Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
sie sich so geborgen wie in seiner Nähe. Das wurde ihr spätestens jetzt wieder schmerzlich klar. Bernd hatte nichts von seinem Zauber verloren, den er schon vor achtzehn Jahren auf sie ausgeübt hatte. Doch wenn sie eine Chance haben wollte, musste sie ihm die Wahrheit sagen.
»Darf ich dich in die Klinik bringen?«, fragte er in ihre Gedanken hinein. »Dir beistehen? Für dich da sein?«
Schnell schob Becky ihre Bedenken beiseite und lächelte ihn strahlend an.
»Vielleicht ist das genau das, was ich tief in meinem Innersten gehofft habe.«
*
An diesem Morgen waren der Sturm und die aufregende Nacht Gesprächsthema Nummer eins an Bord der Carribean Pearl. Daniel und Fee Norden hatten sich mit ihrem Sohn verabredet und saßen auf der Terrasse der Brasserie ›French Connection‹ unter einem Sonnenschirm. Zwischen den Tischen wiegten sich exotische Pflanzen in der weichen Meeresbrise. Von links und rechts wehten die aufgeregten Erzählungen der anderen Passagiere zu ihnen herüber. Felix schien der Einzige zu sein, der nichts von der Aufregung mitbekommen hatte.
»Fehlen nur noch die Papageien, und ich glaube sofort, dass ich schon in der Karibik bin«, schwärmte er.
Er lehnte sich im Stuhl zurück und streckte die Beine aus.
»Das wäre ja um ein Haar schief gegangen«, gab sein Vater zu bedenken und nahm ein Brötchen aus dem reich bestückten Brotkorb. »Du hattest gar nicht so unrecht mit deiner Marie Chantal.«
Felix sah seinen Vater an und zog eine Augenbraue hoch.
»Marie Celeste«, korrigierte er ihn. »Ich wusste gar nicht, dass der Verfall bei dir schon so weit fortgeschritten ist. An deiner Stelle würde ich mir langsam Sorgen machen.« Ohne seinen Vater aus den Augen zu lassen, streckte er die Hand nach seinem Glas Orangensaft aus.
»Ich möchte mal wissen, wer hier zusehends verfällt. Du hast ja noch nicht mal was von dem Sturm mitbekommen«, konterte Daniel gut gelaunt. »So einen Tiefschlaf haben im Normalfall nur Tote.«
»Nur kein Neid«, grinste Felix unbeeindruckt. »Auch Menschen mit gutem Gewissen können gut schlafen.«
Fee zögerte nicht, sich dieses Stichwort sofort zunutze zu machen.
»Dein Vater sollte in der Tat ein schlechtes Gewissen haben«, erklärte sie.
Daniel erschrak. Noch immer hatte er seiner Frau nicht von Lars‘ Vorschlag erzählt. Sie konnte also nicht wissen, mit welchen Gedanken er sich herumschlug. Oder hatte sie ihn längst durchschaut?
»Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?«, fragte er scheinheilig und sah Fee dabei zu, wie sie in aller Seelenruhe ein Brötchen mit einer Scheibe Käse belegte und mit einer Tomate garnierte.
An diesem Morgen trug sie ein hellgelbes Kleid mit weißem Muster. Der Wind strich ihr um die Beine, und der Rocksaum umspielte ihre Knie. Um ihren Mann ein bisschen auf die Folter zu spannen, biss sie zuerst in ihr Brötchen.
»Weil du so lange mit Danny über diese Patientin gesprochen hast«, ließ sie endlich die Katze aus dem Sack. Über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg schickte sie ihm einen tadelnden Blick. »Dabei hatte wir uns erst gestern Abend einen arbeitsfreien Urlaub versprochen.«
Felix lachte.
»Das kann nur deine Idee gewesen sein«, mutmaßte er.
»Stimmt!« Fee stimmte in das Lachen ihres Sohnes mit ein, ehe sie sich wieder ihrem Mann zuwandte. »Wer ist denn überhaupt diese Rebecca Salomon?« Sie dankte der aufmerksamen Kellnerin, die an den Tisch gekommen war, um Kaffee nachzuschenken und benutztes Geschirr mitzunehmen.
Felix schenkte der jungen Frau in Uniform ein strahlendes Lächeln.
»Ist sie genauso hübsch wie die Mädels hier an Bord?«, ergänzte er die Frage seiner Mutter.
Nachdenklich wiegte Daniel Norden den Kopf.
