Dr. Norden Staffel 3 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
zu beruhigen. Auch wenn er weit weg schien, war es möglich, dass Teile seines Unterbewusstseins die schlechte Stimmung aufnahmen. Trotzdem brachte er es nicht über sich, Charlotte direkt abzuweisen. »Aber da ihr sowieso nicht mit ihm reden könnte wäre es vielleicht besser, wenn ihr nach Hause fahren und euch ausruhen würdet. Die nächste Zeit wird mit Sicherheit anstrengend genug werden«, versuchte er es auf diplomatische Art und Weise.
Doch wenn Dr. Norden gedacht hatte, die gestresste Freundin mit vernünftigen Argumenten überzeugen zu können, so hatte er sich geirrt.
»Kommt nicht in Frage«, lehnte Charlotte entschieden ab. »Ich bleibe auf jeden Fall bei ihm.«
»Gut«, stimmte Daniel nach kurzer Bedenkzeit schließlich zu. »Aber zuerst würde ich gern nach ihm sehen.«
Damit waren sowohl Charlotte als auch Teresa einverstanden und verabschiedeten sich von dem engagierten Arzt.
Während sie im Schwesternzimmer auf die Erlaubnis warteten, Bernhard zu besuchen, sah Charlotte versonnen auf die Uhr.
»Ach, du Schande!« Ihr kam plötzlich ein Gedanke in den Sinn. »Ich hab ja ganz vergessen, dass in einer halben Stunde ein paar Kunden kommen, um eine Reise zu buchen.«
»Dann ruf sie an und sag ab«, empfahl Teresa ihrer Mutter spontan.
Doch die Reisefachfrau schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Wir brauche jeden Auftrag.« Dabei wagte sie kaum, ihrer Tochter in die Augen zu sehen.
Teresa war sichtlich entsetzt.
»Spielt das denn im Augenblick eine Rolle?«, fragte sie schroff. »Da drüben liegt Papa im Koma, und du denkst an Geld?«
Diesen Einwand ihrer Tochter verstand Charlotte ausnahmsweise einmal.
»Ich weiß, dass das dumm klingt. Aber gerade jetzt können wir es uns nicht erlauben, einen Auftrag zu verlieren. Ich will, dass Papa die beste Reha bekommt, die es gibt«, erklärte sie leidenschaftlich und blickte durch das Fenster auf ihren schlafenden Mann. Mit dem Kopfverband, verbunden mit Kabeln und Schläuchen, wirkte er viel kleiner und verletzlicher als sonst. Ihr Herz zog sich zusammen vor Angst. »Selbst wenn ich sie aus eigener Tasche bezahlen muss.«
Auch Teresas Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»So viele Reisen kannst du in deinem Leben nicht mehr verkaufen, dass du Papa wirklich helfen kannst!«, entfuhr es ihr bitter.
Charlotte bekam diese Anspielung in den falschen Hals und lächelte sarkastisch.
»Das würde wahrhaft anders aussehen, wenn uns unsere einzige Tochter nicht im Stich gelassen hätte.«
Teresa zögerte. Ihr lag ein weiterer bissiger Kommentar auf den Lippen, den sie sich aber wohlweislich verkniff. Auf keinen Fall wollte sie einen Streit vom Zaun brechen. Nicht in dieser Situation. Und schon gar nicht in der Klinik.
»Ich fahr in den Laden und kümmere mich um die Kundschaft«, bot sie daher friedfertig an.
Einen Moment lang war Charlotte überrascht. Dann lächelte sie und nickte.
»Danke!« Mehr sagte sie nicht.
*
»Anneka, was ist denn mit dir los?« Als die Schwester ihres Freundes mit verweinten Augen in der Bäckerei Bärwald auftauchte, legte Tatjana Bohde sofort das Geschirrtuch zur Seite, mit dem sie die noch warmen Kaffeetassen aus der Spülmaschine abtrocknete. Zum Glück war das kleine Café im Augenblick leer. Tatjana eilte um den Tresen herum und legte fürsorglich den Arm um die schmalen Schultern der jungen Frau. »Du siehst ja aus wie ein Gespenst.«
»Vielen Dank für die Blumen«, lächelte Anneka schief und wischte sich mit dem Jackenärmel über die feuchten Wangen. »Aber wahrscheinlich hast du sogar recht. Genauso fühl ich mich nämlich auch.« Vom Weinen waren ihre Augen feuerrot, und die Wimperntusche war verschmiert.
Tatjana hingegen sah wie immer makellos aus. Ihre bestechend blauen Augen strahlten mit ihrer Haut um die Wette, sodass sich Anneka noch mehr fühlte wie ein hässliches Entlein.
