Geschützen bestücktes Türkenschiff jagte ihnen nach und blies mit einer Breitseite ihre morschen Kähne wie einen Schwarm Wandervögel auseinander. Der dritte Teil der Mannschaft versank im tiefen Meer, der Rest sammelte sich wieder, kam wohlbehalten in die Dnjeprmündung und brachte zwölf Fässer bis an den Rand voll goldner Zechinen in das Lager heim.
Taraß war dies alles einerlei. Er streifte durch die Steppe, als wolle er auf die Jagd; doch Kraut und Lot blieben ruhig im Lauf. Endlich setzte er sich müde und kummervoll am Strande nieder und warf die Büchse in den Sand. Lange konnte er so hangenden Hauptes sitzen. Und immer wieder murmelten seine Lippen das eine: »Ostap! Ostap! Mein Sohn!«
Vor seinem Blick wogte funkelnd das Schwarze Meer, im Schilfrohr drüben klang ein Möwenschrei; des Alten Schnauzbart glänzte wie Silber in der Sonne, Träne um Träne rann ihm aus den Augen.
Und endlich riß es Taraß zu einem Entschluß empor.
»Soll kommen, was will!« sprach er zu sich. »Ich muß erfahren, was ihm geschehen ist: ob er noch lebt, ob er im Grabe liegt, ob sie ihm gar im Tod kein Grab vergönnen. Das muß ich wissen – soll kommen, was will!«
Und keine Woche war seit diesem Entschluß vergangen, da sah man ihn schon in der Stadt Uman, in voller Waffenrüstung, hoch zu Roß, die Lanze in der Faust, den Pallasch umgegürtet. Am Sattel hing die hölzerne Feldflasche, der Kessel voll Buchweizengrütze, das Pulverhorn, der Koppelstrick, und was ein Mann sonst auf der Reise braucht. Er machte vor einem schmutzigen Häuschen halt, dessen kleine Fenster man kaum erkennen konnte vor lauter Dreck. Der Schornstein war mit einem Lappen verstopft, auf dem löcherigen Dach wimmelte es von Spatzen. Vor der Tür lag ein großer Unrathaufe. Zum Fenster heraus schaute der Kopf einer Jüdin in einer Haube, die mit schwarzgewordnen echten Perlen besetzt war.
Bulba stieg vom Gaul und schlang den Zügel durch den eisernen Ring neben der Tür. »Der Jude zu Hause?« fragte er.
»Worüm soll er nix sein ßu Hause?« sagte die Jüdin und trat eilends mit einer Metze Weizen für den Gaul und einem Becher Bier für den Ritter über die Schwelle.
»Wo steckt er denn, dein Jude?«
»Im hintern Zimmer, er betet!« flüsterte die Schickse. Und als Bulba den Becher zum Mund hob, verneigte sie sich tief und wünschte ihm, daß ihm der Trunk recht wohl bekommen möge.
»Du bleibst hier draußen und läßt den Gaul fressen und saufen. Ich geh hinein. Ich hab mit ihm allein zu reden. Geschäfte …«
Dieser Jude war niemand andres als der uns wohlbekannte Jankel. Er hatte sich mittlerweile zum Pächter und Schankwirt emporgegaunert. Hübsch unvermerkt bekam er einen nach dem andern von den benachbarten Junkern und Gutsherrn in die Klauen, hübsch unvermerkt preßte er ihnen langsam aber sicher ihr Geld ab. Der jüdische Halunke wirkte verderblich auf die ganze Gegend. Drei Meilen weit im Umkreis blieb auch nicht eine Hütte in der alten Ordnung, alles geriet ins Wanken und wurde morsch, die Trunksucht griff um sich, Armut und Verlumpung folgten ihr auf dem Fuß – keine gewaltige Feuersbrunst, keine tödliche Seuche hätte mehr Elend über den Bezirk bringen können. Wäre Jankel noch zehn Jahre am Ort geblieben, er hätte die ganze Provinz zugrunde gerichtet.
Taraß trat in die Stube. Jankel hatte sich einen schmierigen Gebetmantel über die Schultern geworfen und betete. Er wendete sich grade, nach den Vorschriften seines Glaubens zum letzten Mal hinter sich zu spucken, da sah er unerwartet Bulba im Zimmer stehen. Das erste, was dem Juden einfiel, waren natürlich die zweitausend Dukaten, die dem winkten, der seinen Gast der polnischen Regierung in die Hände spielte. Doch schämte er sich dann dieser häßlichen Regung und suchte mit aller Macht die ewige Geldgier zu bezwingen, die an der Seele des Judenvolkes frißt wie am Apfel der Wurm. Er sprang auf, machte einen Bückling vor Bulba und verschloß ängstlich die Tür, damit kein unerwünschter Zeuge sie zusammen anträfe.
»Hör einmal zu, Jankel!« sagte Taraß. »Ich hab dir dein Leben gerettet; denn die Kosaken hätten dich in Stücke gerissen wie einen Hund. Jetzt ist die Reihe an dir: du mußt mir einen Dienst tun!«
Jankels Gesicht wurde zusehends länger.
»Was soll es sein fer ä Dienst? Wenn es ä Dienst is, was liegt in meiner Macht – nu–u, worum ni–ich?«
»Sag gar nichts! Bring mich nach Warschau!«
»Warschau! Wie haißt: Warschau?« fragte der Jude. Seine Brauen und Schultern hoben sich vor Verwunderung.
»Erzähl mir gar nichts! Führ mich nach Warschau! Soll mir geschehen, was will: ich muß ihn noch einmal sehn, noch einmal sprechen, und wenn es nur auf ein Wort ist!«
»Sprechen? Mit we–em?«
»Mit ihm: Ostap, meinem Sohn.«
»Ja, is es dem Herrn nix bekennt, daß die …«
»Ich weiß schon, alles weiß ich: sie zahlen zweitausend Dukaten für meinen Kopf. Die Esel haben eine Ahnung, was dieser Kopf hier wert ist! Ich geb dir fünftausend. Da hast du für den Anfang gleich zweitausend; den Rest kriegst du, wenn ich zurück bin.« Bulba schüttete zweitausend Dukaten aus seiner Lederkatze.
Der Jude griff hastig nach einem Tuch und deckte es über das Geld.
»Gott der Gerechte! Ä so ä feines Geld, ä so ä schönes Geld!« rief er, nahm einen der Dukaten, rieb ihn zärtlich zwischen den Fingern und probte ihn mit den Zähnen. »Mer kann bloß leid tun der Mensch, dem was der Herr hat weggenommen de goldnen Dukaten. Sicher hat er nix mehr gelebt ä einzigste Stund, sicher is er gegangen ins Wasser und hat sich versäuft vor Schmerz