Om mani padme hum. Wilhelm FilchnerЧитать онлайн книгу.
wollte. Sein Ritt über den Pamir bezeugte zwar, dass er zu sportlichen Höchstleistungen fähig war und sich durchbeißen konnte, seine bisherigen Erfahrungen qualifizierten ihn jedoch keineswegs zum Expeditionswissenschaftler, sodass Drygalski ihn zusammen mit vielen anderen Bewerbern ablehnte.
Filchner hatte die Zeit der Rekonvaleszenz indes genutzt, um die überstandenen Abenteuer in seinem Erstlingsreisewerk »Ritt über den Pamir« niederzuschreiben, das 1903 in Berlin herauskam. Sven Hedin, den Filchner im Hause des Geographen Ferdinand von Richthofen in Berlin anlässlich einer Abendeinladung seiner Studenten kennengelernt hatte, verfasste ein Vorwort. Hedin, der auf seiner ersten Expedition vom Pamir aus durch die Wüste Takla-makan nach Tibet gezogen war, hatte auf seiner zweiten Expedition nach Zentralasien (1899–1902) 2000 km auf dem Fluss Tarim bis zum See Lop-nor zurückgelegt. Den anschließenden Versuch, bis nach Lhasa vorzudringen, musste er jedoch aufgeben. Hedin wurde Filchners großes Vorbild, was seine künftigen Expeditionen, Reisebücher und Selbstdarstellung im Allgemeinen anging.
Nicht nur die übliche Leserschaft von Abenteuerromanen und Reiseberichten lobte Filchners Werk, sondern auch der Chef des Großen Generalstabs der Armee, Graf von Schlieffen, gratulierte ihm zu seinem »hochbedeutenden Buch«, das in militärischen Kreisen sehr beachtet wurde. Bei einer persönlichen Begegnung mit Graf von Schlieffen antwortete Filchner auf die Frage, welche Disziplin in der militärischen Laufbahn ihn am ehesten reizen würde: »Das Vermessungswesen und das Studium fremder Völker!« Der Soldatenberuf und die wissenschaftliche Spezialausbildung sah er als die sich glücklich ergänzende Grundlage an, »vermöge derer ein Forschungsreisender seine Aufgabe erfüllen kann.« (Filchner 1950a, S. 41). Auch Prinzregent Luitpold von Bayern fand Gefallen an Filchners Pamirbericht, sodass er ihn mehrfach zu verschiedenen Geselligkeiten wie auch Tafelrunden zu viert in das Nymphenburger Schloss in München einlud.
Um seinen künftigen Lebensplan ausführen zu können, erweiterte Filchner zunächst seine Ausbildung und hörte sowohl 1901 als auch 1903 als Hospitant an der Technischen Hochschule (heute: Technische Universität München) Vermessungskunde bei Prof. Max Schmidt und Geographie bei Prof. Sigmund Günther. 1902 heiratete Filchner die Münchner Apothekertochter Ilse Ostermaier. Dieser Ehe entstammte die Tochter Erika (später verheiratete Schneider).
Als ihm ein längerer Urlaub von achtzehn Monaten in Aussicht gestellt wurde, begann Filchner mit der Planung einer neuen und diesmal wissenschaftlich ausgerichteten Expedition, die in den Jahren 1903 bis 1905 nach China und Osttibet führen sollte. Er ging nach Berlin, wo ihm sowohl Prof. Richthofen als auch Prof. Gustav Hellmann vom Preußischen Meteorologischen Institut bei den systematischen Vorbereitungen halfen. Deren Empfehlungen ermöglichten es, dass er in der Kartographischen Anstalt von Moisel und Sprigade arbeiten konnte und von Prof. Oswald Venske am Erdmagnetischen Observatorium in der Durchführung von magnetischen Messungen geschult wurde. Außerdem führte ihn Ernst Kohlschütter vom Reichsmarineamt in die astronomische Ortsbestimmung ein.
Für die Expedition stellte sich Filchner drei Aufgaben: »Erstens: erdmagnetische Erforschung von Nordosttibet, zweitens: Auslotung des bislang nur in groben Umrissen bekannten Sees Koko-nor (Qinghai-See, eines der größten Salzseen der Erde), und drittens: Durchquerung eines Gebietes, das sich vom Oring-nor, eines der Zwillingsseen des Matschu (Oberlauf des Gelben Flusses), in Ostrichtung den Matschu abwärts bis zur chinesischen Grenzstadt Sung-p’an-t’ing erstreckt.« (Filchner 1950a, S. 48). Die Anreise bis hin zur Basisstation, unterteilte sich in vier Abschnitte:
1. Fahrt im Hausboot auf dem Han-Fluss,
2. Überschreiten des Ts’in-ling-Gebirges
Filchners Reiseroute zu den Ngoloken durch Zentralasien (1903–1905), Quelle Filchner 1950a, S. 55 (vgl. Literaturangabe)
