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Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.

Mami Staffel 2 – Familienroman - Gisela Reutling


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daß Kati beim ersten deutschen Tor ihre Hand mit dem Becher so heftig empor warf, daß die dubiose Cocktailmischung überschwappte. Der junge Hund schüttelte unwillig den Kopf und säuberte sich minutenlang die weiße Pfote.

      »Entschuldige bitte«, sagte Kati und kraulte ihm den Hals.

      »Er heißt Chico«, bemerkte Christof, »ich wette, er ist für Uruguay.«

      »Wahrscheinlich sind wir die einzigen, die für Deutschland sind«, mutmaßte Kati mit einem Blick in die Runde. Aber das deutsche Tor war allgemein bejubelt worden, und Christof meinte, in Montelindo schätze man den deutschen Fußball sehr. Für eine starke Mannschaft wie Uruguay habe man sich einen respektablen Gegner gewünscht. Außerdem sei es ein Gebot der Höflichkeit, in einem deutschen Haus dem Team des Gastgebers zu applaudieren. Fünf Minuten später fiel das erste uruguayische Tor, und der Beifall übertraf alles Vorhergehende.

      Chico sprang auf und bellte. Der Lärm war ohrenbetäubend.

      Christof verteilte weitere Cola-Dosen, das Spiel, durch Werbeblöcke unterbrochen, nahm seinen Verlauf.

      Katis Becher war leer, sie fühlte sich angenehm belebt, lehnte aber standhaft den nächsten Drink ab und nahm statt dessen eine Kokosnuß mit Strohhalm entgegen.

      In der Halbzeit stand es eins zu eins. Jeder Paß wurde kommentiert, jeder starke Spieler belobigt, egal, auf welcher Seite er stand. Dann wurde es ernst. Die Spannung stieg mit jeder Minute. Kati vergaß, daß sie sich so neutral wie möglich verhalten wollte, und als in der letzten Viertelstunde noch einmal der Schrei »Tor!« durch den vollbesetzten Raum hallte und Christof ihr im Überschwang der Begeisterung um den Hals fiel, weil es sich um ein deutsches Tor handelte, fand sie das ganz in Ordnung.

      Ebenso empfanden die Gäste, die etwas später, nachdem das zwei zu eins für Deutschland verkündet worden war, von einem Klasse-Spiel und einem verdienten Sieg sprachen.

      Statt enttäuschter Mienen zeigten die Leute von Montelindo strahlende Mitfreude, und als Christof aufsprang und Kati wie wild herumschwenkte, sangen sie alle aus voller Kehle die Macarena und klatschten den Takt dazu.

      »Toll, daß sie uns den Sieg so neidlos gönnen«, japste Kati.

      »Wieso? Ist doch klar. Wenn es umgekehrt ausgegangen wäre, hätten wir ja auch mit ihnen gefeiert! Hauptsache, man ist zusammen!«

      Gegen sechs Uhr, als es dunkel wurde, verlief sich die Gesellschaft, nur der Hund blieb.

      »Na, und du?« fragte Kati, die Indio-Decke ausschüttelnd und zusammenlegend.

      »Er geht später«, meinte Christof, »oder auch nicht.«

      »Wem gehört er denn?«

      »Keine Ahnung. Er läuft meistens mit den Kindern herum. Ab und zu läßt er sich im Eingang nieder.«

      »Fütterst du ihn?«

      »Natürlich. Er kriegt immer etwas von dem, was ich gerade da habe. Am liebsten sind ihm Tortillas mit Käse, wahrscheinlich ist er daran gewöhnt.«

      »Ach wirklich? Die habe ich gestern abend auch zum ersten Mal probiert.«

      »Und? Wie haben sie dir geschmeckt?«

      »Fremd, aber gut. Gibt es welche in der Nähe?«

      »Sicher, am Ende der Caille Trinidad, da, wo unsere Fußballfreunde wohnen. Wollen wir uns ein paar holen? Chico wird es uns bestimmt danken!«

      Etwas später saßen sie einträchtig am Tisch in Katis Patio, wohin ihnen der Hund gefolgt war, und teilten sich einen Stapel Tortillas.

      »Was hältst du von etwas Ketchup?« fragte Christof.

      »Gute Idee. Gestern, bei Dona Herta, gab es ein paar scharfe Fondue-Soßen dazu.«

      »Du warst bei Dona Herta?«

      »Ja. Kennst du sie?«

      Christof rollte eine Tortilla zusammen, reichte sie dem Hund und griff nach seiner Papierserviette.

