Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
schoß und unglücklicherweise sie traf. Ich hatte mich furchtbar über ihn aufgeregt, und ich war damals noch jung und heißblütig. Bei dem Gerichtsverfahren wurden mir mildernde Umstände zuerkannt. Die Richter zogen in Betracht, wie schwer ich für mein Vergehen gestraft war, und verurteilten mich nicht zum Tode. Ich wurde nach Australien deportiert. Denken Sie sich, Mr. Stanton«, fuhr er mit bitterer Stimme fort, »ich stand damals am Beginn einer bedeutenden Laufbahn. Man hielt mich für einen großen Erfinder, der seiner Zeit viel nützen würde. Meine Frau war mir plötzlich genommen – ich hatte sie durch meine eigene Schuld verloren. Auch meine beiden Kinder hatte ich nicht mehr bei mir. Australien war damals noch ein verrufenes Land. Ich war fast von Sinnen, als ich dort anlangte. Niemals blieb ich lange in Gefangenenlagern, denn ich war ein sehr unruhiges Element und plante alle möglichen Anschläge gegen die Gefängnisleitung. Deshalb wurde ich schließlich zur Strafe an Bord des Dampfers ›President‹ gesandt. Sechs Jahre, mußte ich auf diesem, erbärmlichen Kasten aushalten. Ich war fast verzweifelt, aber dann bekam ich einen Brief von einem alten Freund aus England, der mir berichtete, daß er meine beiden Kinder zu sich genommen hätte und für sie sorgen wolle. Ihretwegen machte ich mir die schwersten Vorwürfe. Später schrieb er mir, daß sie nur auf den Tag warteten, an dem sie zu mir nach Australien kommen könnten. Das gab mir wieder Lebensmut. Ich hatte eine Unterredung mit Colonel Champ, der damals das Gefangenenlager beaufsichtigte und viel für die Leute tat, die seiner Obhut anvertraut waren. Ich sagte ihm, daß ich mich bessern wollte. Er glaubte mir auch und half mir. So wurde ich in einem wissenschaftlichen Institut beschäftigt und konnte dort in einem Laboratorium arbeiten. Ich machte wichtige Entdeckungen, die mich später zur Erfindung des biegsamen Glases brachten. Nachdem ich genügend Proben meiner Befähigung abgelegt hatte, kam ich in das Regierungslaboratorium und arbeitete unter dem jungen Dr. Lubbock.
Damals machte ich auch die Bekanntschaft eines gewissen John Cotton, der sich jetzt John Pentridge nennt. Wir waren zusammen in dem Laboratorium tätig, wo er die schweren Arbeiten zu verrichten hatte. Wir wurden gute Freunde. Er war so begabt, daß er den Sinn meiner Experimente verstand und auch ihren Wert beurteilen konnte. Ich arbeitete damals fieberhaft, um mir einen großen Erfolg zu sichern, denn ich hatte immer die Absicht, mit meinen Kindern in guten Verhältnissen zu leben, wenn ich freigelassen würde. Meine Freunde in England halfen, mir, und ich wurde schließlich am selben Tage wie John Pentridge entlassen. Wir logierten in einem kleinen Hotel in Melbourne und arbeiteten später in der gleichen Fabrik. Wenn wir abends zurückkamen, experimentierten wir noch zusammen. Ich fand eine neue Methode, Schafwolle zu färben, und nun brauchte ich nicht mehr in der Fabrik zu arbeiten. Meine Einnahmen wuchsen ständig, und ich konnte meine Studien in aller Muße betreiben. Meine beiden Kinder kamen zu mir nach Australien. Wir lebten glücklich zusammen, und die Jahre vergingen. Die beiden wuchsen auf, und meine Tochter heiratete. Mary ist ihr Kind. Mein Sohn fiel in den Kolonialkriegen in Afrika. Damals erfand ich das biegsame Glas und stellte die genaue Formel auf. Ich hatte für mich eine Scheibe Glas hergestellt, die so biegsam war wie Pappe. Aber ich hatte mich überarbeitet und wurde sehr schwer krank. Weil ich fürchtete, daß ich sterben müßte, schrieb ich den ganzen Herstellungsprozeß auf. Nachher packte mich das Fieber, und ich lag lange besinnungslos. Erst drei Wochen später kam ich wieder zum Bewußtsein, war aber noch sehr schwach und krank. In der Zwischenzeit war John Pentridge aus Australien verschwunden und hatte mir die Papiere gestohlen. Das ist in groben Umrissen die Geschichte meines Lebens.«
Eric hatte schweigend zugehört. Er empfand tiefes Mitgefühl für den alten Mann.
»Zehn Jahre lang habe ich in Australien nach John Pentridge gesucht«, fuhr John President fort. »Nun habe ich ihn hier gefunden, aber ich fühle, daß es vergeblich ist.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Stanton überrascht.
