Der Klosterjaeger. Ludwig GanghoferЧитать онлайн книгу.
das zur Hälfte angefüllt war mit jenen zarten, weißen Blüten, die so schön und auch so kalt sind wie ein Wintermorgen. Dann wieder blickte das Mädchen lächelnd zu dem Jäger auf. „Es war eine rechte Plag! Seit dem Morgen bin ich auf den Füßen und hab doch kaum so viele Blumen gefunden, daß sie reichen für ein kleines Kränzl. Wir sind schon spät im Jahr, die meisten Stöck haben schon verblüht.“
„Für wen gehören die Rosen?“
„Für das Grab unseres lieben Herrn. Übermorgen ist Charfreitag.“
Eine Weile schwiegen die beiden. Haymo blickte zu dem leeren Kreuz empor; dann wieder sah er in die Augen des Mädchens und fragte: „Wer bist du?“
„Ich bin die Gittli![1] Und du?“
„Der Klosterjäger.“
„Der neue?“
„Ja! Und wo bist du zu Hause, Dirn?“
„Drunten im Klosterdorf.“
Haymo erschrak. „Aber Dirn! Wie willst du den Heimweg finden? Heut noch? Das ist ein Weg, den du nit wanderst in fünf Stunden. Und es wird eine finstere Nacht.“
„Ich weiß eine Sennhütt, von hier eine halbe Stund, dort will ich nächten.“
„Du wirst frieren. Die Nacht wird kalt.“
„Frieren?“ lachte sie. „Das Heu macht warm!“ Und da sie sich schon zum Gehen wenden wollte, nahm sie rasch ein paar Schneerosen aus dem Körbchen und schob sie zwischen die beiden eisernen Nägel, die im Fußbalken des Kreuzes staken. Einen stummen Gruß nickte sie dem Jäger noch zu, dann fing sie mit der Hand das flatternde Haar, wand es um den Hals und huschte davon. Ein paar Schritte nur, und sie war in die Senkung des Tales hinuntergetaucht.
Haymo stand und wartete; es währte lang; dann sah er sie weit drüben im Steintal zwischen den Büschen wieder zum Vorschein kommen; ihr Rotrock schimmerte noch hell aus dem sinkenden Dunkel. Nun blieb sie stehen und schaute zurück; so glaubte Haymo. Aber es dämmerte schon zu sehr, als daß er auf die weite Strecke ihr Tun noch hätte genau unterscheiden können. Jetzt war sie schon so klein wie ein roter Käfer in dunklem Buschwerk, und nun verschwand sie.
Noch immer spähte Haymo den Weg entlang, den sie gegangen. Dann atmete er tief, und sein Blick fiel auf die weißschimmernden Blüten am Kreuz.
Schneerose! Du echte Blume der Berge! Nicht minder schön und lieblich, als die rotglühende Almenrose des Sommers, und noch geheimnisvoller als der Sammetstern des Edelweiß. Schneerose! Wenn der Winter seinen weißen Mantel über alle Berge wirft, wenn alles Blühen erstirbt und alles Wachstum entschlummert, dann regt sich die keimende Kraft in den tief gesenkten Wurzeln dieser einzigen Pflanze, als wäre sie bestellt zur Hüterin des Lebens, damit es nicht ganz erlösche in der toten Zeit zwischen Herbst und Frühling. In frostiger Öde sprossen ihre Blätter, und zwischen Schnee und Eis entfalten sich ihre weißen Blüten. Und wandert zur Winterszeit der Tod durch die verschneiten Hochlandstäler, und berührt er ein unschuldig Kind mit seiner kalten Hand, dann klimmt die weinende Mutter empor zu den schimmernden Schneehalden und windet ihrem entschlafenen Liebling die weißen Rosen zum Kranz, als Sinnbild des ewigen Lebens.
Schneerose! Das ist Leben und Tod zugleich! Denn die Wurzeln dieser Pflanze bergen einen geheimnisvollen Saft, der kranke Herzen gesunden läßt und bleiche Wangen wieder färbt. Für jenen aber, der diese Arznei zu gierig genießt, wird sie zum tödlich wirkenden Gifte.
„Zwei Tröpflen machen rot,
Zehn Tropfen machen tot!“
So sagt der Volksmund — und während das sinkende Dunkel den weißen Rosenschimmer am Kreuze zu verschleiern begann, murmelte Haymo diesen Spruch vor sich hin, als überkäme ihn die Ahnung, daß die Zeit nicht fern wäre, in der ihm ‚zwei Tröpflen‘ nötig würden.
