Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus CusanusЧитать онлайн книгу.
von allem, sofern er in allem ist (Deus ergo est omnia complicans, in hoc, quod omnia in eo, est omnia explicans, in hoc, quia ipse in omnibus). Und wie aus unserm Geiste dadurch, daß wir vieles einzelne als einem Gemeinsamen zugehörig erkennen, die Zahl entsteht, so entsteht die Vielheit der Dinge aus dem göttlichen Geiste, in dem das Viele ohne Vielheit ist, weil in der zusammenfassenden Einheit; deshalb nämlich, weil die Dinge an der Gleichheit des Seins nicht auf gleiche Weise partizipieren können, hat Gott in der Ewigkeit das eine so, das andere anders gedacht, woraus die Vielheit, die in ihm Einheit, entstanden ist. Die Art und Weise dieses Insichfassens und Entfaltens geht über unsern Verstand. Wer sollte es begreifen, daß aus dem göttlichen Geiste die Vielheit der Dinge entsteht, da das Denken Gottes sein Sein und dieses die unendliche Einheit ist? Ziehst du die Vergleichung mit der Zahl, dem Vielfachen der Einheit herbei, so scheint Gott gleichsam in den Dingen vervielfältigt, da sein Denken sein Sein ist, und doch siehst du die Unmöglichkeit davon ein, daß sich die unendliche und höchste Einheit vervielfältige. Wie läßt sich also die Vielheit begreifen, deren Sein aus dem Einen ohne Vervielfältigung stammt? oder wie die Vervielfältigung der Einheit, ohne Vervielfältigung? Offenbar nicht wie die Vielheit der Individuen in einer Art oder mehrerer Arten in einer Gattung, außerhalb welcher die Gattung und Art nur eine leere Abstraktion ist! Wie also Gott, dessen Sein und Einheit weder eine Abstraktion des Verstandes, noch eine Vermengung mit den Dingen ist, durch die Zahl der Dinge sich entfalte, das begreift niemand. Betrachtest du die Dinge ohne ihn, so sind sie nichts, wie die Zahl ohne die Einheit. Betrachtest du ihn ohne die Dinge, so ist er, und die Dinge sind nichts. Betrachtest du ihn, sofern er in den Dingen ist, so stellst du dir vor, die Dinge seien etwas, in denen er ist; allein das ist ein Irrtum, wie das vorige Kapitel gezeigt hat, weil das Sein eines Dinges nicht etwas ist, wie ein abgesondertes Sein, sondern sein Sein ist von dem Sein des Größten. Betrachtest du endlich das Ding, sofern es in Gott ist, so erhältst du Gott und die Einheit. Es bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: die Vielheit der Dinge entsteht dadurch, daß Gott im Nichts ist (quod pluralitas rerum exoriatur eo quod Deus est in nihilo). Denn nimm Gott von dem Geschöpfe hinweg, so bleibt Nichts; nimm die Substanz von dem Zusammengesetzten hinweg, und es bleibt kein Akzidens übrig; so bleibt denn das Nichts übrig. Wie mag unser Verstand dies begreifen? Denn hört auch nach Aufhebung der Substanz das Akzidens auf, so ist deshalb das Akzidens nicht Nichts; es hört aber auf (perit), weil sein Sein nur ein Dabeisein (adesse) ist. Wenn gleich z. B. die Quantität nur durch das Sein der Substanz ist, so ist doch die Substanz nur, weil die Quantität dabei ist (adest), ein Quantum. Nicht so ist es hier; denn das Geschöpfliche ist nicht so bei Gott (Deo adest), denn es bringt Gott nichts bei (nihil confert Deo), wie das Akzidens der Substanz. Ja das Akzidens bringt der Substanz soviel bei, daß diese, obwohl jenes von ihr das Sein hat, doch ohne alles Akzidens nicht sein kann. Das kann bei Gott nicht so sein. Wie können wir also das Geschöpfliche als solches begreifen, das von Gott ist, aber nichts ihm, der der Größte ist, beibringen (tribuere) kann? Und wenn es als Geschöpfliches auch nicht einmal soviel Sein als ein Akzidens hat, sondern ganz und gar Nichts ist, wie läßt es sich denken, daß die Vielheit der Dinge dadurch sich entfalte, daß Gott im Nichts ist, da das Nichts kein Sein ist? Sagst du: sein allmächtiger Wille ist die Ursache, Wille und Allmacht sind sein Sein (denn die ganze Gotteslehre bewegt sich im Kreise), so gestehst du eben damit, daß du die Art des Insichfassens und Entfaltens nicht kennst, obwohl du das weißt, daß alles in ihm er selbst, und er in allem das, was sie sind, ist, wie das Urbild in dem Abbilde; wie wenn ein Antlitz sein eigenes Abbild hätte, das von ihm bald nahe, bald fern vervielfältigt wird, die Entfernung nicht räumlich gefaßt, sondern graduell, nach der Ähnlichkeit mit dem Originale, so würde das eine Antlitz in verschiedenen Abbildern verschieden vervielfältigt erscheinen, in einer dem Sinn und Verstande unbegreiflichen Weise.
