Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Ihre Stimmung war nicht die beste, sie war bedrückt und aufgeregt. Glücklicherweise waren so viele andere Dinge mit der Hochzeit verknüpft, daß sie nicht viel Zeit hatte nachzudenken. Von Frank hatte sie am letzten Abend ein Telegramm erhalten, das zu ihrem Erstaunen in Great Bradley aufgegeben war. Aus einem unbestimmten Gefühl heraus war sie ärgerlich darüber, daß er London verlassen hatte. Es kränkte sie, daß er selbst am Vorabend seiner Hochzeit noch in seine Arbeit vertieft war. Sie vermutete, daß ihn seine Nachforschungen nach dem Tollington-Erben wieder nach Great Bradley geführt hatten. Wenigstens den letzten Tag vor der Hochzeit hätte er doch in ihrer Nähe zubringen müssen, damit sie ihn erreichen konnte, wenn sie ihn brauchte oder um Rat fragen wollte. Plötzlich tauchte der unangenehme Gedanke in ihr auf, daß er sich in seiner Stellung als ihr zukünftiger Gatte schon zu sicher fühlte. Poltavo dagegen war ihr sehr behilflich gewesen. Sie hatte mit ihm am Nachmittag des vorigen Tages Tee getrunken. Dezent und zurückhaltend hatte er es vermieden, ihre Hochzeit überhaupt zu erwähnen, ebensowenig hatte er von sich selbst gesprochen. Aber alles, was er nicht mit Worten ausdrückte, sagten seine Blicke. Sie fühlte Mitleid mit ihm, denn sie zweifelte nicht an der Echtheit seiner Gefühle. Poltavo schnitt an diesem Tage sehr gut ab.
Ein Dienstmädchen weckte Doris aus ihren Träumereien und brachte sie zur nüchternen Wirklichkeit zurück.
»Mr. Debenham ist gekommen, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn in das Wohnzimmer geführt.«
»Ach, das ist der Rechtsanwalt – ich werde sofort hinunterkommen.«
Mr. Debenham ging nachdenklich in dem Raum auf und ab, als sie eintrat.
»Ich vermute, daß Ihnen bekannt ist, daß ich Ihrer Trauung beiwohnen muß«, sagte er, als er ihr die Hand gab. »Ich muß Ihnen die Schlüssel zu dem Safe Ihres Bankdepots übergeben. Hier ist eine Aufstellung über den genauen Geldbetrag, der sich dort befinden muß.«
Bei diesen Worten legte er eine Abrechnung auf den Tisch.
»Sie können in einer freien Stunde ja einmal hineinsehen, aber rund gerechnet beträgt das Vermögen, das Ihnen Ihr verstorbener Vater hinterließ, achthunderttausend Pfund. Es ist in erstklassigen Wertpapieren angelegt, wahrscheinlich werden Sie auch noch finden, daß eine große Summe von Dividenden auf Ihre Papiere fällig ist. Der verstorbene Mr. Farrington hat diese etwas ungewöhnliche Art der Aufbewahrung gewählt, um Ihr Geld sicherzustellen, obgleich ich ihm einen entgegengesetzten Rat gab. Ich möchte Ihnen noch mitteilen, daß er mich vor ungefähr sechs Jahren darüber um Rat fragte. Ich war damals gegen die Festlegung des Geldes, aber die Ereignisse haben mir unrecht gegeben, denn gleich darauf muß er große Verluste an der Börse gehabt haben, wie seine Bücher ausweisen. Ich möchte bemerken, daß ein Mann mit einer weniger starken Energie als Mr. Farrington unter den damaligen Verhältnissen leicht in Versuchung hätte kommen können.
Ich habe mich jetzt nur noch meiner Verantwortung zu entledigen. Ich bin hierhergekommen, um Sie vorher noch einmal zu sehen und zu fragen, ob Ihr Onkel Ihnen etwas von der großen Tollington-Erbschaft gesagt hat. Er war einer der Treuhänder, obwohl er nicht direkt etwas mit der Verwaltung zu tun hatte.«
Sie sah erstaunt auf.
»Es ist merkwürdig, daß Sie diese Frage an mich stellen. Mr. Doughton bemüht sich, den Erben dieses Vermögens zu finden.«
»Das ist mir bekannt. Ich frage nur deshalb, weil ich eine Nachricht von den anderen Treuhändern in Amerika erhalten habe. Es tut mir leid, daß die Nachforschungen Ihres Gatten erfolglos sein werden, wenn er den Erben nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden entdeckt.«
»Warum denn?« fragte sie verwundert.
»Die Bestimmungen des Testaments sind sehr eigenartig«, erklärte Mr. Debenham. »Das Tollington-Vermögen, wie Sie vielleicht wissen –«
»Ich weiß wirklich nichts davon«, unterbrach sie ihn.
