Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
ans Ufer und lassen Sie es dort liegen«, erwiderte Kitson.
»Wo ist denn der andere Herr?«
»Der ist schon nach unten gegangen und hat sich schlafen gelegt.«
Der Kapitän zögerte.
»Und was wird aus meiner Heuer?«
Kitson nahm einen Geldschein aus der Tasche, lehnte sich über die Reling und reichte ihn hinüber.
»So, damit sind Sie bezahlt.«
Der Kapitän trat unter eine Lampe und erstaunte über die Höhe des Betrages.
»Ich werde Ihnen das Wechselgeld herausgeben.«
»Sie können den Rest behalten. Bringen Sie mich nur bis zum Ufer und fahren Sie dann fort.«
Aber selbst, als der Kapitän den Auftrag ausgeführt hatte, konnte er sich noch nicht beruhigen und fragte, ob er nicht noch weitere Hilfe leisten sollte.
»Ich kann den Kasten schon allein festmachen«, erklärte Bud.
Er wartete eine halbe Stunde, bis die Lichter des Schleppers um die Biegung des Flusses verschwunden waren. Bis jetzt hatte alles geklappt. Er hatte das Hausboot nicht festzumachen brauchen, denn es hatte sich auf einer Schlammbank festgesetzt und rührte sich nicht von der Stelle. Kitson ging nach unten. Seine Frau lag auf einer Couch im Salon.
»Sir George ist über Bord gefallen«, sagte er kurz, nachdem er sie geweckt hatte.
Sie sahen sich einen Augenblick an und verstanden sich.
»Mach dich fertig, damit wir fortgehen können. Wir müssen uns beeilen.«
»Was wird denn aus dem Mädchen?«
»Die kann hier bleiben. Die kleine Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Sir George ist doch nur zu ihrem Besten.«
Die Vorbereitungen waren bald getroffen. Er wechselte seine leichten Schuhe gegen ein Paar kräftige Stiefel aus und durchsuchte dann Sir Georges Kabine. In einem Handkoffer fand er eine große Summe Bargeld.
Seine Frau war schon längst fertig und wartete auf ihn.
»Wäre es nicht besser, wenn wir sie riefen?« fragte sie.
»Nein, wir haben keine Zeit zu solchen Dummheiten. Wir müssen jetzt vor allem an uns selbst denken.«
»Was ist denn aus ihm geworden?« fragte sie und zeigte mit dem Kopf nach dem Deck.
»Halt den Mund und stell keine albernen Fragen.«
Als er vorhin auf dem Deck stand, hatte er geglaubt, die Spitze des Bootes sei dem Ufer so nahe, daß man von dort aus an Land springen könne. Aber jetzt bemerkte er zu seiner Überraschung, daß ihn ein breiter Streifen Wasser vom Ufer trennte.
»Das Boot ist ins Treiben gekommen«, sagte er mit einem Fluch und eilte aufs Oberdeck, um sich besser umsehen zu können.
Das Fahrzeug trieb tatsächlich langsam nach der Mitte des Stroms. Ein kleines Rettungsboot schwamm an einem Seil hinterher. Nach einigen Anstrengungen gelang es Kitson, es heranzuziehen. Er half seiner Frau hinein und kletterte dann selbst nach.
Er fand ein paar Ruder und trieb das Boot mit kräftigen Schlägen ans Land.
»Das ist der beste Ausweg für uns. Das Mädchen werden sie morgen schon finden. Passieren kann ihr nichts.«
23
Janet Symonds erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Sie hatte das Gefühl, daß ihr irgendeine Gefahr drohte. Obwohl sie unter keinen Umständen hatte einschlafen wollen, hatten sie die aufregenden Ereignisse des Tages und die lange Fahrt doch müde gemacht.
