Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
tanzten sie viele, viele Stunden lang auf dem hölzernen Podium, und der Klavierspieler trommelte sich fast den Atem aus den Lungen. Beim Tanz flatterten den Männern Ohrenklappen mit bunten Quasten von den Wolfs- und Biberfellmützen um die Köpfe. Sie gingen in weichen Mokassins, aber die Mädchen trugen dünne Ballschuhe aus Atlas oder Seide, und manche hatten Abendkleider an, wie man sie auch in jedem Ballsaal der zivilisiertesten Welt zeigen konnte.
Im Hauptraum der Bar wurde nur Whisky und Bier getrunken, aber aus einem Nachbarzimmer hörte man das Knallen von Sektpfropfen und das Klirren zarter Kelche, zugleich das Gerassel von beinernen Spielmarken, das Schnurren der Roulette. An manchen Abenden wurden viele Zehntausende Dollars in Goldstaub dort umgesetzt, denn ein Mann, der viele harte Monate im verkrusteten Schlamm gewühlt und einen guten Fund gemacht hat, tobt sich gern bei Spiel, Champagner und Mädels aus.
Als Oberst Trethaway und Vance an den Bartisch traten, um sich die Gläser wieder füllen zu lassen, trafen sie dort auf ein neues Gesicht, das nicht zu übersehen war. Es war ein ungewöhnlich stattlicher und intelligent aussehender Bursche mit einer Wolfsfellmütze. Frauen hätten ihn mindestens hübsch genannt. Auf seinen Wangen glühte eine sympathische Wärme, und aus seinen Augen strahlte eine schöne, sanfte Glut. Der Mann war so aufgeräumt, wie man zur guten Stunde bei guten, starken Getränken nur werden kann. Er führte das große Wort; seine Stimme war ein wenig laut, aber sie klang angenehm. Seine Rede war voll Leben und Witz.
Als er sein Glas hob, passierte es, dass sein Nachbar ihn stieß. Er tat es unabsichtlich, aber so kräftig, dass dem Fremden das Glas entfiel und in Scherben ging. Während er sich den Wein vom Hemd wischte, brummte er ein grobes Wort, das gewiss so wenig böse gemeint war wie zuvor der Stoß, der es hervorgerufen hatte. Aber die Gemüter waren einmal erhitzt, ein »Chechaquo!« fiel nach dem anderen, und als das Schimpfen keinen Spaß mehr machte, bekam der Fremde einen Schlag ans Kinn Er taumelte gegen Vance; der Angreifer stellte sich mit geballten Fäusten vor ihn, um den Raufhandel fortzusetzen, und im Augenblick stand bei jedem der Männer ein Sekundant.
Die Mädchen zogen sich zurück; die Goldgräber hatten im Handumdrehen einen weiten Kreis geschlossen. Oberst Trethaway ernannte sich mit dem Anspruch seiner weißen Haare selbst zum Schiedsrichter, und nun sollte nach allen Gesetzen der edlen Kunst ein Boxkampf vor sich gehen, mehr Sport als Feindschaft.
»Los, gib ihm ein blaues Auge!« wurden die Kämpfer ermutigt, aber der hübsche Bursche in der Wolfsfellmütze und mit den tapferen blauen Augen bot plötzlich ein Bild, das Mitleid erregen konnte. Statt zu kämpfen – und auch ein schlechter Kampf mit faieren Mitteln wäre ihm nicht übelgenommen worden –, duckte er sich, deckte das Gesicht mit beiden Händen, und es war unverkennbar, dass seine Knie bebten.
»So gehen Sie doch in Stellung!« brüllte der Oberst ihn an, aber ebenso gut hätte er einen Schneemann zum Boxer gemacht.
Der Gegner hatte vielleicht Mitleid mit dieser armen Seele, aber er durfte sich, nachdem der Ring einmal abgesteckt war, nicht mit einem Scheinkampf begnügen. »Feiglinge! Schlappschwänze!« tönte es schon ringsum, und so landete er einen saftigen Schlag. Corliss wollte sofort eingreifen; er konnte nicht mit ansehen, wie ein völlig wehrloser Mann misshandelt wurde. Aber der Oberst wies ihn empört aus dem Ring.
