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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.

Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle


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Er war sehr wortkarg und beschäftigte sich mit einer schwierigen chemischen Analyse. Nach vielem Erhitzen von Retorten und Destillieren von Dämpfen entwickelte sich endlich ein Geruch, der mich aus dem Zimmer trieb. Bis zu den frühen Morgenstunden konnte ich ihn unter seinen Kolben und Flaschen hantieren hören; offenbar machte er sich noch immer mit seinem übelriechenden Experiment zu schaffen.

      Bei Tagesanbruch erwachte ich plötzlich und sah zu meiner Verwunderung Holmes in Matrosenkleidung vor meinem Bette stehen. Er trug eine derbe, wollene Jacke und einen groben, roten Shawl um den Hals.

      »Ich gehe den Fluß hinunter, Watson. Ich habe es hin und her überlegt und finde keinen anderen Ausweg. Jedenfalls muß der Versuch gemacht werden.«

      »So kann ich doch mit Ihnen kommen?« sagte ich.

      »Nein. Sie nützen mir viel mehr, wenn Sie hier bleiben, als mein Stellvertreter. Ich gehe sehr ungern, denn es ist durchaus nicht unmöglich, daß im Lauf des Tages eine Botschaft kommt, obgleich Wiggins gestern abend so entmutigt war. Ich bitte Sie, alle Zuschriften und Telegramme zu öffnen und nach Ihrer Einsicht zu handeln, wenn irgend etwas Neues einläuft. Kann ich mich auf Sie verlassen?«

      »Versteht sich.«

      »Ich fürchte, es wird nicht angehen, daß Sie mir schreiben, da ich selber nicht sagen kann, wohin. Wenn ich Glück habe, bleibe ich vielleicht nicht lange aus. Irgend etwas muß ich ermitteln, ehe ich zurückkomme.«

      Bis zur Frühstücksstunde hatte ich noch nichts von ihm gehört. Im Standard fand ich indessen einen neuen Artikel über die Angelegenheit, welcher lautete:

      »Das Trauerspiel von Norwood scheint sich viel verwickelter und geheimnisvoller zu gestalten, als wir ursprünglich glaubten. Neuere Zeugnisse haben bewiesen, daß Thaddäus Scholto ganz unbeteiligt an der Sache ist. Er sowohl als die Haushälterin, Frau Bernstone, sind gestern abend aus der Haft entlassen worden. Die Polizei soll jedoch den wirklichen Verbrechern auf der Spur sein. Athelney Jones von Scotland Yard [Quartier der Londoner Geheimpolizei. Anm. d. Uebers.] verfolgt dieselben mit seinem bekannten Eifer und Scharfsinn. Weitere Gefangennahmen werden jeden Augenblick erwartet.«

      »Also Freund Scholto ist jedenfalls in Sicherheit,« dachte ich, »das ist ja höchst befriedigend. Ich bin begierig, was es mit der neuen Spur auf sich hat; fast scheint mir dies die hergebrachte Redensart, so oft die Polizei eine Dummheit begeht. Eben wollte ich die Zeitung beiseite legen, als mein Auge auf folgende Anzeige fiel:

      »Vermißt: Der Bootsmann Mordecai Smith und sein Sohn Jim verließen vorigen Dienstag, ungefähr um drei Uhr morgens, Smiths Werft in dem Dampfboot ›Aurora‹, schwarz, mit zwei roten Streifen; Schlot schwarz, mit weißem Rundreif. Wer über das Verbleiben des besagten Mordecai Smith und der Aurora Nachricht bringen kann, entweder an Frau Smith selbst oder nach der Bakerstraße 221 b, erhält die Summe von fünf Pfund Sterling ausgezahlt.«

      Das hatte offenbar Holmes einrücken lassen; die Adresse in der Bakerstraße bewies das zur Genüge. Die Maßregel schien mir sehr sinnreich, denn die Flüchtlinge konnten die Anzeige lesen, ohne mehr darin zu sehen, als die natürliche Angst einer Frau um ihren verschwundenen Mann.

      Der Tag wurde mir sehr lang. So oft es an der Thür klopfte oder ein eiliger Schritt die Straße entlang kam, dachte ich, es müsse entweder Holmes selbst oder eine Antwort auf seine Anzeige sein. Ich versuchte zu lesen, aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Beruhte nicht vielleicht die ganze Schlußfolgerung meines Gefährten auf einem Irrtum? Konnte er nicht in einer großen Selbsttäuschung befangen sein und seine Theorie auf falscher Grundlage aufgebaut haben? Die schärfsten Verstandesmenschen täuschen sich ja zuweilen, gerade weil sie die einfachere Lösung eines Rätsels verschmähend, nach schwierigen und verwickelten Erklärungen suchen.

      Am Nachmittag gegen drei Uhr wurde stark an der Glocke gezogen. Im Hausflur ward eine befehlende Stimme laut und zu meiner großen Ueberraschung trat niemand Geringeres als Athelney Jones zu mir ins Zimmer. Sein Gesichtsausdruck war niedergeschlagen und seine Haltung gedrückt; ja fast demütig.