Es fiel ihr auf, daß das Boot sich nach der einen Seite neigte, und als sie durch das kleine Fenster schaute, bemerkte sie, daß es mitten im Strom trieb. Schnell räumte sie die Möbel fort, die sie vor der Tür angehäuft hatte. Sie lief den Gang entlang und erwartete, daß sie die anderen treffen würde, aber sie konnte niemand entdecken. Das Licht im Salon brannte allerdings noch, aber es war niemand dort.
Nun wurde ihr plötzlich die gefährliche Lage klar, in der sie sich befand. Das Boot sank!
Sie lief wieder nach unten und rief nach Sir George. Aber sie bekam keine Antwort.
Die anderen hatten sie im Stich gelassen. Sie erinnerte sich daran, daß sie vorher ein kleines Ruderboot gesehen hatte, das hinten an dem Hausboot befestigt war. Aber auch das war verschwunden.
Langsam, mit leisem Knacken und Ächzen, sank das Boot tiefer und tiefer. In ihrer Verzweiflung suchte sie nach einem Rettungsring, konnte aber keinen finden. Sie war zu schwach, um ein paar Planken loszureißen, die sie hätten über Wasser halten können.
Aber plötzlich tauchten weiter stromaufwärts Lichter auf und näherten sich schnell. Janet hörte das Geräusch eines Motors und rief mit aller Kraft um Hilfe.
Eric Stanton, der vorn im Boot saß, hörte den Schrei und sah in der Fahrtrichtung die dunklen Umrisse des Hausbootes. Er rief etwas zurück, und der Motor stoppte sofort, gerade noch rechtzeitig. Milton, der am Steuer saß, brachte das Boot längsseits des sinkenden Fahrzeugs.
Ohne einen Augenblick zu zögern, sprang er an Bord. Als sein Fuß den Boden des Decks berührte, legte sich das Hausboot auf die Seite und versank in den Fluten. Aber er hatte Janet mit starken Armen gepackt. Beinahe hätte der Strudel des untergehenden Bootes sie in die Tiefe mitgerissen. Milton kämpfte verzweifelt, und endlich, nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit erschien, kam er wieder an die Oberfläche und atmete die frische Nachtluft.
Das Motorboot nahm beide auf.
»Janet ist ohnmächtig geworden«, sagte Eric. Er zog seinen Mantel aus und deckte damit die Bewußtlose zu. Zärtlich blickte er sie an. Endlich hatte er seine Schwester wiedergefunden.
*
Am nächsten Morgen ging die Sonne strahlend auf, und Janet öffnete schlaftrunken die Augen. Sie schaute sich um und bemerkte, daß Mary President neben ihrem Bett saß und ein Buch auf den Knien hatte. Sie lächelte schwach und schlief wieder ein. Als sie zum zweitenmal erwachte, war Mary President immer noch bei ihr, aber statt des Buches hielt sie eine Zeitung in der Hand, und auch der Boden war mit Zeitungen bedeckt.
»Wie geht es Ihnen jetzt?«
»Viel besser«, sagte Janet und richtete sich auf.
»Fühlen Sie sich wohl genug, all die vielen Bilder von Donavan zu sehen?« fragte Mary vergnügt. »Er hat das Derby gewonnen.«
»Das Derby?« fragte Janet verständnislos.
»Ja. Wir waren doch gestern zusammen beim Rennen in Epsom – haben Sie das denn ganz vergessen?«
Janet schüttelte den Kopf.
»War das erst gestern?« fragte sie verwundert. »Es kommt mir vor, als wären inzwischen viele Jahre vergangen.«
*
Monsieur Soltescu saß in Paris im Hotel und las in einer Zeitung den Bericht über den Tod Sir Georges in der Themse. Er las auch, daß Bud Kitson und seine Frau in den frühen Morgenstunden in der Nähe von Reading von der Polizei aufgegriffen worden waren.
»Ja, so geht’s«, sagte er in philosophischer Ruhe und machte auf dem schneeweißen Tischtuch mit seinem Bleistift eine ungefähre Kalkulation, wieviel Geld er bei dieser Geschichte verloren hatte.
A.S. der Unsichtbare