»Was denken Sie! Hier habe ich das Kommando!«
Die ganze Angelegenheit sah nur deshalb so brutal aus, weil der Bursche, der mit der Zunge so tapfer gewesen war, sich auch dann nicht zur Wehr setzte, als das Blut ihm schon aus der Nase floss und eines seiner Augen dick verschwollen war. Doch jetzt konnte Corliss sich nicht länger beherrschen. Er warf sich dazwischen und nahm einfach den Angreifer auf sich. Sein Vorstoß kam so unerwartet, dass der Mann sofort zu Boden ging. Im Augenblick zerfiel die ganze Belegschaft der Kneipe in zwei Parteien. So offenkundig es gewesen, dass ein braver Mann gegen einen Feigling stand, waren doch viele der Meinung Vances, man dürfe einen Schwächling nicht zuschanden schlagen, ein Boxkampf müsse zwischen Gleichwertigen geführt werden. Die anderen waren der Meinung, im Ring habe kein Dritter etwas zu suchen. Nun kam eine Schlacht in Gang, in der jeder auf jeden losschlug und keiner nach Regeln fragte. Vance bekam eine steinharte Faust in die Zähne gefeuert und musste zu Boden, direkt neben den Mann, den er selbst eben zur Strecke gebracht hatte, aber dann machte sich Del Bishop ans Geschäft und mähte mit unwiderstehlichen Fäusten rings um ihn die Luft frei. Del Bishop stand seit kurzem in Vances Diensten, aber wie es im Norden unter weißen Männern ist, war er mehr sein Kamerad als sein Angestellter. Er war vielleicht der beste Mann im Saal, wenn es ans Raufen ging; das kam selten vor, aber wenn er zugriff, tat er es mit Schwung.
Oberst Trethaway vergaß seine sechzig Jahre und sein weißes Haar; er vergaß auch, dass er sich das Amt des Schiedsrichters angemaßt hatte. Statt Ordnung zu schaffen, griff er nach einem Schemel und stürzte sich ins dichteste Gewühl. Zwei dienstfreie Sergeanten von der berittenen Polizei schlossen sich ihm an. Der halb ohnmächtige Mann mit der Wolfsfellmütze, der den ganzen Skandal entfacht hatte, wurde in eine geschützte Ecke gezerrt; und jetzt waren lauter Männer unter sich, die einander mit echter Liebe zur Sache Kinnhaken und Rippengerade wuchteten, die ein zerschmettertes Nasenbein hinnahmen, ohne zu mucksen, und für jeden Schlag, den sie einsteckten, frisch befeuert zwei umso bessere zurückgaben.
Am anderen Ende der Bar wurde immer noch Whisky ausgezapft. Im Nebenraum spielte man wieder zum Tanz auf, und die Roulettespieler ließen sich nicht stören.
Corliss war längst wieder auf die Beine gekommen und drosch Seite an Seite mit Bishop auf fremde Schädel und fremde Gesichter ein, kämpfte aus purer Freude am Kampf mit Leuten, die er nicht kannte, und die ihm nie etwas zuleide getan hatten. Plötzlich geriet er mit einem sehnigen Hundetreiber in den Clinch. Aus dem Schlagwechsel wurde ein Ringkampf; die beiden fielen eng umschlungen zwischen all die stampfenden Füße. Corliss spürte den wütenden Atem seines Gegners im Gesicht, dann zuckte ein scharfer Schmerz durch seine Nerven. Der Mann hatte ihm, in diesem Augenblick mehr Wolf als Mensch, die Zähne in die Ohrmuschel gegraben – er ließ nicht los, noch eine Sekunde, dann hatte Vance kein Ohr mehr …
Wie in einer Vision sah er sich plötzlich als ein Gebrandmarkter durchs Leben gehen, ein Herr der Gesellschaft, der Wissenschaft, der bei einer Rauferei sein Ohr verloren hatte – unter den Zähnen eines besessenen Hundetreibers. Das war kein Männerkampf, das war tierische Roheit, gegen die jedes Mittel galt. Aufbrüllend stieß er zwei Finger in die Augen des Wolfsmenschen, bis der Mann vor Schmerz heulte und seine Zähne das Ohr freigaben. Dann lagen sie nebeneinander, fast unbeweglich. Der Kampf tobte über sie weiter, sie