Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
Vater lachend, doch das Töchterlein winkte mit der Geste einer Dame von Welt ab: »Laß nur, Papi, geht so besser.«
»Und kommt auf eins heraus«, lachte der Opapa in seinem dröhnenden Baß. »Du hast den Sinn erfaßt, Marjellchen! Aber was umspannt denn da dein molliges Ärmchen? Das sieht ja ganz nach einer goldenen Fessel aus.«
»Das schenke ich Tante Sil« erklärte das Mägdlein strahlend. »Das da unten, das ist meins.«
Damit tippte das rosige Fingerchen auf ein silbernes Kettchen am Handgelenk, doch darüber gleißte es von Gold und Edelsteinen. Als das tapsige Händchen dieses Kleinod abstreifen wollte, verfing es sich in dem silbernen Kettchen, und die Kleine lachte.
»Streif über, Tante Sil, dann sind wir beide zusammengebunden. Dann kannst du nis mehr weg, wie Anka sagt und ihre Mami. Auch nis mal bis Amerika.«
Man konnte sich ungefähr denken, was das Kind da aufgeschnappt hatte und nun in seiner Unschuld wiedergab.
Doch bevor noch ein Peinlichkeitsgefühl aufkommen konnte, griff schon eine nervige Männerhand zu, löste geschickt das Armband von dem silbernen Kettchen und streifte es rasch auf einen weichen, warmen Mädchenarm.
»Is aber von mir!« bemerkte das Mägdlein stolz.
Bevor es noch mehr ausplaudern konnte, warf Philchen eine trockene Bemerkung dazwischen, die sie alle herzlich lachen machte.
»Leider müssen wir zwei Mannsleut noch eine dringende Geschäftsreise machen«, erklärte der Hausherr, als man am Frühstückstisch saß. »Wir täten’s wahrhaftig nicht, wenn nicht so viel davon abhinge. Aber am Abend sind wir bestimmt zurück, und wenn es da gleich Eisklumpen hageln sollte.«
Nachdem man gefrühstückt hatte, sagte der Senior schmunzelnd: »Nun komm, mein Sohn. Begeben wir uns hinaus zur Mutter Natur, die alles so herrlich vereist hat. Wagen wir uns hinaus in die klirrende Kälte. Warum lacht ihr? Ich bin ja schließlich nicht umsonst der Vater meiner poetischen Tochter Thea.«
Und tatsächlich sagte diese, als sie gegen zehn Uhr mit dem Gatten im Elternhaus eintraf: »Daß wir uns in die klirrende Kälte hinausgewagt haben, sei euch ein Beweis, wie sehr wir an euch Lieben hängen. Viel lieber hätten wir den Eintritt des neuen Jahres im trauten Heim verlebt, von dem wir so viel Köstliches erwarten. Nicht wahr, Herzschätzelein?«
Der so zärtlich Benamste schwieg. Denn er war ein Philosoph – und zwar ein lächelnder. Immer nur lächeln, sagte er sich, das ist für mich bequem und tut anderen nicht weh. Seine Welt waren die Bücher, aus denen er Weisheit und Frieden schürfte. Alles andere lag in den Händen der Gattin, die für sein leibliches Wohl vorbildlich sorgte.
Und wenn sie überschwenglich wurde – nun, das nahm er mit lächelnder Nachsicht hin.
Von seiner Stieftochter Anka merkte er kaum etwas, da sich diese fast ausschließlich im Hadebrecht-Haus aufhielt. Aber was sollte werden, wenn nach sechs Monaten ein kleiner Schreihals die jetzt so friedliche Wohnung durchbrüllte? Das mußte man erst einmal abwarten.
Jetzt jedenfalls verhielt der Mann sich still, als die Gattin von dem kommenden kleinen Wesen schwärmte. Es würde bestimmt so sein, wie sie es sich wünschte. Das war die Zuversicht, die alle werdenden Mütter gemeinsam haben.
»Na, laß man, es wird schon werden«, brummte Philipp, dem die Überschwenglichkeit Theas allmählich auf die Nerven ging. Er wünschte seiner einzigen Tochter natürlich alles Glück auf Erden – aber im Augenblick lag ihm das des Sohnes viel mehr am Herzen.
Würde er heute endlich das Wort sprechen, das längst fällig war wie eine überreife Frucht? Worauf wartete der schwerfällige Junge denn noch? Etwa bis das Trauerjahr um Ilona vorüber war? Darauf brauchte er bestimmt keine Rücksicht zu nehmen.
Gewiß, sie hatte ihm einmal ein karges Glück gegeben, das jedoch schon endete, bevor es richtig begann. Was hinterher kam, war für den Mann ein mühsames Einlösen eines gegebenen Wortes.