      »Allerdings«, sagte er beiläufig, »sie ist meine Mutter.«

      *

      Der Tag, an dem Kati den kleinen Miguel erstmals auf dem Arm hielt, war der achte Oktober. In ihrem Terminkalender strich sie ihn rot an, obwohl es einer Erinnerungsstütze nicht bedurft hätte. Diesen Tag, der sie für Zähigkeit, Unermüdlichkeit und eine gewisse Flexibilität im Umgang mit bedeutenden und unbedeutenden Leuten, einheimischen Größen und Randfiguren belohnte, würde sie nie vergessen.

      Miguels rundes Köpfchen war dunkel beschattet, aber ohne Haarwuchs. Seine dunklen Augen blickten kummervoll in die Welt. Kein Lächeln stand in seinem fahlbraunen Gesichtchen. Seine Händchen, in Abwehr erhoben, senkten sich nur zögernd auf Katis Schulter, wo sie schlaff liegenblieben.

      Zwar war er nach den spärlichen Unterlagen, die über ihn existierten, fast acht Monate alt, aber noch mußte man seinen Rücken stützen, frei sitzen konnte er und durfte er nicht. Der Gedanke, ihn auf die Beinchen zu stellen, lag in unendlich weiter Ferne.

      »Man muß annehmen«, sagte Dona Dolores, »daß er bis zu seiner Ablieferung zwar unsachgemäß, aber liebevoll betreut worden ist. Sonst hätte er sich leichter bei uns eingelebt.«

      »Ich dachte, es wäre genau umgekehrt«, murmelte Kati, »nämlich daß alle seine Erfahrungen bisher schlecht gewesen sind.«

      »Genau weiß man es natürlich nicht«, erklärte Dona Dolores, an einem abgenutzten Schreibtisch sitzend, die schmalen Hände auf einen Aktenordner gelegt, »aber im allgemeinen kann man davon ausgehen, daß sie sich um so eher bei uns einleben, je geringer der Verlust ist, den sie erlitten haben. Miguel tut sich schwer, daran besteht kein Zweifel. Deshalb habe ich ihn sofort auf die Adoptionsliste gesetzt, aber bis jetzt hat sich niemand gefunden.«

      »Niemand?«

      »Nun, ein paar Leute haben sich natürlich gemeldet, das übliche halbe Dutzend, mit dem man bei einem männlichen Baby durchweg rechnen kann. Aber die meisten waren völlig undiskutabel, und auch den wenigen, die halbwegs in Frage gekommen wären, konnte ich ein Kind wie Miguel letzten Endes doch nicht anvertrauen. Sie können sich denken, daß ich mich mit solchen Entscheidungen nicht gerade beliebt mache.«

      Um Dona Dolores schmale Lippen spielte ein freudloses Lächeln. Ihre Augen, nachtschwarz wie ihr Kleid, bedachten Kati mit einem ironischen Blick.

      Auch du gehörst zu denen, die mich verwünschen, sagte dieser Blick.

      Kati schluckte trocken und preßte den kleinen, weichen Kinderkörper fester an sich.

      »Sie tragen sehr viel Verantwortung, Dona Dolores«, sagte sie langsam in gestelztem Spanisch, »man sollte Sie dafür bewundern, nicht verdammen.«

      Eine Weile blieb es still im kargen Büro der Waisenhausleiterin.

      »Sie würden mich nicht bewundern, wenn ich Ihnen sagte, daß ein zeitweiliges Herauslösen dieses Kindes aus der täglichen Routine, an die es sich ohnehin nur schwer gewöhnt, nicht mit meinen Prinzipien vereinbar wäre«, sagte Dona Dolores, diesmal ohne jeden Schimmer eines Lächeln, »und in der Tat —« sie griff nach einem Lineal und pflanzte es auf wie ein Bayonett, »es fällt mir schwer, die Dinge anders zu sehen.«

      Kati hielt den Atem an. Ihre Kehle war so trocken, daß sie kein Wort herausgebracht hätte, selbst wenn ihr eine passende Erwiderung eingefallen wäre. Der kleine Miguel dagegen gab einen gurgelnden Laut von sich, hob das Köpfchen von ihrer Schulter und krallte seine bisher schlaffen Fingerchen in ihr Haar. In diesem Moment fühlte Kati ungeahnte Kräfte in sich wachsen. Wirre Gedanken gingen ihr durch den Sinn. Eine Hand fest auf Miguels schwachen Rücken gelegt, ihre Wange an sein weiches Gesicht gepreßt, schwor sie, ihn an sich zu nehmen und bei sich zu behalten, komme, was da wolle, und wenn sie ihn entführen mußte.

      »Indessen«, fuhr Dona Dolores unbeeindruckt fort, »wenn ich die Hilfe betrachte, die Sie seiner Entwicklung zukommen lassen könnten, neige ich trotzdem dazu, Ihnen das Kind zeitweise zu überlassen. Und zwar deshalb,


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