Über allen Bergen war der rote Schein erloschen; ein grauvioletter Duft ließ Himmel und Erde ineinanderschwimmen. Zu Haymos Häupten dunkelte schon die Nacht; nur fern im Westen zog sich über den Horizont noch ein grünlichgelber Lichtstreif, in den der gezackte Grat der Lattenwand sich schwarz hineinzeichnete.
Der Bergwald und die Gießbäche rauschten, dumpf sauste der Föhn, und unruhig fingen die erwachenden Sterne zu funkeln an.
[1] Brigitte.
2.
Eine Stunde hatte Haymo in der Nacht zu wandern, um seine Hütte zu erreichen. Als er dem Blockhaus näher kam, gewahrte er staunend, daß durch die halboffene Tür der rötliche Schein eines Herdfeuers leuchtete. Wer war zu Gast gekommen? Er beschleunigte den Schritt und trat in das Blockhaus.
Ein kleiner Raum. Die Balkenmauern des Hauses waren auch die Wände der Stube; mit dürrem Moos waren die Ritzen zwischen den Balken verstopft. Neben der Tür durchbrach ein winziges Fenster die Blockwand. Der niedere, aus Felsbrocken rohgemauerte Feuerherd nahm fast den vierten Teil des Raumes ein; an der Wand neben dem Herde stand das plump gezimmerte Bett, angefüllt mit Heu, darüber eine Wolfsdecke, ein Kissen aus Rehfell und ein großes, rauhhaariges Stück Loden; rings um die freien Wände lief eine Balkenbank, und in der Ecke neben dem Fenster stand der klotzige Tisch. An der Wand noch ein kleiner Schrein zur Aufbewahrung des Mundvorrates, über dem Herd zwei gekreuzte Stangen zum Trocknen der durchnäßten Kleider, neben der Tür zwei Holzzapfen für die Armbrust und das Wehrgehäng, ein Brett mit mancherlei Geschirr, und in der Ecke über dem Tisch ein Kreuz, dessen welker Blumenschmuck ebenso gebräunt war wie alles Gebälk; denn der Rauch des Herdfeuers hatte immer ein langes Weilen in der Stube, bis er durch die Ritzen der Blockwand und des Daches seinen Weg ins Freie fand.
Vor dem Herd, auf dem ein knisterndes Feuer flackerte, stand, mit der dampfenden Pfanne beschäftigt, der Laufbube des Klosters, ein etwa fünfzehnjähriger Bursch, hager, mit einem verschmitzten stulpnasigen Gesicht, die braunen Haare kurz geschoren; er war mit einem rauhhaarigen Wams bekleidet, das in Schnitt und Länge fast einer Kutte glich.
Als Haymo unter die Tür trat, grüßte ihn der Bub mit einem Kopfnicken und einem blinzelnden Blick. Vom Heubett erhob sich eine rundliche Gestalt, ein Mönch in der weißen Brudertracht der Augustiner, das wohlgenährte Bäuchl umschlungen von breitem Ledergurt; die genagelten Bundschuhe, die schon am Feuer zum Trocknen standen, hatte er durch Strohpantoffeln ersetzt. Er trat auf Haymo zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt; seine kleinen Augen zwinkerten, der Mund bewegte sich kauend, und über der knopfigen Nase und den kugeligen Backen lag eine Purpurglut, wie sie der Widerschein des Herdfeuers allein nicht erzeugen konnte.
„Willkommen, ehrwürdiger Pater!“ grüßte Haymo und zog die Kappe.
Walti, der Laufbub, kicherte zu diesem Gruß; der Mönch aber lachte: „Also du bist der Haymo, unser neuer Jäger?“
„Ja!“
„Glaub ich nit! Du? Was? Du willst ein Jäger sein? Ui jei![2] Mit dir hat Herr Heinrich was Schönes aufgegabelt. Ein Jäger muß Augen haben! Verstehst du? Aber du hast Augen wie eine Blindmaus. Sonst tätst du mich nit für einen Pater halten.“
Und Walti, den fettglänzenden Eisenlöffel schwingend, schrie dem Jäger ins Ohr, als hätte er einen Tauben vor sich: „Das ist ja nur der Frater Severin, unser Gärtner!“
O Spott des Namens! Severinus, das heißt zu deutsch der ‚Strenge‘, der ‚Ernsthafte‘ — und dieses Gesicht dazu und dieses