Schopenhauer. Kuno FischerЧитать онлайн книгу.
erste Aufenthalt in Frankfurt war womöglich noch trauriger als acht Jahre vorher sein Leben in München; er fühlte sich niedergedrückt und verdüstert, auch durch körperliche Leiden, und lebte so ungesellig, dass Monate vergingen, bevor er jemand sah, mit dem er sprach.
2. Annäherung an Mutter und Schwester
In dieser völligen Vereinsamung rührte sich die Sehnsucht nach den Seinigen, die seit kurzem (Juli 1829) aus Rücksichten der Ökonomie und Gesundheit Weimar verlassen hatten und an den Rhein gezogen waren, wo sie in ihrem Landhaus zu Unkel bei Bonn den Sommer und in Bonn selbst den Winter zubrachten. Eben war der Umzug nach Bonn zum zweiten Mal geschehen, als Adele Nachrichten von der Hand des Bruders empfing, der seit zehn Jahren für sie, seit siebzehn für die Mutter verstummt war. Sie antwortete sogleich, liebevoll und nachgiebig (Oktober 1831), wie sie auch schon vor Jahren bei ihrem gemeinsamen Freunde Osann, damals Professor der klassischen Philologie in Jena, besorgt und schmerzlich nach ihm geforscht hatte. Da sie der Mutter über den erneuten Briefwechsel Mitteilungen machen durfte, so schrieb auch diese wieder an den Sohn, und das unselige Missverhältnis hat wenigstens nicht in seiner vollen Schroffheit bis an das Ende fortbestanden; doch hat ein Wiedersehn, welches Adele sehnlichst gewünscht, nicht stattgefunden, obwohl es bei der räumlichen Nähe leicht zu bewerkstelligen war.
Das Leben der Schwester scheint nach jenem plötzlichen Glückswechsel sich immer mehr vereinsamt zu haben und ist von schwermütigen Stimmungen erfüllt, die sich in ihrem Brief aussprechen; sie macht dem Bruder Bekenntnisse, die in den ökonomischen Differenzen, welche früher obgewaltet hatten, ihm Recht geben. Sein damaliger Gemütszustand erhellt aus dem Brief der Mutter vom 20. März 1832: »Was Du über Deine Gesundheit, Deine Menschenscheu, Deine düstere Stimmung schreibst, betrübt mich mehr, als ich Dir sagen kann und darf. Du weißt, warum. Gott helfe Dir und sende Dir Licht und Mut und Vertrauen in Dein umdüstertes Gemüt.«168
Noch stand es bei ihm keineswegs fest, dass er Berlin für immer verlassen haben wollte; die Mutter hatte schon den 6. Februar 1832 zur Rückkehr gemahnt, weil man jetzt am Rhein der Ankunft »der asiatischen Hyäne« entgegensehe. Der Tod Hegels, der den 14. November 1831 an der Cholera gestorben war, hätte für Schopenhauer wohl ein Beweggrund sein können, noch einmal seine Lehrtätigkeit zu versuchen. Indessen konnte er sich nicht dazu entschließen und kündigte für das Wintersemester 1831/32 zum letzten Mal eine Vorlesung an, die er nicht hielt. Nunmehr gab er auch den Namen eines Dozenten für immer auf und ging für die nächste Zeit, beinahe ein Jahr, nach Mannheim (Juli 1832 bis Juni 1833).169
Nachdem er hier Ort und Gesellschaft zur Genüge kennen gelernt hatte, stellte er zwischen den beiden Städten, die er zuletzt bewohnt, eine gründliche Vergleichung an, wog ihre Vorteile und Nachteile in einer langen Liste gegeneinander ab, schriftlich und auf englisch, und kehrte im Juni 1833 nach Frankfurt zurück, um diesen Ort nicht wieder zu verlassen. Die dortigen Witterungsverhältnisse behagten ihm, und er fand A. v. Humboldts Ausspruch gerechtfertigt, dass in Ansehung des Klimas sich Frankfurt zu Berlin verhalte wie Mailand zu Frankfurt.170
3. Die Niederlassung in Frankfurt
Er hatte noch 27 Jahre vor sich. Die Geburtsstadt Goethes wurde Schopenhauers Eremitage. Hier lebte er wie Descartes in Holland, nur waren die Grundstimmungen beider Philosophen sehr verschieden. Während jener seine Einsiedelei liebte und sich glücklich pries, in bevölkerten Städten völlig unbekannt, darum ungestört zu leben und dem Ruhm aus dem Wege zu gehen, verzehrte sich dieser im brennenden Durst nach Ruhm und sah in der Menschenwelt, die ihn umgab, ohne ihn zu kennen, eine Wüste. Wo er bemerkt wurde, galt er als ein Sonderling. Wo er genannt wurde, hieß es nicht: »Das ist Arthur Schopenhauer, der berühmte Verfasser der ›Welt als Wille und Vorstellung‹«, sondern: »Das ist der Sohn der berühmten Johanna Schopenhauer«. Während die Mutter mit der Gesamtausgabe ihrer Werke beschäftigt war, sah der Sohn die seinigen in die Nacht der Vergessenheit sinken.
