Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus CusanusЧитать онлайн книгу.
zum Ermessen des ewigen Lebens von den Vätern überliefert wurden, nur ganz entfernte sinnliche Zeichen, die unendlich von jenen geistigen, keiner Phantasie zugänglichen Freuden abstehen. Ebenso halten auch die Höllenstrafen, sofern sie mit einem Elementarfeuer aus Schwefel und Pech und ähnlichen sinnlichen Qualen verglichen werden, keinen Vergleich aus mit jenen feurigen Geistesqualen (ad igniles illas intellectuales aerumnas), vor welchen uns Jesus Christus, unser Leben und Heil bewahren wolle. Er sei gepriesen in Ewigkeit. Amen.
ELFTES KAPITEL
Das Mysterium (die Natur) des Glaubens
Unsere Vorfahren sagen alle einstimmig, der Glaube sei der Anfang des Wissens (fidem initium esse intellectus). In jedem Gebiet des Wissens (in omni facultate) werden einige Sätze als erste Prinzipien (Axiome) vorausgesetzt, die man nur durch den Glauben erfaßt, und aus welchen sodann die Erkenntnis des zu erforschenden Gegenstandes entwickelt wird (ex quibus intelligentia tractandorum elicitur.) Wer zu einer Wissenschaft aufsteigen will, muß an die Dinge glauben, ohne die er nicht aufsteigen kann. Darum sagt Jesaja: Wenn ihr nicht glaubet, werdet ihr nicht einsehen. Der Glaube faßt daher alles Erkennbare in sich, die Erkenntnis ist die Entfaltung55 des Glaubens (fides est in se complicans omne intelligibile, intellectus autem est fidei explicatio). Das Wissen erhält daher durch den Glauben seine Richtung (dirigitur), der Glaube durch das Wissen seine Entwicklung (extenditur). Wo daher kein gesunder Glaube ist, da gibt es auch kein wahres Wissen. Es ist bekannt, zu welchen Schlüssen falsche Prinzipien und ein unsicheres Fundament führen.
Es gibt keinen vollkommeneren Glauben als die Wahrheit selbst – Jesus. Wer sieht es nicht ein, daß der rechte (recta) Glaube die herrlichste Gottesgabe ist? Der Apostel Johannes sagt, der Glaube an die Menschwerdung des Wortes Gottes führe uns in die Wahrheit, so daß wir Kinder Gottes werden. Dies zeigt er im Eingange (seines Evangeliums) mit wenigen Worten und zählt dann viele Taten Christi auf, im Einklage mit dieser Glaubenswahrheit, damit die Vernunft im Glauben erleuchtet werde; deshalb sagt er am Schlusse: »Dies ist geschrieben, damit ihr glaubet, daß Jesus der Sohn Gottes ist.« Der süße Glaube an Christus, an dem die Einfalt des Herzens festhält, kann nun nach unserer Wissenschaft des Nichtwissens in stufenmäßigem Aufsteigen erweitert und entfaltet werden. Denn die größten und tiefsten Geheimnisse Gottes, die den Weltkindern, wie verständig sie auch sonst sein mögen, verborgen bleiben, werden dem kindlichen und demütigen Gemüte im Glauben an Jesus offenbar, weil in Jesus alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind. Ohne ihn kann niemand etwas ausführen, denn er ist das Wort und die Allmacht, durch welche Gott die Welt erschaffen hat; er, der allein Höchste, hat Gewalt über alles im Himmel und auf Erden. Da er in dieser Welt nicht erkennbar ist, und Verstand, Meinung und Unterricht uns durch Symbole vom Bekannten zum Unbekannten führen, so wird er nur da erfaßt, wo das Überreden (persuasiones) aufhört und der Glaube beginnt, durch den wir in der Einfalt des Herzens dergestalt entzückt werden, daß wir ihn (ipsum) über Verstand und Einsicht im dritten Himmel der einfachsten Vernünftigkeit im Körper unkörperlich (weil im Geiste), in der Welt überweltlich, himmlisch in einer alle Begriffe übersteigenden Weise betrachten, wo wir auch das einsehen, daß er wegen seiner unendlichen Erhabenheit nicht begriffen werden kann. Das ist die gelehrte Unwissenheit, durch welche der heilige Paulus sich zu der Einsicht erhob, daß er Christus, von dem er eine Zeitlang nur ein Wissen hatte (quem aliquando solum scivit), dann nicht kenne (ignorare), wenn er sich höher hinauf zu ihm erhob.56 Wir Christgläubigen werden daher durch das gelehrte Nichtwissen zu dem Berge, der Christus ist, hinaufgeführt, den wir in unserm natürlichen Leiden und Leben (cum natura animalitatis nostrae) nicht berühren können. Wollen wir aber mit dem Auge der Vernunft ihn betrachten, so stoßen wir auf Finsternis und wissen, innerhalb dieser Finsternis sei der Berg, wo nur alle, deren Stärke die Vernunft ist (omnibus intellectu vigentibus), wohnen dürfen. Besteigen wir diesen Berg mit festem Glauben, so werden wir den Augen der sinnlichen Weltkinder entrückt; wir hören innerlich (auditu interiori) die Stimmen, die Donner und schrecklichen Zeichen von Gottes Majestät und vernehmen unschwer den Herrn selbst, dem alles gehorcht, indem wir stufenweise zu einigen unzerstörbaren Spuren seiner