»Die Papiere sind nicht mehr in seinem Besitz. Das erkannte ich sofort, als er mir in Sandown so unverschämt entgegentrat. Er hat sie sicher veräußert.«
»Aber Sie können ihn doch zur Rechenschaft ziehen, und er muß Ihnen sagen, wo er sie gelassen hat!«
»Da kennen Sie John Pentridge schlecht«, erwiderte der alte Mann. »Aber jetzt wollen wir zu den Pferden gehen.«
Er änderte das Gesprächsthema, denn die Erinnerung an das schwere Leid seines Lebens nahm ihn zu sehr mit.
»Ich glaube, ich bin zu alt geworden, um noch zu hassen«, sagt er, während sie über das ebene Gelände gingen. »Ich habe verschiedene Detektive engagiert, um Pentridge ausfindig zu machen, und jetzt, da ich ihn gefunden habe, weiß ich nicht, was ich mit ihm machen soll.«
»Warum stellen Sie denn nicht jemand an, der Ihnen die Schriftstücke wieder beschafft?«
Eric war ein gutmütiger Mensch, der stets bereitwillig anderen helfen wollte, und seiner Meinung nach war das wieder eine Aufgabe für Milton Sands.
*
John Pentridge hatte eine Einladung nach Pennwaring erhalten, aber er zögerte, die Gastfreundschaft Sir Georges anzunehmen. Sein Auftreten hatte sich vollkommen geändert, nachdem er John President gesehen hatte. Er ging in seinem Hotelzimmer unruhig auf und ab, hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Er dachte darüber nach, ob es nicht besser wäre, wieder nach Frankreich zurückzukehren. Seine Stimmung war trüb, als Milton Sands in sein Zimmer trat.
Pentridge wandte sich sofort um, als sich die Tür öffnete.
»Wer sind Sie?« fragte er. »Wissen Sie nicht, daß dies mein Zimmer ist? Wie kommen Sie dazu, mich unangemeldet zu stören?«
»Beruhigen Sie sich, Penty«, erwiderte Sands leichthin.
Pentridge erkannte in ihm sofort einen Zeugen jenes Auftritts auf der Rennhahn, und es überkam ihn plötzlich eine ungewisse Furcht. Wahrscheinlich hatte dieser Besuch mehr zu bedeuten. Dieser Mann schien offenbar ein Freund John Presidents zu sein.
»Es hat keinen Zweck, daß Sie hierherkommen, um mich auszuholen«, sagte er ärgerlich. »Damit haben Sie kein Glück bei mir.«
»Ja, das ist mir klar«, entgegnete Milton und rückte einen Stuhl an den kleinen Tisch in der Mitte des Raums. »Trotzdem möchte ich einige Fragen an Sie richten, die Sie mir sicher gern beantworten werden. Sie sind doch der Mann, der Monsieur Soltescu die Formel des biegsamen Glases verkauft hat?«
»Ich lehne es ab, diese Frage zu beantworten«, erklärte Pentridge hartnäckig.
»Ich bin aber von Soltescu hierhergeschickt worden«, entgegnete Milton Sands lächelnd. »Er schrieb mir heute morgen einen Brief und bat mich darin, Sie aufzusuchen. Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen das Schreiben ja zeigen.«
Er griff in die Tasche und brachte den Brief zum Vorschein.
Pentridge betrachtete ihn argwöhnisch.
»Wie kann ich wissen, daß dieser Brief von Soltescu ist?«
»Beweise kann ich Ihnen dafür nicht geben. Sie müssen eben auf mein Wort glauben, daß der Brief von ihm ist.«
Pentridge las ziemlich lange, denn Soltescu hatte keine besonders leserliche Handschrift.
»Die Sache scheint in Ordnung zu sein«, brummte er. »Was wollen Sie denn von mir wissen?«
»Sie haben doch Soltescu die Beschreibung des Herstellungsprozesses verkauft?«
Pentridge nickte.
»Wie kamen die Papiere in Ihren Besitz?«
»Ich habe sie von einem Freund bekommen«, antwortete Pentridge ausweichend.
»Ich nehme an, daß Sie sie gestohlen haben, und zwar von eben diesem Freund. Aber ich möchte gern wissen, wer dieser Freund war, dem Sie die Papiere entwendeten, und unter welchen näheren Umständen Sie dies taten. Diese Einzelheiten sind für Monsieur Soltescu sehr wichtig. Ein Komitee auf der großen Ausstellung in Lyon hat nämlich eine Belohnung von hunderttausend Pfund für die Erfindung des biegsamen Glases ausgesetzt. Und dabei ist gar nicht einmal bekannt, daß ein solches Glas schon erfunden worden ist. Aber wenn Soltescu die Erfindung