Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
das ist es nicht. Ich richte mich nur nach meinem eigenen Urteil und möchte dich fragen, ob du nicht findest, dass ich recht habe. Wenn der Boden hier einen Wert von dreitausend den Morgen hat, wie kommt es dann, dass der Staatsboden, wenn er wirklich etwas taugt, nicht weit von hier liegt und nur darauf wartet, dass die Leute ihn sich nehmen?«
Billy dachte eine Weile über diese Frage nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Schließlich räusperte er sich und erklärte:
»Nun, wir können ja abwarten und ihn uns erst einmal ansehen, nicht wahr?«
»Ja, das ist sehr richtig«, gab Saxon zu, »wir können abwarten und ihn uns erst einmal ansehen.«
Sie waren die gerade Landstraße über die Berge von Monterey gegangen, statt dem siebzehn Meilen langen Fahrweg an der Küste zu folgen, und deshalb standen sie plötzlich Angesicht zu Angesicht mit der Carmelbucht, ohne geahnt zu haben, welche Schönheit ihrer hier wartete. Sie gingen durch harzduftende Kiefernwälder, vorbei an waldumkränzten, fantastisch und primitiv eingerichteten Villen, die Künstlern und Schriftstellern gehörten, und sie gingen weiter über windumsauste, wogende Dünen, wo der Sand durch harte Lupinen festgehalten wurde und der blasse kalifornische Mohn im Winde nickte. Saxon stieß vor Verwunderung und Freude einen lauten Schrei aus, dann sah sie atemlos die wunderbare graublaue Farbe der Brandung schillernd von goldenem Sonnenlicht, die sich mit Lärm und Gepolter weißschäumend an einem halbmondförmigen Strande brach, dessen Sand kaum weniger weiß war.
Wie lange sie hier standen und auf den stolzen Zug der mächtigen Wogen schauten, die sich von dem tiefen, schaumbewipfelten Meer erhoben, um sich schließlich lärmend auf dem Sande zu ihren Füßen zu brechen, das wusste Saxon nicht. Sie wurde erst dadurch wieder in die Wirklichkeit zurückgerufen, dass Billy lachend begann, ihr den Rucksack, den sie auf dem Rücken trug, abzuschnallen.
»Du siehst aus, als hättest du Lust, einige Zeit hierzubleiben«, sagte er, »da können wir es uns ebenso gut gleich bequem machen.«
»Das hab ich mir nie träumen lassen, das hab ich mir nie träumen lassen!« sagte sie und presste bezaubert die Hände gegeneinander. »Ich – ich fand die Brandung bei Cliff House herrlich, aber sie gibt doch keine Vorstellung von dem hier. – Ach, sieh! Sieh! Hast du je eine so herrliche Farbe gesehen? Und das Sonnenlicht spielt gerade hindurch. Ach, Billy!«
Es dauerte lange, bis sie ihren Blick von der Brandung losreißen und über das Meer schweifen lassen konnte, das in tiefstem Pfaublau unter mächtigen Wolkenmassen bis zum Horizont, jenseits der Biegung des Ufers südlich von der unebenen Klippenspitze und bis zu der unebenen Linie von blauen Bergen reichte, die sich jenseits der weichen, niedrigen Dünen weiter oben im Carmeltal erhoben.
»Wir können uns ebenso gut gleich setzen und es uns bequem machen«, sagte Billy entgegenkommend. »Es ist zu schön, als dass wir gleich wieder weglaufen können.«
Saxon willigte ein und begann sich sofort die Schuhe aufzuschnüren.
»Willst du wirklich?« fragte Billy froh und überrascht und begann sich auch die seinen aufzuschnüren. Ehe sie aber barfuß auf dem schmalen schaumbedeckten Sande, wo Land und Meer sich trafen, laufen konnten, geschah etwas Neues und Wunderbares, das sich ihre Aufmerksamkeit zuzog. Aus dem dunklen Kiefernwald über den Dünen kam ein Mann gelaufen, der nur eine kleine Schwimmhose trug und sonst ganz nackt war. Seine Haut war blass und rosig, sein Gesicht ein richtiges Engelgesicht, eingerahmt von mächtigem gelben, lockigen Haar, aber sein Körper war so muskulös wie der eines Herkules.