Fußtritte, wie zu göttlichen Kennzeichen gelangen, und so nicht die Stimme sterblicher Geschöpfe, sondern die Stimme Gottes selbst in seinen heiligen Organen, in Propheten und andern Heiligen vernehmen, und so ihn noch deutlicher durch eine Menge von Verstandesgründen57 erkennen. Allein auch von hier steigen die Gläubigen in glühendem Verlangen immer höher auf, und werden über alles Sinnliche hinweg zur einfachen, vernünftigen Anschauung erhoben (ad intellectualitatem simplicem rapiuntur), ein Fortschritt, wie aus dem Schlafe zum Wachen, vom Hören zum Sehen, wo sie sehen, was nicht geoffenbart werden kann, weil kein Gehör es zu fassen, keine Stimme es zu lehren vermag. Müßte das hier Geoffenbarte ausgesprochen werden, dann würde Unaussprechliches ausgesprochen und Unerhörtes gehört, wie das Unsichtbare dort gesehen wird. Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, das Ziel der Vernunft als die Wahrheit, das Ziel der Sinne als das Leben, das Ziel alles Seins als das Sein, die Vollkommenheit jedes Geschöpfes als der Gottmensch, wird dort als das Höchste aller Worte in uns unbegreiflicher Weise gehört. Er ist nämlich Ausgang und Ziel jeden Wortes: Was in einem Worte Wahres ist, kommt von ihm. Jedes Wort hat den Zweck der Belehrung. Er ist also dieser letzte Zweck, weil er die Weisheit selbst ist. Die Ursache jedes vergänglich verhallenden Wortes ist das unvergängliche Wort – die Vernunft. Christus ist die Fleisch gewordene höchste Vernunft, weil »das Wort Fleisch geworden ist«. Jesus ist demnach das Ziel von allem.
Solche Wahrheiten enthüllen sich dem, der im Glauben zu Christus aufsteigt.
Die göttliche Wirksamkeit dieses Glaubens läßt sich nicht beschreiben; sie eint den Glaubenden mit Jesus und ist somit über alles erhaben, was nicht in der Einheit mit Jesus ist. Der Gläubige hat, wenn sein Glaube groß ist, in der Kraft Jesu, mit dem er vereint ist, Gewalt über die Natur und Bewegung; er gebietet sogar den bösen Geistern, wie das Leben der Heiligen beweist.
Der vollkommene christliche Glaube muß aber ganz lauter, sehr groß und soviel als nur möglich von Liebe belebt sein. Er duldet keine Beimischung, weil er der Glaube an die reinste, allvermögende Wahrheit ist. Oft genug haben wir es bisher ausgesprochen, daß das Kleinste mit dem Größten koinzidiere. Dies gilt auch vom Glauben, der nach Sein und Macht in keinem Erdenpilger der größte sein kann, wenn der Letztere nicht zugleich, wie Jesus, der lebendige Inbegriff des Glaubens ist (qui non sit et comprehensor simul, qualis Jesus fuit.) Der in Wirklichkeit größte Glaube muß zu einem solchen Grade unzweifelhafter Gewißheit erhoben sein, daß er auch nur im kleinsten Maße (minime) Glaube, und vielmehr vollste, zweifelloseste Gewißheit ist. Das ist der machtvolle Glaube, der in der Weise der größte und kleinste zugleich ist, daß er alle Gegenstände des Glaubens in Ihm, der die Wahrheit ist, umfaßt. Wenn auch der Glaube des einen den Glaubensgrad des andern nicht erreicht, weil volle Gleichheit unmöglich ist, so muß doch jeder, soviel es an ihm liegt, in Wirklichkeit den größten Glauben haben (necesse est ut quisque quantum in se est, actu maxime credat). Dann ist der Glaube dessen, der im Vergleiche zu andern nur einen Glauben wie ein Senfkorn erhalten hat, gleichwohl von so unermeßlicher Kraft, daß selbst die Berge ihm Gehorsam leisten, wenn er ihnen in der Kraft des Wortes Gottes, mit dem er, soviel an ihm liegt, auf das Innigste im Glauben vereinigt ist, Befehle erteilt, da dem Worte Gottes nichts widerstehen kann. Wie groß ist also die Macht, die dem vernünftigen Geiste in der Kraft Christi zur Seite steht, wenn er sich an diesen vollständig anschließt, daß er durch ihn belebt wird, und, unbeschadet seiner Selbständigkeit in ihm als in seinem Lebensgrunde ruhet! Da dies nur durch die Hinkehr der Vernunft zu Christus im größten Glauben möglich ist, so muß dieser durch die einigende Liebe belebt sein; der Glaube kann ohne Liebe nicht der größte sein. Denn wenn jeder Lebende das Leben, jeder Denkende das Denken liebt, wie kann Jesus als das unsterbliche Leben und als die unendliche Wahrheit geglaubt werden, wenn er nicht auf das Höchste geliebt wird? Das Leben ist an sich der Liebe wert; ist also unser Glaube, Jesus sei das ewige Leben, sehr groß, so muß er notwendig geliebt werden; denn der Glaube ist kein lebendiger, sondern ein toter, ja kein Glaube, ohne Liebe. Die Liebe ist das belebende Prinzip (forma) des Glaubens, das ihm das wahre Sein verleiht, ja sie ist das Zeichen des felsenfesten Glaubens, denn wenn wir Christo alles hintansetzen, wenn wir Leib und Seele im Vergleich zu ihm für nichts achten,