Werfen wir einen Blick auf sein äußeres Leben, um nicht wieder darauf zurückzukommen. Mit Ausnahme einer viertägigen Rheinreise, die bis Koblenz ging (August 1835), hat er seinen Wohnort nicht mehr verlassen, denn eine gelegentliche Fahrt nach Mainz oder eine nach Aschaffenburg (um das pompejanische Haus zu sehen) zählten nicht als Reisen. Es gibt verschiedene Arten menschlicher Narrheiten, welche uns die deutschen Satiren des sechzehnten Jahrhunderts sehr anschaulich geschildert haben; es gibt auch verschiedene Arten von Teufeln, die bei unseren Narrheiten die Hand im Spiel haben. Eine der modernsten Teufelarten ist nach Schopenhauers treffender Benennung »der Reiseteufel«. Dieser hat ihn während seiner letzten fünfundzwanzig Lebensjahre nicht mehr heimgesucht. Mit den Wanderjahren war es für immer zu Ende.
Erst als er zweiundfünfzig geworden war (1840), schaffte er sich eigenes Mobiliar an und begann sich häuslich einzurichten bis auf die Mahlzeiten, die er stets im Gasthaus nahm; er wohnte Parterre, um im Fall einer Feuersbrunst sich leichter retten zu können. Während der letzten siebzehn Lebensjahre (1843 – 1860) hatte er seine Wohnung am rechten Mainufer (»Schöne Aussicht«), dem deutschen Ordenshaus in Sachsenhausen gegenüber, wo ein halbes Jahrtausend früher als Kustos und Priester der Verfasser der deutschen Theologie gewohnt haben sollte. Dieses Gegenüber tat ihm wohl, denn er sagte gern: »Buddha, der Frankforter und Ich«. Er zog den »Frankforter« selbst dem Meister Eckart vor, den er übrigens erst spät kennen gelernt hat. Das deutsche Herrenhaus nannte er, weil es einst den Verfasser der deutschen Theologie beherbergt hatte, »die heiligen Hallen«.
Sein Zimmer wusste er sich allmählich so auszuschmücken, dass sein Blick überall auf Gegenstände traf, die seine Gesinnungsart und Lehre verkündeten. Unter den tierischen Willenserscheinungen waren ihm die interessantesten und liebenswürdigsten, ohne welche das Menschenleben in seinen Augen viel von seinem Reiz und Wert eingebüßt haben würde, die Hunde, die treuen und klugen Freunde des Menschen, ganz besonders die Pudel. Rings an den Wänden sah man eine Galerie von Hunden unter Glas und Rahmen, sechzehn an der Zahl, als er zuletzt noch aus München das Bild des berühmten Mentor erhalten, der ein Menschenleben gerettet und die Medaille verdient hatte. Der einzige ihm unentbehrliche Stubengenosse war der Pudel, der auf einem Bärenfell zu seinen Füßen lag; als der schöne große weiße an Altersschwäche gestorben war, kam ein brauner an seine Stelle171; der Pudel hieß »Âtma« (Weltseele), als der lebendige Ausdruck der Lehre vom Brahm nach dem Oupnek’hat, welches aufgeschlagen auf dem Tisch lag. – An der Wand hingen die Bildnisse von Descartes und Kant, der beiden ihm verehrungswürdigsten Philosophen der neuen Zeit, auch das von Matthias Claudius wegen eines pessimistischen Aufsatzes, der ihm teuer war. – Er konnte nicht oft und nachdrücklich genug wiederholen, dass das letzte Jahrhundert zwei wahre und echte Genies erzeugt habe: Kant und Goethe. Goethes Ölbild hing über seinem Sofa, Kants Büste von Rauch stand auf seinem Schreibpult; er hatte sie bei Rauch bestellen lassen mit der ausdrücklichen Hervorhebung, dass sie »für den wahren und echten Thronerben Kants« bestimmt sei.
Es fehlte noch ein Schmuck, der höchste: das Bild des Buddha! Endlich kam die Statuette an, in Paris gekauft, in Tibet gegossen, von Bronze, schwarz lackiert; sie wurde von diesem Überzug befreit, auf eine Marmorkonsole gestellt, und hier thronte nun in der Ecke des Zimmers, glänzend wie Gold, der allerherrlichst Vollendete, »orthodox dargestellt mit dem berühmten sanften Lächeln«. Seit dem 30. Oktober 1851 stand die Büste Kants auf dem Schreibpult, seit dem 13. Mai 1856 die Statuette Buddhas auf der Konsole in der Ecke des Zimmers, welches nunmehr auch den Anspruch hatte, »die heiligen Hallen« zu heißen. Es gereichte dem Philosophen zu inniglicher Befriedigung, dass sein Buddha hoffentlich tibetanischen und nicht chinesischen Ursprungs war wie ein anderer, im Besitz eines reichen Engländers befindlicher, mit dem er den seinigen sorgfältig verglich. Aus Tibet, dem Reich des Lamaismus! Wenn er seinen Pudel »Âtma« rief, vergegenwärtigte sich ihm der Pantheismus und das Oupnek’hat; wenn er das tibetanische Götzenbild anblickte, lächelte ihm sanft der Atheismus und Pessimismus entgegen.172
In allem Übrigen war, dem Vorbild Kants gemäß, sein Lebenslauf nach Gesundheits- und Arbeitszwecken genau geregelt, und ein Tag ging wie der andere.
II. Die handschriftlichen Bücher
Seit seiner