Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
streckte begierig die Hand aus, und Soltescu zählte die einzelnen Scheine.
»Was wollen Sie denn nun mit all dem Geld machen?« fragte der Rumäne.
Die Augen des heruntergekommenen Mannes leuchteten merkwürdig auf.
»Sehen Sie«, sagte er eifrig. »Sie sind ein reicher Mann und haben schon immer ein großes Vermögen gehabt. Aber ich bin nur ein armer Teufel, der immer hin-und hergehetzt wurde. Sie können das Leben genießen und haben auch die Zeit dazu. Aber ich werde alt, und ich habe all diese Jahre ärmlich gelebt. Mein bißchen Verdienst habe ich im Kasino verspielt. Aber jetzt werde ich einmal das große Spiel machen, nach dem ich mich mein Leben lang gesehnt habe. Verstehen Sie, was ich meine?« Er sah Soltescu mit brennenden Blicken an, als ob er Zustimmung von ihm erwarte.
»Ich habe nicht mehr lang zu leben, und ich kaufe mir morgen die schönsten Anzüge. Weg mit diesem abscheulichen Plunder!« rief er und warf den alten Smoking auf den Boden. »Morgen gehe ich nach Monte Carlo, und zwar genauso elegant wie diese Snobs, die ich in den letzten fünfundzwanzig Jahren gesehen habe. Im Kasino werden sie mich nicht wiedererkennen, wenn ich mich neu eingekleidet habe. Und ich setze jedesmal den Höchstsatz. Das ist die einzig vernünftige Art, Geld zu gewinnen.«
»Mein Lieber«, entgegnete Soltescu freundlich, als er die Schriftstücke sorgfältig in seine Brusttasche steckte, »ich möchte Ihnen nur eins sagen. Wenn ich tatsächlich Zeit hätte, dann würde ich mit Ihnen um das Geld spielen, das ich Ihnen eben ausgezahlt habe. Und ich würde gewinnen, weil ich das Geld nicht notwendig habe, und Sie würden verlieren, weil das Geld für Sie lebensnotwendig ist. Sie sind wirklich ein unverbesserlicher Narr.«
Nach diesen Worten verließ Soltescu in heiterer Stimmung das Zimmer und pfiff vergnügt, während er die Treppe hinunterstieg und zu seinem Wagen ging. Er war davon überzeugt, daß er noch nie in seinem Leben ein so großes und vorteilhaftes Geschäft abgeschlossen hätte.
4
»Ich fürchtete schon, daß Ihre Nachforschungen ergebnislos sein würden, Miss President«, sagte Lord Chanderson, der neben einer elegant gekleideten jungen Dame auf dem Bahnsteig in Marseille auf und ab ging.
Sie lächelte geduldig.
»Ich bin schon daran gewöhnt, daß diese Reisen nicht zum gewünschten Ziel führen«, erwiderte sie ruhig, »aber wir dürfen natürlich keine Chance ungenützt vorübergehen lassen. Es wäre immerhin einmal möglich, daß ich den Mann finden könnte, den mein Großvater seit so vielen Jahren sucht. Solange ich jung und gesund bin, kann ich ihn ja in seinen Bemühungen unterstützen. Er ist zwar noch rüstig und stark, aber das Reisen strengt ihn doch zu sehr an, und wenn er mit Leuten verhandeln muß, die nicht Englisch sprechen, wird er leicht verwirrt. Aber es war wirklich zu egoistisch von mir, daß ich Ihre Liebenswürdigkeit so sehr in Anspruch genommen habe.« Er schüttelte lächelnd den Kopf.
»Bitte, entschuldigen Sie sich doch nicht, Miss President. Sie wissen, daß ich mich selten vor zwei Uhr schlafen lege, und es hat mir das größte Vergnügen gemacht, Sie noch zum Zug zu bringen. Ich freue mich wirklich, daß ich gerade zufällig in Marseille war und Ihnen behilflich sein konnte.«
Sie sah ihn dankbar an.
»Ich war auch sehr froh. Es ist nicht gerade angenehm für eine junge Dame, in einer französischen Stadt nach einem Mann zu suchen und den Behörden klarzumachen, daß es sich um einen Verbrecher handelt. Ohne Ihre Hilfe wären mir die Nachforschungen in Marseille sehr schwergefallen. Und wenn Sie mich nicht überallhin begleitet hätten, wäre auch meine Reise nach Monte Carlo unmöglich gewesen.«
»Ich freue mich stets, wenn ich etwas für Ihren Großvater tun kann. Er ist ein so außergewöhnlicher Mann. Nur wenig Leute, mit denen ich zusammengekommen bin, haben so großen Eindruck auf mich gemacht wie er.«
»Er schätzt Sie ebenso und hat das größte Vertrauen zu Ihnen.« Sie lächelte freundlich. »Ich hätte niemals geglaubt, daß der Vorsitzende des Jockey-Klubs sich so für unsere Angelegenheiten interessieren würde.«
Lord Chanderson lachte ein wenig. Er war schon ein älterer Herr, aber er hatte immer noch einnehmende Züge. In England war er eine bekannte Persönlichkeit.
