Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
wieder auf die Beine gekommen war, taumelte unsicher und hilflos vor ihm hin und her. Der Schiedsrichter und der Polizist streckten beide die Hände nach Rivera aus, als er den letzten Schlag führte. Es gab keinen Grund zum Einschreiten, denn Danny blieb liegen.
»Zähl!« rief Rivera dem Schiedsrichter heiser zu.
Und als das Zählen beendet war, hoben die Sekundanten Danny auf und trugen ihn in seine Ecke.
»Wer ist der Sieger?« fragte Rivera.
Widerwillig ergriff der Schiedsrichter seine behandschuhte Hand und hielt sie hoch.
Rivera erhielt keine Glückwünsche. Ohne Begleitung ging er in seine Ecke, wo seine Sekundanten noch nicht den Feldstuhl für ihn hingesetzt hatten. Er lehnte sich gegen die Seile, sah sie erbittert an, ließ den Blick auf ihnen ruhen und ließ ihn dann über die Zehntausende von Gringos schweifen. Die Knie zitterten ihm, und er stöhnte vor Erschöpfung. Vor seinen Augen wogten die verhassten Gesichter hin und her in schwindelnder Übelkeit. Dann aber entsann er sich, dass sie Gewehre bedeuteten. Die Gewehre waren sein. Die Revolution konnte beginnen.
Der Schrei des Pferdes
Dies ist eine wahre Geschichte. Sie geschah in der Stierkampfarena von Quito. Ich saß in einer Loge mit John Harned, Maria Valenzuela und Luis Cervallo. Ich sah, wie es geschah, denn ich sah es von Anfang bis zu Ende.
Ich reiste auf dem Dampfer »Ecuadore« von Panama nach Guayaquil.
Ich bin Spanier – Ecuadorianer allerdings, aber ich stamme von Pedro Patino ab, einem von Pizarros Hauptleuten.
Es waren tapfere Männer. Es waren Helden. Hat Pizarro nicht dreihundertfünfzig spanische Ritter und viertausend Indianer auf der Schatzsuche tief in die Kordilleren geführt? Und starben nicht all die viertausend Indianer und dreihundert von den tapferen Rittern bei der vergeblichen Suche? Aber Pedro Patino starb nicht. Er blieb am Leben und begründete die Familie der Patinos. Ich bin aus reinem spanischem Blut.
Ich besitze viele Haziendas, und zehntausend Indianer sind meine Sklaven, wenn das Gesetz auch sagt, dass sie freie Menschen sind, die aus freiem Willen kontraktliche Arbeit leisten.
Das Gesetz ist eine komische Sache. Wir Ecuadorianer lachen darüber. Es ist unser Gesetz. Wir machen es selbst.
Ich bin Manuel de Jesus Patino. Prägen Sie sich diesen Namen ein. Eines Tages wird er Geschichte machen. Es gibt Revolutionen in Ecuador. Wir nennen sie Wahlen.
John Harned war Amerikaner. Ich traf ihn das erste Mal im Tivoli-Hotel in Panama. Er hatte viel Geld – das hatte ich gehört. Er ging nach Lima, aber im Tivoli-Hotel traf er Maria Valenzuela. Maria Valenzuela ist meine Cousine, und sie ist schön, wahrlich, sie ist die schönste Frau in Ecuador. Aber sie ist auch die schönste in jedem Lande – in Paris, in New York, in Wien. Alle Männer sehen ihr nach, und das tat John Harned auch mächtig hier in Panama. Er liebte sie, das ist Tatsache, ich weiß es. Sie war Ecuadorianerin, gewiss – aber sie gehörte eigentlich allen Ländern der ganzen Welt an. Sie sprach viele Sprachen. Sie sang – ach! wie eine Künstlerin. Ihr Lächeln – herrlich, göttlich. Ihre Augen – ach! Haben nicht alle Männer ihr in die Augen gesehen? Sie waren Verheißungen des Paradieses.