3. Wagenfahrt auf der großen Straße Si-an-fu – Lan-tschou-fu und
4. Marsch von Lan-tschou-fu nach Si-ning-fu.
Ursprünglich plante Filchner, die Expedition zusammen mit zwei befreundeten Offizierskameraden aus Berlin durchzuführen. Aber seine abenteuerlustige Frau wollte ihn nicht ohne sie ziehen lassen, sondern ihn selbstverständlich bis zur Basisstation an der tibetischen Grenze begleiten. Außerdem riet ihm Prof. Richthofen, die Expedition um seinen Schüler Albert Tafel, einen hervorragenden Geographen und Mediziner zu erweitern, der zusätzlich auch dem Schutze von Filchners Frau dienen könne. Fünf Expeditionsmitglieder würden jedoch die vorgesehene Minimalausstattung der Expedition erheblich erweitern, was die Kosten unnötig erhöhen und aus Filchners Sicht dem wissenschaftlichen Programm keineswegs nützen würde. So war er gezwungen, seinen Freunden schweren Herzens die Teilnahme aufzukündigen, obwohl sie ihn sehr gerne in das zum Teil noch völlig unbekannte Tibet begleitet hätten. Die Expedition wäre sicherlich anders verlaufen, hätte Filchner seine beiden Kameraden als ihm dienstlich untergeordnete Teilnehmer dabei gehabt anstelle des völlig unmilitärisch agierenden Tafel, der als Wissenschaftler Probleme lieber ausdiskutierte, anstatt Befehle ohne zu hinterfragen blind auszuführen. Wie der Geographiehistoriker Hanno Beck treffend bemerkte, waren beide »grundverschiedene Persönlichkeiten, die nicht zueinanderpassten, höchstens getrennt marschieren, aber kaum vereint schlagen könnten. Es wäre besser gewesen, sie wäre nicht gemeinsam gereist.« (Beck 1971, S. 38). Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem, das Filchner auch auf seiner nächsten Expedition begegnen sollte.
Richthofen, der zwischen 1868 und 1872 ganz auf sich gestellt in China sieben ausgedehnte Forschungsreisen durchgeführt hatte, erreichte mit seinem aus eigener Erfahrung sicherlich gutgemeinten Ratschlag allerdings das Gegenteil, denn Filchner (Sternzeichen Jungfrau) verkrachte sich mit dem um nur zwei Monate jüngeren Tafel (geb. 6. November 1877, Sternzeichen Skorpion) zutiefst. Ob Tafel während der Expedition mit Filchners Frau angebandelt hatte – Filchner spricht von einem Bruch des »gentlemen agreement« – sei dahingestellt. Jedenfalls war Filchner bis zu Tafels Tod im Jahr 1935 der Ansicht, dass dieser nie aufgehört habe, gegen ihn zu intrigieren und einen »Hetzfeldzug« zu führen. Aus Filchners kurz vor seinem Tod zusammengetragenen und von Kirschmer 1985 veröffentlichten »Feststellungen« geht hervor, dass das Verhältnis zwischen beiden Tibetforschern aus Todfeindschaft und Rachsucht bestand. Demnach hätte der von krankhaftem Ehrgeiz getriebene Tafel Filchners Fleiß und Ausdauer bei den täglichen Vermessungsarbeiten untergraben wollen und vieles getan, um die wissenschaftliche Ausbeute zu verringern. Dabei berichtete Filchner im Vorwort zu seinem Reisebericht »Rätsel des Matschu« (1907) noch recht positiv über seinen Begleiter, dessen Schneid und Tapferkeit er das Gelingen seines Unternehmens verdanke. Sie hatten in Tibet nicht nur Gefechte mit den räuberischen Ngoloken überstanden, sondern auch Schneefälle, schlechte Wege, schwierige Sumpfstrecken und Zeiten, die von Mutlosigkeit geprägt waren. Tafel erwies sich sogar als treibende Kraft und Seele der Unternehmung, wie es Filchner in seinem ursprünglichen Bericht auch nicht verleugnete. In der zweiten, gekürzten Buchfassung von 1925 (»Quer durch Ost-Tibet«) verschwieg er jedoch Tafels Anteil am Erfolg der Expedition völlig. In den dazwischenliegenden Jahren hatte sich die Feindschaft zwischen beiden Forschern extrem verschärft. Ähnliches kann man auch in seinem Buch »Tschung-Kue (1925) feststellen, in dem Filchner den ersten Teil der Expedition von Shanghai quer durch China zur nordwestlichen Grenzstadt Si-ning-fu beschrieb, wo er die Operationsbasis für die Expedition nach Osttibet einrichten wollte. Unter Mithilfe des noch zu Beginn seiner Karriere stehenden Schriftstellers Paul Gerhard Zeidler publizierte er in diesem Buch neben seinem Reisebericht zusätzlich noch einen auf persönlichen Erlebnissen und gedruckten Quellen basierten Einblick in das alte China, das aus damaliger Sicht kurz vor dem Zusammenbruch stand. Hier widmete Filchner mehrere Kapitel der Grenzstadt Si-ning-fu und der weiblichen Stellung im chinesischen Familienleben in Bezug auf Erziehung, Vermählung, Scheidung und Freitod. Allerdings veränderte er auch hier den Reisebericht dahingehend, dass er seine vom ihm kurz nach der Expedition geschiedene Frau nur sehr nebulös als »eine mir sehr nahestehende Dame« als Begleitung erwähnte, während er nicht umhin kam, Tafel zumindest an einigen Stellen namentlich aufzuführen.
Von den persönlichen Querelen einmal abgesehen, durchquerte Filchners Expedition erfolgreich das größte damals noch unbekannte Gebiet Zentralasiens. Mit großer Ausdauer und Beharrlichkeit führte er unterwegs umfangreiche