»Ihr Großvater gehört zu den kleinen Rennstallbesitzern, die wir sehr schätzen«, entgegnete er, höflich. »Sie wissen, daß wir alle Neulinge mit großer Vorsicht aufnehmen.«
»Meinen Sie, daß man diesen Leuten nicht trauen kann und daß sie unehrlich sind?
Er zuckte die Schultern.
»Das möchte ich gerade nicht behaupten. Aber sie arbeiten in neuerer Zeit mit allen Mitteln, und solche Gebräuche sollen bei den Rennen nicht einreißen. Es ist tatsächlich erstaunlich, daß Ihr Großvater mit nur einem Rennpferd –«
»Sie meinen zwei«, unterbrach sie ihn.
»Zwei?« sagte er erstaunt. »Ich dachte, er hätte nur das eine.«
»Sie vergessen das Pferd, das wir im Derby laufen lassen wollen«, sagte sie ernst. »Mein Großvater hält viel von Donavan.«
»Ich habe noch niemals von ihm gehört,« sagte Lord Chanderson lachend. »Man sieht doch, daß man selbst als Vorsitzender des Rennklubs um halb zwei Uhr nachts noch manches lernen kann, selbst auf dem Bahnsteig von Marseille. Ich glaube aber, wir gehen jetzt zu Ihrem Abteil zurück – in vier Minuten fährt der Zug ab.«
Ein Schaffner ging an ihnen vorbei.
»Bitte Platz nehmen!« rief er.
Miss President reichte Lord Chanderson herzlich die Hand und stieg dann ein. Sie ließ das Fenster herunter und plauderte noch mit ihm, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Dann winkte sie, und er grüßte freundlich mit dem Hut.
Er war einer der englischen Sportsleute, die sie verehrte. Sie kannte viele, die sich für den Rennsport interessierten, aber nicht alle waren ihr sympathisch. Lord Chanderson gehörte zu der alten Generation, war ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, ein Mann mit hervorragender Bildung und feinem Takt. Es war tatsächlich ein glücklicher Zufall gewesen, daß er sich gerade in Marseille aufgehalten hatte. Ihrem Großvater war ein Gerücht zu Ohren gekommen, daß der Mann, den er suchte, in der Nähe von Marseille gesehen worden war. Zweifellos stimmte die Nachricht, aber Nachforschungen nach einem Mann, von dem man nur eine zwanzig Jahre alte Fotografie besitzt, sind ziemlich aussichtslos. Ihre Erkundungsfahrt war ohne Erfolg geblieben, aber als sie von Marseille abfuhr, hatte sie eine angenehme Erinnerung an die liebenswürdige Fürsorge Lord Chandersons, der ihr mit größter Zuvorkommenheit geholfen hatte. Nur durch reinen Zufall hatte ihr Großvater von dem Aufenthalt Lord Chandersons in Marseille erfahren und ihr daher einen Empfehlungsbrief an den bekannten Sportsmann mitgeben können. Der Lord war John President stets in der freundschaftlichsten und liebenswürdigsten Weise begegnet, seitdem dieser sich wieder in England aufhielt.
Mary President ging in ihr Schlafwagenabteil und begann sich auszukleiden. Sie merkte aber bald, daß sie die Nacht nicht ungestört verbringen würde, denn der Herr im nächsten Abteil war anscheinend stark angetrunken. Er sang laut und unterhielt sich zwischendurch mit sich selbst. Die Worte konnte sie allerdings nicht verstehen, da ihr seine Sprache unbekannt war. Er mußte sehr vergnügt sein, denn ab Und zu hörte sie lautes Lachen. Sie hoffte, daß die Geräusche des Zuges den Lärm übertönen würden, aber der Mann besaß eine durchdringende Stimme, und Mary Presidents Hoffnung erfüllte sich nicht. Schließlich hörte sie, daß jemand den Gang entlangkam, an die Tür des nächsten Abteils klopfte und den Sänger in scharfem Ton zur Ruhe verwies.
Aber der Mann schien sich wenig daraus zu machen; er antwortete mit einem frechen Lachen und erkundigte sich, wie der andere dazu käme, an seine Tür zu klopfen.
Mary versuchte alles mögliche, um einzuschlafen. Sie dachte an den Zweck ihrer Reise, aber dadurch wurde sie