Der Tod war barmherzig genug gewesen, ein Band zu lösen, das schon längst vermorscht war. Das Grab lag fern von hier. Wurde betreut von den Eltern, die damit an ihrem toten Kind gutmachen wollten, was sie dem lebenden stets schuldig geblieben waren.
Und das lebendige Vermächtnis der so wortreich Betrauerten? Nun, das lag jetzt wohlverwahrt in seinem Bettchen, neben dem noch ein zweites stand, in dem Anka friedlich schlummerte. Sie fühlte sich geborgener darin als in dem großen weißen Bett, das in ihrem neuen Elternhaus stand. Es war alles so kahl und leer in dem Stübchen, so gar nicht lieb und traut wie in dem, das der kleinen Base gehörte. Wenn diese auch noch ein kleines Dummchen war, mit dem ein Schulmädchen nicht ernsthaft reden konnte, aber sie war dennoch lieb – und das Bettchen, das neben dem ihren stand, weich und warm.
Voll Behagen kuschelte Anka sich in die Daunen. Mochte die Mami doch reden von Brüderlein und Schwesterlein – ihres war und blieb Ute, das süße Dummchen.
Mit dem zärtlichen Gedanken schlief Anka ein. Was unten vor sich ging, kümmerte sie nicht. Sie war ein Kind – und Kind sein, heißt froh sein. Das hatte Tante Silje einmal in einem der Märchen, die sie so lieb erzählen konnte, gesagt.
Seitdem war die Tante Silje für die neunmalkluge Anka ein Begriff – viel mehr noch als die Mami und der Papi, der ihr sowieso noch immer etwas fremd war. Ihre kleine Welt war und blieb das Hadebrecht-Haus, in dem sie auch heute aus dem alten Jahr ins neue sorglos hinüberschlummerte.
*
Indes saß man unten geruhsam beisammen, diesmal ohne die Gäste vom vorigen Jahr. Man hatte da ja eine gute Ausrede wegen Ilonas Tod.
Die junge Frau Bärbel hätte ja sowieso nicht kommen können, weil gerade heute der Storch ein kleines Mädchen in die bereitgehaltene Wiege plumpsen ließ, was den Gatten und auch die Eltern Bärbels beglückte. Da stand ihnen nun wahrlich nicht der Sinn danach, im fremden Hause das neue Jahr zu erleben.
Und die Seiflings? Nun, die mußten zu ihrem Mannerchen reisen, das sich augenblicklich auf der Hochzeitsreise befand. Ob das junge Paar sehr entzückt von dem Besuch der Eltern war, ließ sich allerdings nicht ergründen.
Und der Weltmann Bergau? Nun, der befand sich seit einiger Zeit wieder einmal im Bannkreis einer »Mondänen«.
Somit waren sie alle gut untergebracht die vor einem Jahr im Hadebrecht-Haus als Gäste Silvester feierten. Ohne sie war es auch sehr schön – wenn nur nicht Thea gewesen wäre, die in ihrer überschwenglichen Schwärmerei über das »Kommende« und »Beglückende« langsam zur Nervenfolter wurde. Bis der Vater schließlich eine Bemerkung machte, die seiner schwärmerischen Tochter gewissermaßen in die falsche Kehle geriet. Da zog sie sich tiefgekränkt zurück, setzte sich an den Flügel und spielte – Wiegenlieder.
Na schön, da war sie wenigstens gut untergebracht. Man hörte einfach nicht zu, sondern unterhielt sich angeregt, bis es draußen auf dem Fabrikgelände zu knallen begann. Da zog man sich die Mäntel an; trat auf den Balkon und ergötzte sich an dem sprühenden Schauspiel, das man schon so oft gesehen hatte und das doch immer wieder neu war.
Silje hielt sich hinter den anderen, weil sie die Tränen nicht sehen lassen wollte, die ihr trotz aller Beherrschung über die Wangen liefen. Sie mußte an ihre Mutti denken, an ihren Paps auch – und dann gab es da noch etwas, das ihr Herz so bitter weh tun ließ. Es tat allerdings schon lange weh, aber heute doch ganz besonders.
Erschrocken fuhr Silje zusammen, als zwei Hände rücklings ihre Oberarme umspannten. Sie wußte wohl, wem diese Hände gehörten, deren Wärme sie durch den Pelz zu spüren glaubte.
Ihr Herz tat tiefe, bange Schläge, als müßte es gesprengt werden von dem allmächtigen Gefühl, von dem es ausgefüllt war bis zum Rande. Langsam legte sie den Kopf zurück, bis er an seiner Schulter Halt fand.
Und dann fühlte sie zwei zuckende Lippen, die ihr unendlich zart die Tränen von den Wangen küßten. Es waren Augenblicke für die beiden Menschen, wie das Schicksal sie nur seine Lieblingskinder erleben läßt.
Die anderen hatten schon bemerkt, daß sich hinter ihrem