Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
achtgeben! Nicht zum ersten Mal ist das passiert! Hier – sehen Sie die verschorften Kratzwunden am Hinterkopf? Dieses Kind wird nicht mehr lange in Ihrer Obhut sein!«
Christof verkniff sich jede Erklärung.
Solange er als der Übeltäter galt, würde Frau Doktor den Fall unnachsichtig ahnden. Ob sie es auch dann täte, wenn sie damit den Guzmans nahetreten müßte, schien ihm nicht ganz so sicher.
Erst brauche ich einen schriftlichen Bericht, dachte Christof, danach kann ich meine Karten offen auf den Tisch legen.
Drei Stunden später verließ er das Krankenhaus.
Miguel, dessen Köpfchen gesalbt und mit einem weißen Leinenhäubchen bedeckt war, lag mit weit offenen Äuglein in seiner rechten Armbeuge.
Die Dunkelheit sank, als sie in den Fond eines Taxis stiegen.
»Jetzt fahren wir zwei erst einmal nach Hause«, raunte Christof, »na, was hältst du davon?«
Das Kind musterte ihn mit grüblerischem Blick, als lausche es einem fernen Echo nach.
»Bei dem Streß, den du heute hattest«, fuhr Christof mitfühlend fort, »kann ich nicht erwarten, daß du mich wiedererkennst.«
Der Taxifahrer drehte sich um und warf seinem Fahrgast einen Blick voll milder Neugier zu.
»Ob der Kleine versteht, was Sie sagen, Senor?«
»Bestimmt nicht jedes Wort, aber vielleicht den Sinn.«
»Auch wahr«, stimmte der Fahrer bedächtig zu, »wenn wir nicht mit ihnen reden, wie sollten sie dann jemals lernen zu sprechen.«
In diesem Moment veränderte sich Miguels Ausdruck. Seine matten Züge belebten sich. Der Abglanz eines Lächelns erhellte sein Gesichtchen.
Christof mußte ein trockenes Schluchzen unterdrücken.
»Siehst du, so geht es immer«, flüsterte er, das Kind fest an sich drückend, »wenn ich traurig bin, habe ich trockene Augen, aber wenn ich mich ganz schrecklich freue, kommen mir regelmäßig die Tränen.«
In der Caille Trinidad stellte Kati gerade einen Korb mit Gemüse ab.
Sie wühlte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, ignorierte das ankommende Taxi und schloß die Haustür auf.
Es war schon nach sechs. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Außer dem Unterricht hatten die schulärztlichen Untersuchungen stattgefunden und etliche Elterngespräche.
Das Taxi hielt minutenlang und fuhr wieder ab.
»Hallo, Professora!« rief eine wohlbekannte Stimme. »Könntest du mir mal grade etwas abnehmen? Nur für ein paar Minuten.«
Kati schob den Korb ins Haus, drehte sich um und sah Christof mit einem Bündel über der Schulter auf sich zukommen.
Sie stand unschlüssig da, die Hände in die Hüften gestützt, stirnrunzelnd in die Dunkelheit starrend.
Plötzlich stieß sie einen unartikulierten Schrei aus, der Chico hinter einer Hecke hervorstürzen ließ.
»Miguel! Das ist ja mein Miguel! Um Gottes willen – was hat er denn? Ist er verletzt? Gib ihn mir bitte, Christof!«
»Ungern, äußerst ungern! Wir hatten uns gerade aneinander gewöhnt.«
Ganz kurz hielten sie sich umschlungen, alle drei, bis Kati den Kopf hob und einen gehetzten Blick in die Runde warf.
»Das ist doch nicht mit rechten Dingen zugegangen! Komm sofort ins Haus, damit uns niemand sieht!«
»Du meinst, ich hätte Miguel entführt?«
»Ja – nein – ich bin ganz durcheinander. Hauptsache, wir haben ihn wieder. Alls andere ist mir egal.«
Einträchtig ließen sie sich auf dem Sofa nieder.
Wie die heilige Familie, ging es Christof flüchtig durch den Sinn.