»Nanu – das muss Sandow sein!« sagte Billy leise zu Saxon. Aber sie dachte an den Holzschnitt im Poesiealbum ihrer Mutter und an die Wikinger am feuchten Strande Englands.
Der Fremde lief in einer Entfernung von wenigen Metern an ihnen vorbei über den nassen Sand, ohne sich aufzuhalten, bis die Wellen ihm bis ans Knie reichten, während sich vor ihm eine Mauer von Wogen auftürmte, die mindestens zehn Fuß hoch war. So gesund und stark, wie sein Körper zuvor ausgesehen hatte, so weiß und zerbrechlich wirkte er in diesem Augenblick, da das Meer sich anschickte, ihn in seinen mächtigen Armen aufzufangen. Saxon war atemlos vor Angst, und als sie Billy einen verstohlenen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass sein Körper gleichsam in gespannter Erwartung erstarrte.
Aber der Fremde machte, als das Meer ihm entgegenschlug, einen Sprung, und im selben Augenblick, als er schon zerschmettert zu werden schien, tauchte er in die Brandung und verschwand. Die mächtigen Wassermassen fielen mit Lärm und Gepolter auf den Strand, aber dahinter tauchte ein goldhaariger Kopf auf, ein Arm erschien und ein Stück Schulter. Er konnte nur wenige Schwimmzüge machen, als er auch schon gezwungen war, sich in einem neuen Brecher zu ducken. Das war es, um was er kämpfte – das Meer zu erreichen, die Wogen, durch die Wellen hindurch, die mit Getöse zur Küste hasteten. Jedes Mal, wenn er tauchte und ihren Augen entschwand, presste Saxon die Hände gegeneinander. Zuweilen, wenn eine der mächtigen Wogen vorbei gezogen war, konnten sie ihn gar nicht finden, und wenn sie ihn schließlich sahen, war er weit fort geschleudert wie ein Schiff in der tosenden Brandung. Oft sah es aus, als müsste er es aufgeben und würde an den Strand geworfen, als aber eine halbe Stunde vergangen war, hatte er den äußersten Rand der Brandung hinter sich und schwamm mit starken Zügen, ohne zu tauchen, und beständig auf dem Gipfel der Wogen. Bald war er so weit fort, dass sie ihn nur hin und wieder als einen Punkt in der Ferne sehen konnten. Aber auch dieser Punkt verschwand, und Saxon und Billy sahen sich an, ganz erfüllt von Erstaunen über die Tapferkeit des Schwimmers, Billy mit leuchtenden Augen.
»Der kann schwimmen, der Junge, der kann schwimmen«, sagte er bewundernd. »Der hat keine Angst – nein! Weißt du, ich kann im Bassin schwimmen und in kleinen Wellen, aber jetzt will ich im großen Meere schwimmen lernen. Könnte ich das, so würde ich so stolz sein, dass du mir gar nicht nahe kommen dürftest! Ja, Saxon, das sage ich dir – das würde ich lieber tun, als tausend Bauernhöfe besitzen. Oh, ich kann auch schwimmen, sage ich dir, aber ich habe noch nie jemand schwimmen sehen wie den Burschen dort. Ich gehe nicht weg vom Strande, ehe er wiederkommt – ganz allein draußen in berghohen Seen – denk dir nur! Der hat Mut, Donnerwetter!«
Saxon und Billy liefen barfuß am Strande auf und ab, verfolgten sich mit Peitschen aus Tang, die sie durch die Luft schwangen, und spielten wie zwei Kinder. Das dauerte eine ganze Stunde, und erst als sie sich die Schuhe wieder anzogen, erblickten sie den gelben Kopf, der sich jetzt auf das Land zu bewegte. Billy stand dicht vor der Brandung, um ihn zu empfangen, und als er kam, war er nicht weißhäutig wie in dem Augenblick, als er sich in die Wellen gestürzt hatte, sondern kupferrot von den vielen Schlägen, die das Meer ihm