VIERTES KAPITEL
Das Universum, das konkret Größte, ist nur ein Abbild des absolut Größten
Wenn wir das durch die Wissenschaft des Nichtwissens bisher Ermittelte weiter verfolgen, so werden sich uns aus dem Satze, daß alles das absolut Größte oder von demselben ist, über die Welt oder das Universum, das ich als das konkret (contractum) Größte betrachte, manche Aufschlüsse ergeben. Denn da dieses konkret Größte alles, was es ist, vom Absoluten hat, so ist es eine größtmögliche Nachahmung desselben. Wir sagen daher, daß, was sich uns im ersten Buche über das absolut Größte ergeben hat und diesem als Absolutem absolut zukommt, dem konkret Größten konkret zukomme. Wir wollen einiges zum Behufe des Verständnisses erläutern. Gott ist das absolut Größte, die absolute Einheit, die allen Unterschieden und Gegensätzen vorausgeht und sie einigt (wie z. B. das Kontradiktorische, von dem es keine Vermittlung gibt), die absolut das ist, was alles ist, in allem das absolute Prinzip und Ende der Dinge, das Sein, in dem alles ohne Vielheit das absolut Größte selbst ist, einfach unterschieden, wie die unendliche Linie alle Figuren in sich begreift. Auf ähnliche Weise ist die Welt oder das Universum das konkret Größte und Eine, den konkreten Gegensätzen vorausgehend; es ist in konkreter Weise das, was alles ist, das konkrete Prinzip und Ende in allem, konkretes Sein, konkrete Unendlichkeit; alles ist in ihm ohne Vielheit das konkret Größte selbst, in konkreter Einfachheit und Ununterschiedenheit, wie die konkret größte Linie alle Figuren konkret in sich begreift. Hält man den Begriff des Konkreten richtig fest, so ist alles klar. Es steigt nämlich die konkrete Unendlichkeit oder Einfachheit in unendlicher Weise, ohne Proportion aus dem Absoluten und einen herab. Daher ist die konkrete Einheit nicht ohne Vielheit, das Unendliche beschränkt, das Einfache zusammengesetzt, das Ewige ein Nacheinander, die Notwendigkeit durch die Möglichkeit beschränkt etc. Vieles läßt sich hieraus entwickeln. Wie Gott in seiner Unermeßlichkeit weder in der Sonne, noch im Monde ist, obwohl er in ihnen das, was sie sind, absolut ist, so ist auch das Universum weder in der Sonne, noch im Monde, es ist aber in ihnen das, was sie sind, in konkreter Weise. Und da das absolute Sein der Sonne nichts anderes ist als das absolute Sein des Mondes (weil es Gott selbst ist, der das absolute Sein und Wesen der Dinge ist), dagegen das konkrete Sein der Sonne ein anderes ist, als das des Mondes, so ist zwar nicht das absolute Sein einer Sache, wohl aber das konkrete die Sache selbst. Da demnach das konkrete Sein des Universums anders in der Sonne, anders im Monde ist, so besteht die Identität des Universums in Verschiedenheit, wie seine Einheit in Vielheit. Obwohl daher das Universum weder Sonne noch Mond ist, so ist es doch in der Sonne Sonne, im Monde Mond, es ist aber das, was Sonne und Mond ist, ohne Vielheit und Verschiedenheit. Universum bezeichnet die Universalität, d. i. die Einheit von vielem. Wie die Menschheit weder Sokrates, noch Plato, wohl aber im Sokrates Sokrates, im Plato Plato ist, so verhält sich das Universum zu allen Dingen. Da gesagt wurde, das Universum sei der konkrete Anfang von allem und insofern das Größte, so erhellt, daß das ganze Universum durch eine einfache Emanation des konkret Größten aus dem absolut Größten ins Dasein getreten ist. Alle Wesen, welche Bestandteile des Universums sind, ohne die es nicht eines, ganz und vollkommen sein könnte, sind zugleich mit dem Universum ins Dasein getreten, nicht zuerst die Intelligenz, dann die Seele, dann die Natur, wie Avicenna und andere Philosophen lehrten. Wie in der Intention des Künstlers vorher das Ganze, z. B. ein Haus ist, ehe er an die Teile, z. B. die Wände denkt, so sagen wir, daß, da alles nach der Intention Gottes ins Dasein getreten ist, zuerst das Universum und infolgedessen (et in eius consequentiam) alles, ohne was weder ein Universum, noch ein vollkommenes Universum sein kann, entstanden ist. Wie also das Abstrakte im Konkreten ist, so betrachten wir das absolut Größte im konkret Größten als das Erste (prioriter consideramus), das infolge dessen in allem partikularen Sein ist, weil es auf absolute Weise in dem ist, was alles in konkreter Weise ist. Gott ist nämlich das absolute Sein des Universums, dieses ist das konkrete Sein, das Konkrete bezieht sich auf das Einzelne, auf dies oder jenes. Es ist also Gott das eine, im einen Universum, das Universum aber in allem konkret. So begreifen wir, wie Gott mittels des Universums in allem und die Vielheit der Dinge mittelst des einen Universums in Gott ist.
FÜNFTES KAPITEL
Jegliches ist in Jeglichem
Wenn du das Bisherige wohl erwägst, so wirst du unschwer den Sinn jenes Satzes des Anaxagoras: »Jegliches ist in Jeglichem« erkennen, ja vielleicht noch tiefer erfassen, als Anaxagoras selbst. Denn da im ersten Buch gezeigt ist, Gott sei in dem