»Miguel«, flüsterte Kati, »mein armes Schätzchen! Du siehst ja ganz mitgenommen aus. Aber warte nur, das kriegen wir wieder hin. Alles wird gut, alles! Das verspreche ich dir.«
Still lag das Kind auf ihrem Schoß. Kein Schimmer des Erkennens lag in seinen tiefernsten großen Augen.
Mit brüchiger Stimme begann Kati ein Lied zu summen.
Ein Weihnachtslied. Kling Glöckchen, klingelingeling.
Da schien sich etwas zu regen.
Ein Händchen hob sich träumerisch. Ein Füßchen wippte zaghaft im Takt. Endlich, nach einer Ewigkeit von zehn Minuten, verklärte sich das kleine Gesicht zu einem Lächeln.
»Die Sonne geht auf«, murmelte Christof.
Kati legte ihre tränennasse Wange auf seine Schulter.
»Du hast ihn wiedergebracht. Das vergesse ich dir nie, und wenn ich hundert Jahre alt werde!«
»Großartig! Notfalls werde ich dich daran erinnern!«
Nach und nach gerieten Katis Gedanken in Bewegung.
»Wir brauchen Windeln, Milch, alles mögliche. Ein Glück, daß die Geschäfte sozusagen nie schließen. Sag mal, müssen wir vorsichtig sein? Darf außer Chico niemand wissen, daß Miguel hier ist? Bist du straffällig geworden? Mußt du vielleicht ebenfalls versteckt werden, Christof?«
»Würdest du es tun?«
»Aber selbstverständlich! Wie kannst du nur daran zweifeln!«
»Na dann«, sagte Christof und nahm das Kind auf den Arm, »geh du lieber einkaufen. Ich verschanze mich solange mit Miguel im Patio, für alle Fälle. Man kann nie wissen. Chico wird uns bewachen.«
Später, als Kati mit den Einkäufen zurück war, als sie das Bettchen aufgeklappt und entstaubt, das Kind gewindelt und gefüttert hatte, als es eingeschlafen war und Kati eine Hühnersuppe aufwärmte, die Serafina in den Kühlschrank gestellt hatte, sagte sie mit bebender Stimme: »Ich verstehe das nicht! Miguel konnte schon soviel. Er konnte sitzen, plappern, sich allein aufrichten. Nichts davon ist heute noch zu merken. Er muß schändlich vernachlässigt worden sein!«
»Deshalb«, versetzte Christof, »habe ich ihn mitgenommen, ohne die Guzmans zu fragen, auf eigene Verantwortung, einfach so…«
»Erzähl mir alles«, bat Kati und stellte die Suppenterrine auf den Tisch.
Christof füllte einen Napf für seinen Hund, sank wieder auf seinen Stuhl und begann mit gedämpfter Stimme zu berichten, vom ersten Hinweis, den ihm seine Mutter gegeben hatte, bis zu seinen Erlebnissen im Hause Guzman.
»Kann sein, daß wir Scherereien kriegen«, schloß er dann bedenklich.
»Die stehen wir durch«, sagte Kati mit großer Entschiedenheit, »wenn wir uns einig sind —«
»Genau. Ich habe übrigens meine Meinung geändert. Ich würde dich jederzeit heiraten, auch so – das heißt – nur Miguel zuliebe. Als ich heute mittag auf Marlons Terrasse stand und die Faust in der Tasche ballen mußte, statt ihm sofort beizustehen in seinem einsamen Kampf gegen ein Moskito-Geschwader, da bin ich mir so schäbig vorgekommen! Diese Tortur hätte dem Kind erspart bleiben können, wenn ich mehr Mumm gehabt hätte, wenn ich dich unterstützt hätte…«
»Christof!«
»Nein, laß es mich zu Ende bringen. Ist gar nicht einfach für mich – denn ein Gefühlsmensch bin ich ja eigentlich nicht.«
»Nein, nein, überhaupt nicht«, murmelte Kati und unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen, »du fütterst zwar grundsätzlich zuerst den Hund, bevor du selbst ißt, du schnappst dir das Kind und bringst es ins Krankenhaus, und ohne große Liebe kannst du dir keine Hochzeit vorstellen – aber ein Gefühlsmensch bist du eigentlich nicht!«
Christof strich sich verlegen durchs Haar.
»Tja, man hat nun mal ein bestimmtes Bild von