»Dann will ich es Ihnen erzählen«, sagte er lächelnd. »Das Vermögen soll zu gleichen Teilen an den Erben und dessen Gattin fallen.«
»Wenn er nun aber nicht mit einer Frau gesegnet ist?« fragte sie belustigt.
»In diesem Fall fällt das Geld automatisch an die Frau, die der Erbe eventuell heiratet. Aber das Testament bestimmt, daß der Erbe zwanzig Jahre nach dem Tode Tollingtons gefunden sein muß. Und dieser Termin läuft morgen ab.«
»Armer Frank!« sagte sie kopfschüttelnd. »Und er gibt sich doch die größte Mühe. Er hatte ja auch schon einige Erfolge. Wenn er also bis morgen diesen geheimnisvollen Erben nicht ausfindig gemacht hat, bekommt er nichts für all seine Anstrengungen?«
»Ich glaube kaum, daß er etwas erhält. Die Belohnung ist für den Mann ausgesetzt, der innerhalb der festgesetzten Zeit den Tollington-Erben ermittelt. Ich bin eigentlich nur gekommen, weil ich wußte, daß Mr. Doughton an der Sache interessiert ist, und weil«, er zögerte einen Augenblick, »weil ich dachte, daß Ihr Onkel Sie vielleicht ins Vertrauen gezogen hat.«
»Sie meinen, daß er mir gesagt hätte, wer der Gesuchte sei? Glauben Sie denn, daß er das wußte und aus irgendeinem Grunde geheimhielt?«
»Bitte, seien Sie mir nicht böse«, erwiderte der Rechtsanwalt schnell. »Ich möchte nichts gegen Mr. Farrington sagen, aber ich weiß, daß er ein sehr kluger und berechnender Mann war. Ich nahm an, daß er Ihnen vielleicht doch verschiedenes anvertraut hätte, so daß Sie in der Lage gewesen wären, Ihren zukünftigen Gatten bei seinen Bemühungen zu unterstützen.«
Aber sie schüttelte wieder den Kopf.
»Ich habe keinerlei Kenntnis von dieser Sache. Mein Onkel hat mir niemals etwas Näheres darüber mitgeteilt. Er war sehr verschlossen, wenn es sich um geschäftliche Dinge handelte. Und doch bin ich davon überzeugt, daß er mich sehr gern gehabt hat.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Aber sie war nicht traurig, weil sie sich an seine Güte erinnerte, sondern weil er sie zu einer so demütigenden Handlung zwang, bei der ihr eigenes Herz nicht mitsprechen durfte. Sie fühlte sich unaussprechlich erniedrigt und bedrückt.
»Das war alles, was ich Ihnen mitzuteilen hatte«, erklärte Mr. Debenham. »Ich werde Sie später noch auf dem Standesamt wiedersehen?«
Sie nickte.
»Darf ich der Hoffnung Ausdruck geben«, sagte er in seiner umständlichen Weise, »daß Sie sehr glücklich werden und daß sich in Ihrer Ehe alle Hoffnungen erfüllen mögen, die Sie daran knüpfen?«
»Ich weiß kaum, welche Hoffnungen ich haben sollte«, erwiderte sie müde.
Der gute Mr. Debenham schüttelte traurig den Kopf, als er zu seinem Büro zurückging.
*
Hatte es schon jemals eine so nüchterne und prosaische Trauung gegeben wie die ihre? Doris legte sich diese Frage vor, als sie in den Wagen stieg, der sie zum Standesamt bringen sollte. Wie andere junge Mädchen hatte auch sie sich diesen wunderbaren Tag in den herrlichsten Farben ausgemalt, wenn sie unter den Klängen der Orgel am Arm ihres Vormundes Gregory Farrington die Stufen hinaufschreiten würde. Und sie hatte von einer vollkommen glücklichen und beseligenden Ehe geträumt. Jetzt aber stand sie vor der Wirklichkeit, ihre Träume waren vernichtet. Sie, die Erbin eines großen Vermögens, eines der schönsten Mädchen Londons, fuhr nun in einem Mietauto zu einer stillen Trauung.
Frank wartete vor dem Eingang des düsteren Amtsgebäudes auf sie. Auch Mr. Debenham und einer seiner Angestellten, den er als Trauzeugen mitgebracht hatte, waren schon zugegen. Doris war Mrs. Doughton geworden, bevor sie sich ganz darüber klar wurde, was eigentlich geschah.
»Nun bleibt nur noch eines zu tun«, sagte der Rechtsanwalt, als sie wieder draußen in dem hellen Sonnenlicht der Straße standen. Er schaute auf seine Uhr.
»Wir wollen jetzt gleich zur London-Safe-Deposit-Bank fahren, und wenn Sie mir die Vollmacht geben, so werde ich für Sie in aller Form von dem Vermögen Besitz ergreifen und es meinen Bankiers übergeben. Ich glaube, diese Angelegenheit muß ordnungsgemäß erledigt werden.«
Doris