Die bekanntesten Dramen und Lustspiele von Arthur Schnitzler. Артур ШницлерЧитать онлайн книгу.
Man sagt mir, Ihre Frau Mama schlummere ein wenig; so habe ich mir erlaubt, indessen in den Garten zu treten.
Johanna. Felix ist eben angekommen.
Sala. So? Haben sie ihm schon wieder einen Urlaub gegeben? Zu meiner Zeit waren sie bei dem Regiment viel strenger. Allerdings lagen wir damals an der Grenze, in Galizien irgendwo.
Johanna. Das vergess' ich immer, daß Sie das auch mitgemacht haben.
Sala. Ja, es ist schon lange her. Hat auch nur ein paar Jahre gewährt. Aber es war recht schön, wenn ich so zurückdenke.
Johanna. Wie das meiste, was Sie erlebt haben.
Sala. Wie so manches.
Johanna. Wollen Sie sich nicht setzen?
Sala. Danke. Setzt sich auf die Lehne eines Gartenfauteuils. Darf ich? Er nimmt eine Zigarette aus seiner Dose und zündet sie nach einem zustimmenden Nicken Johannas an.
Johanna. Wohnen Sie schon in Ihrer Villa, Herr von Sala?
Sala. Morgen zieh' ich ein.
Johanna. Sie freuen sich wohl sehr darauf?
Sala. Dazu wär' es zu früh.
Johanna. Sind Sie so abergläubisch?
Sala. Wenn's darauf ankommt – o ja. – Aber es ist nicht deshalb. Ich beziehe sie nur vorläufig, nicht definitiv.
Johanna. Warum denn?
Sala. Ich werde auf Reisen gehen – für längere Zeit.
Johanna. So? Sie sind sehr zu beneiden. Das möcht' ich auch können, in der Welt herumfahren, mich um keinen Menschen kümmern müssen.
Sala. Noch immer?
Johanna. Noch immer . . . Wie meinen Sie das?
Sala. Nun, ich erinnere mich, daß Ihnen schon als ganz kleinem Mädchen diese Wanderpläne durch den Sinn gingen. Was wollten Sie nur werden? . . . Tänzerin, glaub' ich. Nicht wahr? Eine sehr berühmte natürlich.
Johanna. Warum sagen Sie das, als ob es so etwas Nichtiges wäre, eine Tänzerin zu sein? Ohne ihn anzusehen. Gerade Sie sollten das nicht, Herr von Sala.
Sala. Warum denn gerade ich nicht?
Johanna blickt ruhig zu ihm auf.
Sala. Ich weiß nicht recht, wie Sie das meinen, Fräulein Johanna . . . oder sollt' ich doch . . . Einfach. Johanna, haben Sie gewußt, daß ich Sie damals sah?
Johanna. Wann?
Sala. Im vorigen Jahre, als Sie auf dem Lande wohnten, und ich einmal in der Mansarde übernachtete. Es war heller Mondschein, und eine Elfe, glaub' ich, schwebte auf der Wiese umher.
Johanna nickt lächelnd.
Sala. Schwebte sie für mich?
Johanna. Ich hab' Sie wohl gesehen, wie Sie hinter dem Vorhang standen.
Sala nach einer kleinen Pause. So werden Sie vor andern Menschen wahrscheinlich doch nie tanzen.
Johanna. Warum? . . . Ich hab' wohl schon. Und Sie haben mir auch damals zugesehen. Es ist freilich lange her. – Es war auf einer griechischen Insel. Viele Männer standen im Kreise um mich her – Sie waren unter ihnen – und ich war eine Sklavin aus Lydien.
Sala. Eine gefangene Prinzessin.
Johanna ernst. Glauben Sie nicht an solche Dinge?
Sala. Wenn Sie es wünschen – gewiß.
Johanna ernst bleibend. Sie sollten alles glauben, woran die andern nicht glauben können.
Sala. Wenn die Stunde dazu kommt, tu ich's wohl.
Johanna. Sehen Sie, – ich für meinen Teil kann mir alles andere eher vorstellen als dies, daß ich nun zum ersten Male auf der Welt sein sollte. Und es gibt Augenblicke, in denen ich mich ganz deutlich an allerlei erinnere.
Sala. Und solch ein Augenblick war damals?
Johanna. Ja, vor einem Jahre, als ich in einer mondhellen Sommernacht über eine Wiese tanzte. Es war gewiß nicht das erstemal, Herr von Sala. Nach einer kleinen Pause, plötzlich in anderm Tone. Wohin reisen Sie eigentlich?