      »Guten Tag, Herr Doktor,« sagte er. »Holmes ist nicht zu Hause, wie ich höre?«

      »Nein, auch weiß ich nicht, wann er zurück sein wird. Aber vielleicht möchten Sie ihn erwarten. Bitte, setzen Sie sich und versuchen Sie eine von diesen Zigarren.«

      »Danke, das will ich thun,« sagte er, sich die Stirne mit einem rotseidenen Taschentuch trocknend.

      »Vielleicht ist Ihnen ein Glas Whisky mit Sodawasser gefällig?«

      »Ein halbes Glas, wenn ich bitten darf. Man braucht eine Erquickung, wenn man sich bei der Hitze so quälen und abplagen muß, wie ich. – Erinnern Sie sich noch an meine Auffassung des Norwood-Falles?«

      »Jawohl, Sie haben uns ja Ihre Theorie auseinandergesetzt.«

      »Leider habe ich mich genötigt gesehen, sie von neuem in Ueberlegung zu ziehen. Ich hatte mein Netz fest um Herrn Scholto gesponnen, als er mir plötzlich durch die Maschen ging. Er konnte ein Alibi beweisen. Von der Zeit an, daß er seines Bruders Zimmer verließ, hatten verschiedene Zeugen ihn nicht aus den Augen verloren. So konnte er es nicht gewesen sein, der über Dächer und durch Fallthüren geklettert war. Es ist ein sehr dunkler Fall und mein Ruf steht auf dem Spiele; da würde ich es nicht ungern sehen, wenn mir jemand ein wenig zu Hilfe käme.«

      »Und wer wäre dieser Jemand?«

      »Ihr Freund, Sherlock Holmes, ist ein wunderbarer Mann,« fuhr er mit seiner heiseren Stimme vertraulich fort. »Ihm thut es keiner gleich. Ueber jeden Fall, den er untersucht, weiß er Licht zu verbreiten. Seine Methode ist nicht regelrecht und sein Urteil etwas zu rasch, aber im ganzen hatte er, glaube ich, einen tüchtigen Beamten abgeben können – das sage ich jedem, der es hören will. Heute früh habe ich ein Telegramm von ihm erhalten. Er scheint in der Scholto-Angelegenheit eine Fährte gefunden zu haben. Hier ist die Depesche.«

      Sie war in Poplar um zwölf Uhr aufgegeben und lautete:

      »Gehen Sie sogleich nach der Bakerstraße; wenn ich nicht da bin, erwarten Sie mich. Bin den Scholto-Räubern auf der Spur. Sie können uns heute nacht begleiten, wenn Sie den Fang mitmachen wollen.«

      »Das klingt gut. Er ist offenbar wieder im rechten Fahrwasser,« sagte ich.

      »Also hatte er auch die Richtung verloren,« rief Jones mit sichtlicher Befriedigung. »Ja, ja, selbst die Besten werden zuweilen aus dem Sattel geworfen. Möglich, daß auch dies wieder nur ein blinder Lärm ist; aber meine Pflicht als Polizeibeamter zwingt mich, keine Gelegenheit zu versäumen. – Doch, da kommt jemand herauf. Vielleicht ist er’s selbst.«

      Man hörte einen schweren Tritt auf der Treppe und ein starkes Schnaufen und Keuchen, wie von jemand, dem das Atemholen recht sauer fällt. Ein-oder zweimal blieb er stehen, als könne er nicht weiter. Endlich aber hatte er die Thüre erreicht und trat ein. Es war ein alter Mann in Matrosentracht. Die dicke Wolljacke trug er am Halse fest zugeknüpft; sein Rücken war gekrümmt, seine Kniee zitterten. Auf den Knotenstock gestützt, stand er da und rang nach Atem, wobei sich ihm die Schultern vor Anstrengung hoben. Der bunte Shawl, den er um Hals und Kinn gewickelt hatte, verbarg sein Gesicht, so, daß wenig mehr davon zu sehen war, als ein paar scharfe, dunkle Augen, die unter buschigen, weißen Brauen hervorblickten, und ein langer, weißer Backenbart. Im Ganzen machte er den Eindruck eines wackern, alten Seemannes, der in Armut geraten war.

      »Was wollt Ihr, mein Freund,« fragte ich. Er schaute sich langsam und bedächtig um.

      »Ist Herr Sherlock Holmes zu Hause?«

      »Nein, aber ich bin sein Stellvertreter und werde jede Botschaft ausrichten, die Ihr für ihn habt.«

      »Ihm selbst habe ich sie zu bestellen.«

      »Aber ich sage Euch ja, daß ich ihn vertrete. Bezieht es sich auf Mordecai Smiths Boot?«

      »Ja. Ich weiß just, wo es liegt. Ich weiß auch, wo die Kerls sind, hinter denen er her ist. Und ich weiß, wo der Schatz ist. Ich weiß alles.«

      »Dann


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