Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.
sagte Holmes, mehr Turners Blick als seine Worte erwidernd, »es ist so. Ich weiß alles über den Tod Mc Carthy’s.«
Der alte Mann verbarg sein Gesicht in den Händen.
»Gott stehe mir bei!« rief er aus. »Den jungen Menschen hätte ich aber nicht ins Elend kommen lassen. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf – wäre er vom Gericht für schuldig erklärt worden, dann hätte ich alles gestanden.«
»Ich freue mich, das von Ihnen zu hören«, versetzte Holmes sehr ernst.
»Schon jetzt würde ich gesprochen haben, wäre es mir nicht um mein geliebtes Kind zu tun. Es hätte ihr das Herz gebrochen – es wird ihr das Herz brechen, erfährt sie meine Verhaftung.«
»Vielleicht kommt es nicht dazu«, sagte Holmes.
»Was?«
»Ich bin kein Gerichtsbeamter. Soviel ich weiß, war es Ihre Tochter, die mich hierherkommen ließ, und so vertrete ich Fräulein Turners Interesse. Der junge Mc Carthy muß natürlich freikommen.«
»Ich bin ein aufgegebener Mann«, sagte der alte Turner. »Seit Jahren leide ich an Zuckerkrankheit, mein Arzt hält es für fraglich, ob ich in vier Wochen noch lebe. Nur stürbe ich gern unter dem eigenen Dach – nicht im Zuchthaus.«
Holmes stand auf und setzte sich an den Tisch; er ergriff die Feder und legte einige Bogen Papier vor sich.
»Sagen Sie uns einfach die Wahrheit«, bat er. »Ich schreibe die Tatsachen auf; Sie setzen Ihren Namen darunter, und Watson hier dient uns als Zeuge. So kann ich Ihr Bekenntnis, sobald es unumgänglich nötig ist, um den jungen Mc Carthy zu retten, vorlegen; ich gelobe Ihnen jedoch, nur im äußersten Notfall davon Gebrauch zu machen.«
»Das geht«, meinte der alte Herr, »ob ich bis zu der Schwurgerichtssitzung noch lebe, ist fraglich, also kommt für mich wenig darauf an; nur meine Alice möchte ich vor der Schande bewahren. Und nun will ich Ihnen alles erklären.
Sie haben den Toten – diesen Mc Carthy – nicht gekannt! Es war der leibhaftige Teufel, das kann ich Ihnen wohl sagen. Gott bewahre Sie vor den Klauen eines solchen Menschen! – Seit zwanzig Jahren hielt er mich mit eisernem Griffe fest und hat mir das Dasein vergällt. Erst sollen Sie erfahren, wie ich in seine Gewalt kam.
Es war Anfang der sechziger Jahre, als ich in Australien unter die Goldgräber ging. Ich war noch ein junger Kerl, heißblütig, tollkühn, zu allem bereit; ich geriet in schlechte Gesellschaft, gewöhnte mich an das Trinken, hatte Pech mit meiner Grube, schlug mich in die Wälder und wurde, um es kurz zu sagen, was man hier einen Straßenräuber nennt. Wir waren unser sechs beisammen; lebten frei und wild – bald überfielen wir ein Lager, bald die Wagen, die nach den Minen fuhren. Mich kannte man als Black Jack of Ballarat, und unser Ballaratbund ist in der Kolonie noch heute nicht vergessen.
Eines Tages lauerten wir einem Zug mit Gold auf, der von Ballarat nach Melbourne ging, und griffen ihn an. Sechs Führer waren dabei und auch wir unser sechs – also stand die Sache fraglich. Beim ersten Anprall hoben wir vier Mann aus den Sätteln. Von den unsrigen fielen drei, ehe wir den Schatz erlangten. Ich hielt dem Führer des Zuges – eben diesem Mc Carthy – meine Pistole an den Kopf. Wollte Gott, ich hätte damals losgedrückt! Doch ich verschonte ihn, obwohl ich seine kleinen, boshaften Augen auf mich gerichtet sah, als wollten sie sich jeden meiner Züge einprägen. Es gelang uns, mit dem Gelde zu entkommen; wir waren nun reich und kehrten nach England zurück, ohne daß ein Verdacht auf uns fiel. Hier trennte ich mich von den bisherigen Gefährten und beschloß, von nun an ein ruhiges, ehrbares Leben zu führen. Ich kaufte dieses Landgut, das eben ausgeboten wurde, und war bemüht, das schlecht erworbene Geld aufs beste zu verwenden. Damals heiratete ich, doch starb meine Frau frühzeitig und hinterließ mir meine geliebte Alice. Schon als kleines Kind verstand sie es, mich auf den rechten Pfad zu leiten, wie das niemand außer ihr vermocht hatte. Kurz, ich begann ein neues Leben und tat, was ich konnte, um mein vergangenes Unrecht wieder gutzumachen. Das schien mir auch zu gelingen, bis ich Mc Carthy in die Klauen geriet.
Um Kapital anzulegen, war ich zur Stadt gefahren, da traf ich ihn in Regent-Street in dürftiger, zerlumpter Kleidung.