Maria Valenzuela war reich – reicher als ich, der ich doch für sehr reich in Ecuador gelte. Aber John Harned machte sich nichts aus ihrem Geld. Er hatte ein Herz – ein komisches Herz. Er war ein Narr. Er ging nicht nach Lima. Er verließ den Dampfer in Guayaquil und begleitete Maria nach Quito. Sie war gerade aus Europa zurückgekehrt. Ich weiß nicht, was sie an ihm fand, aber sie hatte ihn gern. Das weiß ich bestimmt, sonst würde er sie nicht nach Quito begleitet haben. Sie forderte ihn dazu auf. Ich erinnere mich dessen noch genau. Sie sagte:
»Kommen Sie nach Quito, und ich werde Ihnen einen Stierkampf zeigen – tapfer, schön, glänzend!«
Aber er sagte: »Ich gehe nach Lima, nicht nach Quito. Dahin lautet meine Fahrkarte.«
»Sie reisen doch zum Vergnügen, nicht wahr?« sagte Maria Valenzuela, und sie sah ihn an, wie nur Maria Valenzuela einen ansehen konnte, mit warmen, vielverheißenden Augen.
Und er reiste mit ihr. Nein, er kam nicht wegen des Stierkampfes. Er kam wegen dessen, was er in ihren Augen gesehen hatte. Frauen wie Maria Valenzuela werden einmal in hundert Jahren geboren. Sie sind Göttinnen. Männer fallen ihnen zu Füßen. Sie spielen mit Männern und lassen sie wie Sand durch ihre schönen Finger rinnen. Kleopatra soll eine solche Frau gewesen sein, und Circe auch.
Es kam alles daher, dass Maria Valenzuela sagte: »Ihr Engländer seid – wie soll ich sagen? – wild – nicht wahr? Ihr liebt das Boxen. Zwei Männer schlagen sich mit den Fäusten, bis ihre Augen blind und ihre Nasen gebrochen sind. Abscheulich! Und die anderen Männer, die zuschauen, sind ganz verrückt und toben vor Begeisterung. Das ist barbarisch!«
»Aber es sind Männer«, sagte John Harned, »und sie boxen zum Vergnügen. Keiner zwingt sie zum Boxen. Sie tun es, weil sie mehr Lust dazu haben als zu sonst irgend etwas auf der Welt.«
Maria Valenzuela – ihr Lächeln war zornig, als sie sagte: »Sie töten einander oft – ist es nicht so? Das habe ich in den Zeitungen gelesen.«
»Aber der Stier«, sagte John Harned, »der Stier wird oft und immer beim Stierkampf getötet, und die Stiere kommen nicht zu ihrem Vergnügen in die Arena. Es ist kein ehrliches Spiel dem Stier gegenüber. Er wird zum Kampf gezwungen. Aber der Boxer – nein, ihn zwingt keiner.«
»Eben deshalb ist er brutaler«, sagte Maria Valenzuela, »er ist ein Wilder, er ist ein Tier. Er schlägt mit seinen Tatzen wie ein Bär in seiner Höhle, und er ist grausam. Aber der Stierkampf – ach! Sie haben nie einen Stierkampf gesehen, nicht wahr? Der Toreador ist tüchtig. Er ist ausgebildet. Er ist modern. Er ist romantisch. Er ist nur ein Mensch, schwach und gebrechlich, aber er tritt dem wilden Stier entgegen. Und er tötet mit einem Schwert, einem schwachen Schwert, mit einem einzigen Stoß, so, gerade ins Herz der großen Bestie. Es ist herrlich. Man bekommt Herzklopfen, wenn man es sieht – der kleine Mann, das große Tier, die weite, mit Sand bestreute Arena, die Tausende von atemlosen Zuschauern! Das große Tier stürzt sich im Angriff auf ihn, aber der Mann steht wie eine Statue da; er regt sich nicht, er fürchtet sich nicht, und in seiner Hand blinkt die leichte Waffe wie Silber in der Sonne. Immer näher kommt das große Tier mit seinen scharfen Hörnern, und der Mann regt sich nicht. Aber dann – so – das Schwert blitzt, der Stoß sitzt, im Herzen, bis zum Griff, der Stier fällt in den Sand und ist tot, und der Mann ist unverletzt. Das ist tapfer. Es ist prachtvoll! Ach! – Ich könnte einen