Sala den Ton aufnehmend. Nach Baktrien, Fräulein Johanna.
Johanna. Wohin?
Sala. Nach Baktrien. Das ist ein sehr merkwürdiges Land, und das Merkwürdigste ist, daß es gar nicht mehr existiert. Ich schließe mich nämlich einer Gesellschaft an, die im November dahin abgeht. Sie haben vielleicht in der Zeitung davon gelesen.
Johanna. Nein.
Sala. Es handelt sich um Ausgrabungen an der Stätte, wo vermutlich das alte Ekbatana stand – vor etwa sechstausend Jahren. Das liegt noch vor Ihrer lydischen Zeit, wie Sie sehen.
Johanna. Wann sind Sie denn auf diese Idee gekommen?
Sala. Erst vor wenigen Tagen. Gesprächsweise sozusagen. Graf Ronsky, der Leiter der Sache, hat mir so große Lust dazu gemacht. Es gehörte nicht viel dazu; er kam einer alten Sehnsucht von mir entgegen. Lebhafter. Denken Sie nur, Fräulein Johanna: Mit eigenen Augen sehen, wie solch eine begrabene Stadt allmählich aus der Erde hervortaucht, Haus um Haus, Stein um Stein, Jahrhundert um Jahrhundert. Nein, es war mir nicht bestimmt, dahinzugehen, eh' mir dieser Wunsch erfüllt wird.
Johanna. Warum reden Sie denn vom Sterben?
Sala. Gibt es einen anständigen Menschen, der in irgend einer guten Stunde in tiefster Seele an etwas anderes denkt?
Johanna. Ihnen ist wohl nie ein Wunsch unerfüllt geblieben.
Sala. Keiner . . . ?
Johanna. Ich weiß, daß Sie auch viel Trauriges erlebt haben. Aber manchmal glaub' ich, Sie haben auch das ersehnt.
Sala. Ersehnt . . . ? Genossen, wenn es kam, da mögen Sie wohl recht haben.
Johanna. Wie gut versteh' ich das! Ein Dasein ohne Schmerzen wäre wohl so armselig wie ein Dasein ohne Glück. Pause. Wie lang ist's her?
Sala. Was meinen Sie?
Johanna leise. Daß Frau von Sala gestorben ist.
Sala. Das ist sieben Jahre her, beinahe auf den Tag.
Johanna. Und Lilli . . . im selben Jahre?
Sala. Ja, Lilli starb im Monat drauf. Denken Sie noch manchmal an Lilli, Fräulein Johanna?
Johanna. Recht oft, Herr von Sala. Ich habe seither keine Freundin gehabt. Vor sich hin. Zu ihr müßte man jetzt auch »Fräulein« sagen. Sie war sehr schön. Sie hatte so dunkles blauschillerndes Haar wie Ihre Frau und so klare Augen wie Sie, Herr von Sala. Vor sich hin. »Nun gingt ihr beide, gingt ihr Hand in Hand, die dunkle Straße in ein lichtes Land . . .«
Sala. Was Sie für ein Gedächtnis haben, Johanna.
Johanna. Sieben Jahre ist das vorbei . . . wie sonderbar.
Sala. Warum sonderbar?
Johanna. Sie bauen sich ein Haus und graben versunkene Städte aus und schreiben seltsame Verse, – und Menschen, die Ihnen so viel gewesen sind, liegen schon seit sieben Jahren unter der Erde und verwesen, – und Sie sind beinahe noch jung. Wie unbegreiflich ist das alles!
Sala. Du, der da weiterlebt, laß ab zu weinen, sagt Omar Nameh, geboren zu Bagdad im Jahre 412 der mohammedanischen Zeitrechnung als Sohn eines Kesselflickers. Übrigens kenn' ich einen, der dreiundachtzig Jahre alt ist; er hat zwei Frauen begraben, sieben Kinder, von den Enkeln ganz zu geschweigen, und spielt Klavier in einem schäbigen Praterwirtshaus, während sich auf der Bühne Künstler und Künstlerinnen produzieren in Trikots und fliegenden Röckchen. Und neulich, als die armselige Produktion zu Ende war und man die Laternen auslöschte, spielte er rätselhafterweise auf dem gräulichen Klimperkasten unbeirrt weiter. Und da haben wir ihn eingeladen, Ronsky und ich, sich zu uns zu setzen, und haben mit ihm zu plaudern