»Da sind wir, Jack«, sagte er und faßte meinen Arm, »du darfst uns künftig als deine Angehörigen betrachten. Wir sind unser zwei – ich und mein Sohn – und du wirst für unsern Unterhalt sorgen. Tust du’s nicht – nun so herrscht in England Gesetz und Recht, und die Polizei ist stets zur Hand.«
Die beiden kamen denn auch hierher; ich wurde sie nicht wieder los, und sie lebten von der Zeit an pachtfrei auf meinem besten Grund und Boden. Meine Ruhe war dahin, ich fand keinen Frieden mehr, kein Vergessen; wohin ich auch ging, so grinste sein schlaues Gesicht dicht neben mir. Je älter Alice wurde, um so schlimmer ward es, denn er merkte sehr wohl, daß ich meine Vergangenheit noch ängstlicher vor ihr als vor den Gerichten verbarg. Alles, was er brauchte, forderte er, und er mochte fordern, was er wollte, ich gab es ihm willig: Land, Geld, Häuser; schließlich aber forderte er, was ich ihm nicht zu geben vermochte – meine Alice.
Sein Sohn war herangewachsen und meine Tochter auch. Er wußte, daß meine Gesundheit untergraben war, und so dünkte es ihm ein guter Fang, wenn sein Junge zu meinem ganzen Besitz käme. Hierin aber blieb ich fest. Mc Carthy drohte. Ich war zum äußersten Widerstand entschlossen. Wir verabredeten uns zu einer Besprechung unten am Teich, der in gleicher Entfernung von meiner wie von seiner Wohnung liegt.
Als ich dort hinkam, fand ich ihn im Gespräch mit seinem Sohn; ich steckte mir eine Zigarre an und wartete hinter einem Baum, bis er allein sein würde. Als ich hörte, wovon zwischen ihnen die Rede war, stiegen Gift und Galle in mir auf; der Vater drang darauf, daß der Sohn meine Tochter heiraten solle, ohne im geringsten nach ihrem Willen zu fragen, gerade als wäre sie eine hergelaufene Dirne. Der Gedanke, daß alles, was mir lieb und teuer war, in den Händen eines solchen Mannes sei, trieb mich zum Wahnsinn. Vermochte ich denn nicht die Fesseln zu sprengen? Ich war ein dem Tode Verfallener, ein Verzweifelter. Wenn auch klaren Geistes und noch ziemlich kräftig, wußte ich doch, daß mein Schicksal besiegelt war. Ach, aber mein Andenken! meine Tochter! Beide waren gesichert, wenn es mir gelang, diese Lästerzunge zum Schweigen zu bringen. Ich tat es, Herr Holmes. Ich täte es wieder! Mein Unrecht war groß gewesen, aber ich hatte durch ein wahres Marterleben dafür gebüßt. Daß aber mein Kind in dieselben Fesseln geraten sollte, in denen ich geschmachtet, das war mehr, als ich zu ertragen vermochte. Ich schlug ihn nieder, und es reute mich nicht mehr, als sei er ein garstiges, giftiges Tier gewesen. Auf sein Schreien kehrte sein Sohn zurück; schon hatte ich den Schatten des Waldes erreicht, als ich umkehren mußte, um meinen Mantel zu holen, den ich bei der Flucht verloren hatte. So und nicht anders hat sich alles zugetragen.«
»Mir kommt es nicht zu, Sie zu verurteilen«, sprach Holmes, als der alte Mann den niedergeschriebenen Bericht unterzeichnete. »Möge uns Gott vor einer ähnlichen Versuchung bewahren.«
»Und was beabsichtigen Sie nun zu tun?«
»Im Hinblick auf Ihren Gesundheitszustand – nichts. Sie wissen ja selbst, daß Sie sich in kurzer Frist vor einem höheren Richter zu verantworten haben. Ich nehme Ihr Bekenntnis an mich; wird Mc Carthy verurteilt, so bin ich gezwungen, damit hervorzutreten, – wenn nicht, so wird es kein Menschenauge je erblicken, und mögen Sie tot oder lebendig sein, Ihr Geheimnis ist bei uns sicher aufgehoben.«
»So leben Sie denn wohl«, sprach der alte Mann feierlich. »Sie werden beide dereinst sanfter auf dem Sterbelager ruhen im Bewußtsein, daß Sie mich haben im Frieden scheiden lassen.« Zitternd und gebrochen wankte die Hünengestalt langsam hinaus.
»Gott stehe uns bei!« sagte Holmes nach langem Schweigen. »Warum spielt das Schicksal so tückisch mit den armen, hilflosen Erdenwürmern?«
James Mc Carthy wurde auf Grund zahlreicher Einwände freigesprochen, welche Holmes erhoben und dem Verteidiger zur Verfügung gestellt hatte. Der alte Turner lebte noch sieben Monate nach unserer Unterredung. Jetzt ruht er im Grabe, und aller Voraussicht nach werden Sohn und Tochter der feindlichen Väter ein glückliches Paar werden, ohne je zu ahnen, welche dunkle Wolke auf ihrer Vergangenheit lastet.