»Das war wohl nichts mit dem neuen Oberteil und Leons faszinierten Blicken. Er hat es noch nicht mal bemerkt«, erklärte sie bitter und atmete den verführerischen Kaffeeduft ein, der durch die kleine Bäckerei zog.
Tatjana bemerkte es und deutete hinüber ins Café.
»Setz dich schon mal da hinten an den kleinen Tisch. Ich hol uns schnell Kaffee und ein paar Leckereien. Und dann erzählst du mir alles.«
Folgsam setzte sich Anneka auf die Bank und sah ihrer älteren Freundin dabei zu, wie sie mit schlafwandlerischer Sicherheit die Kaffeemaschine bediente und schließlich an den Tisch trat.Sie lächelte dankbar, als Tatjana ihr die Tasse in die Hand drückte, einen Teller mit gemischtem Gebäck auf den Tisch stellte und neben Anneka auf die Bank rutschte. Das heiße Getränk weckte wenigstens ein paar von Annekas Lebensgeistern wieder.
»Nicht nur, dass Leon eineinhalb Stunden zu spät gekommen ist. Er geht nächste Woche auch noch nach Australien«, platzte sie gleich darauf mit den entsetzlichen Neuigkeiten heraus.
Ein Glück, dass die Vorräte an Tränen inzwischen verbraucht waren. So konnte sie wenigstens halbwegs flüssig erzählen, was in dem Café vorgefallen war.
Tatjana wirkte entrüstet, aber nicht ganz so, wie Anneka es insgeheim erwartet hatte. Die empörten Schimpftiraden blieben aus.
»Na ja, du wusstest von Anfang an, dass ihm sein Sport wahnsinnig wichtig ist«, gab sie, vernünftig wie sie war, zu bedenken. »So hast du ihn kennen und lieben gelernt. Ohne sein Tennis wäre er nicht der Mann, der er ist.«
»Ja, schon!«, gestand Anneka kleinlaut und zupfte eine Rosine aus einem Rosinenbrötchen. »Die Leidenschaft für seinen Sport hat ihn schon zu was Besonderem gemacht. Aber ich dachte irgendwie, dass er nach der Bandscheibengeschichte ein neues Leben anfangen will.«
»Ach, Süße!«, seufzte Tatjana. Sie drückte Anneka an sich. »Ich weiß, es ist kein Trost. Aber vielleicht solltest du es nicht zu schwer nehmen. Manchmal tut es einer Beziehung auch ganz gut, wenn man sich nicht so oft sieht.«
Über diese Bemerkung musste Anneka dann doch lachen, auch wenn es ein freudloses Lachen war.
»Das mag ja gut und schön sein, wenn man schon länger zusammen ist wie Danny und du. Aber Leon und ich haben uns ja erst vor ein paar Wochen nach Jahren wiedergetroffen. Es wäre wirklich schön, ihn ein bisschen besser kennenzulernen«, stellte sie fest. Sie zupfte eine weitere Rosine aus dem süßen Gebäck und knabberte unglücklich daran.
»Da hast du natürlich auch wieder recht«, stimmte Tatjana dieser Ansicht zu und biss nachdenklich in eine Rosinenschnecke. Eine Weile kaute sie stumm. Dann huschte ein Leuchten über ihr Gesicht. »Vielleicht hat er einfach noch nicht gelernt, was es heißt, eine Bindung einzugehen. Schließlich ist er schon seit vielen Jahren von zu Hause weg und hatte kein Familienleben mehr. So was prägt natürlich.«
»Was meinst du damit?« Anneka legte den Kopf schief und sah Tatjana forschend an.
»Ich meine, dass du ihn mal ein bisschen aus der Reserve locken solltest. Vielleicht geht ihm dann auf, was ihm fehlen würde, wenn du plötzlich nicht mehr an seiner Seite bist. Geh mal nicht mehr bei jedem Telefonat ran. Steh nicht immer zur Verfügung, wenn er zufällig Zeit und Lust hat. Bleibe eine eigenständige Persönlichkeit«, machte sie einen vernünftigen Vorschlag.
Zu ihrer eigenen Überraschung musste Anneka plötzlich lachen.
»Dann habe ich ja instinktiv genau das Richtige getan«, grinste sie, schon wieder halbwegs getröstet, und erzählte Tatjana von ihrer kleinen Urlaubsschwindelei. »Ich war so sauer auf ihn, dass ich dachte, ich muss ihm zeigen, dass ich nicht auf ihn angewiesen bin.«
»Ich bin stolz auf dich!«, lobte Tatjana ihre jugendliche Freundin. »Und ich wette, dass das Ergebnis nicht lange auf sich war…" Ein dumpfes Klingeln unterbrach sie, und Anneka begann, in ihrer Tasche nach dem Mobiltelefon zu kramen. Als sie es herauszog, war der Anrufer