Schon beim Telefonat mit Danny hatte er versucht, sich an Rebecca Salomon zu erinnern. Da ihn der Fall damals sehr berührt hatte, war es ihm schließlich gelungen, sich ihr Bild ins Gedächtnis zu rufen.
»Es ist achtzehn Jahre her, dass ich sie zuletzt gesehen habe. Aber damals, ja, damals war sie eine sehr aparte junge Frau.« Er nickte versonnen und schob eine Gabel Rührei in den Mund. »Sie hatte eine Menge Probleme. Eine rätselhafte Krankheit, eine kontrollsüchtige Mutter, einen Freund, der sie mit seinen Wünschen unter Druck setzte. Und dann ist sie zu allem Überfluss auch noch schwanger geworden. Das war eindeutig zu viel für die Ärmste.«
Während sie an ihrem Kaffee nippte, hatte Fee ihrem Mann aufmerksam zugehört.
»Was ist dann passiert?«
»Wenn ich das so genau wüsste«, musste Daniel einräumen.
»Mum, bitte«, mischte sich Felix grinsend in das Gespräch ein. »Überforder doch den alten Mann nicht.«
»Der alte Mann zeigt dir gleich, wo der Hammer hängt«, warnte Daniel in Richtung seines Sohnes, ehe er sich wieder an seine Frau wandte. »Ich habe ihr damals dazu geraten, das Kind nicht abtreiben zu lassen, sondern auszutragen. Dann hätte sie immer noch entscheiden können, ob sie es behalten oder doch lieber zur Adoption freigeben will.«
»Wofür hat sie sich entschieden?« Endlich war auch Felix‘ Interesse geweckt.
Doch diese Frage konnte Daniel nicht beantworten.
»Ich weiß es nicht. Eines Tages kam sie nicht zu einem Termin, und ich habe sie nie wieder gesehen. Irgendwann habe ich erfahren, dass sie nach Äthiopien gegangen ist.«
»Und jetzt taucht sie plötzlich wieder in der Praxis auf.« Felix hatte die Stimme gesenkt und machte Handbewegungen wie ein Magier. »Mysteriös, mysteriös!«
Ohne es zu wollen, musste Fee lachen.
»Kannst du eigentlich nie ernst sein?«
»Nein. Warum auch?«, fragte er, von einem Ohr bis zum anderen grinsend zurück. Er streckte die Arme hoch in die Luft, um sich zu strecken. »Haben wir nicht allen Grund dazu, fröhlich zu sein und das Leben zu genießen?«
Ehe seine Eltern seine Frage beantworten konnten, fiel sein Blick auf ein Mädchen, das nicht weit entfernt an ihrem Tisch vorbeiging. Offenbar war sie gerade am Buffet gewesen. Ihr konzentrierter Blick ruhte auf dem vollen Teller, den sie in einer Hand balancierte. In der anderen hielt sie ein Glas Multivitaminsaft, wie aus dem kräftigen Orange zu schließen war.
»Oh, das ist Lilli. Würdet ihr mich bitte für einen Augenblick entschuldigen?«, fragte er und war schon aufgestanden, ehe seine Eltern eine Antwort geben konnten. »Dann störe ich euer ernstes Gespräch auch nicht mehr mit unqualifizierten Kommentaren«, lachte er. »Wir sehen uns später am Pool.«
Er beugte sich über seine Mutter, um sie auf die Wange zu küssen, und zwinkerte seinem Vater zu, um gleich darauf Lilli in gebührendem Abstand zu folgen.
Ungläubig sah Fee ihrem Zweitältesten nach, wie er lässig und mit den Händen in den Hosentaschen davonging.
»Ich frag jetzt nicht noch mal, wo wir ihn herhaben«, lächelte sie.
»Wir kämen ohnehin immer nur zu demselben Ergebnis«, erwiderte Daniel.
Belustigt beugte er sich vor und nahm ein Croissant aus dem Brotkorb.
Fee tat es ihm nach.
»Aber Felix hat recht. Warum ist diese Rebecca Salomon jetzt doch wieder in die Praxis gekommen?«, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf.
Daniel sah seiner Frau dabei zu, wie sie Butter und Marmelade auf ihr Croissant strich.
»Laut Danny hat sie diese ominöse Krankheit zurückgetrieben«, erinnerte er sich an das, was ihm sein Sohn und Partner erzählt hatte. »Nach den ersten Untersuchungen tappt er noch völlig im Dunkeln. Deshalb hat er mich auch angerufen. Er hoffte offenbar auf irgendeinen Hinweis, den ich ihm aber leider nicht geben konnte.«