Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob BurckhardtЧитать онлайн книгу.
weiss man nicht einmal den Namen; auch in Sizilien herrschten namenlose Räuber (latrones). – Die merkwürdigste Reihe von Usurpatoren bietet jedoch der Westen dar, nämlich Gallien, welchem sich zeitweise auch Spanien und Britannien fügen. Hier erheben sich (seit 259) bei der unbeschreiblichen Landesnot durch die Barbaren schon gegenüber Valerian und dann gegenüber dem Sohn und den Generalen des Gallienus die gewaltigen Verteidiger des Landes, Postumus, Lollianus (oder Laelianus) und Victorinus; und zwar nicht als blosse Soldatenkaiser, sondern unter eifriger, fast regelmässiger Teilnahme der Provinzialen32. Es bildet sich ein wahres transalpinisches Reich, dessen Notabeln den Senat des meist in Trier wohnenden Imperators ausmachen; weit entfernt, eine schon halb vergessene gallische, britannische oder iberische Nationalität als Panier zu erheben, wollen diese Lande ein okzidentalisches Römerreich sein und römische Bildung und Einrichtungen gegen die hereindringende Barbarei schützen; was sich von dem Reiche Zenobiens nicht in derselben Weise behaupten lässt. Merkwürdigerweise ist es aber auch im Abendlande eine Frau, Victoria, die Mutter Victorins, welche unter diesen Kaisern Adoptionen und Erbfolgen einleitet und als »Mutter der Lager«, ja, wie ein übermenschliches Wesen, über den Heeren waltet. Ihr Sohn und Enkel werden von ergrimmten Soldaten vor ihren Augen niedergemacht, und gleich darauf ist die Reue so gross, dass man ihr die Ernennung eines neuen Kaisers überlässt. Sie ernennt zuerst (267) den Soldaten zuliebe den starken Waffenschmied Marius, nach dessen Ermordung aber – höchst gewagterweise – einen Mann, den die Armee nicht kannte, ihren Verwandten Tetricus, dessen unmilitärische Regierung sich die Soldaten (seit 267) wenigstens bis zum plötzlichen Tode Victoriens33 gefallen liessen.
An das Ende dieser Reihe von Usurpationen gehört offenbar die des Celsus in Afrika, weil sie die am wenigsten berechtigte und in ihrem Erfolge die geringste war. Ohne den Grund oder Vorwand eines Barbarenangriffes rufen die Afrikaner (wahrscheinlich nur die Karthager) auf Anstiften ihres Prokonsuls und eines Generals den Tribun Celsus zum Kaiser aus; das mangelnde göttliche Recht musste der Mantel der »Himmlischen Göttin« ersetzen, den man aus dem berühmten Orakeltempel zu Karthago holte, um den Anmasser damit zu bekleiden. Auch hier spielt ein Weib die Hauptrolle; nach sieben Tagen wurde Celsus auf Anstiften einer Base des Gallienus ermordet, und sein Leichnam von Hunden zerrissen, worauf die Einwohner von Sicca aus Loyalität gegen den Kaiser bestanden. Dann kreuzigte man den Celsus noch in effigie.
Gallienus selber scheint sich in diese unerhörte, grösstenteils unverschuldete Lage keineswegs so gleichmütig und feige gefügt zu haben, wie die Historia Augusta uns will glauben machen. Einigen jener sogenannten »Dreissig Tyrannen« erteilt er wohl Caesaren- und Augusten-Titel, andere aber bekämpft er auf das äusserste. Die berüchtigte Indolenz muss ihn zeitweise befallen, aber auch plötzlich wieder verlassen haben; ein Zug nach Persien zur Befreiung seines Vaters aber, den man wohl von ihm verlangte, wäre unter jenen Umständen ein ganz undenkbares Unternehmen gewesen. Man kann sein Verhältnis zu den von ihm anerkannten Provinzialkaisern mit dem der Khalifen zu den abgefallenen Dynastien vergleichen, nur dass ihm nicht einmal Ehrengeschenke und Nennung im Kanzelgebet verblieben. Dafür behauptete er wenigstens Italien mit aller Anstrengung für sich allein; ausserdem blieben ihm mehrere der bedeutendsten Generale seines Vaters. Den Senat soll er geflissentlich vom Dienst, ja von blossen Besuchen in seiner Armee abgehalten haben, weil ihn selbst in diesen unparlamentarischen Zeiten die Furcht vor einer militärischen Senatsregierung verfolgte34.
Als Aureolus ihn auch in Italien angriff, brach er auf, zwang ihn, sich in Mailand zu konzentrieren und belagerte ihn hier. Schon war Aureolus in verzweifelter Lage, als Gallienus ermordet wurde (268). Der Täter war ein Oberst der dalmatinischen Reiter, die nächsten Urheber ein Gardepräfekt und ein General der Donautruppen; die eigentlichen Hauptpersonen aber waren (der spätere Kaiser) Aurelian, der mit Reiterei zum Belagerungsheer gestossen war, und der Illyrier Claudius, ein Günstling des Senates und zugleich einer der grössten Feldherrn seiner Zeit, der kein Geheimnis daraus zu machen pflegte, wenn die Schlaffheit des Gallienus ihm missfiel, und der wahrscheinlich deshalb abseits in Pavia seine Station hatte. Es soll ein förmlicher Rat dieser Generale über Leben und Tod des Gallienus gehalten worden sein, wobei auch die Reichsfolge des Claudius ihre Entscheidung müsste gefunden haben35.
Alles wohl erwogen, wird sich in dieser ausserordentlichen Zeit ein solches Komplott teilweise entschuldigen lassen; es war ein Gericht von nicht ganz Unberufenen, welches hier seinen Spruch tat. Wenn das Reich wieder seine Einheit finden sollte, so musste die Persönlichkeit des Gallienus vom Kampfplatz abtreten, was gutwillig nie geschehen wäre, weil derselbe ohne kaiserliche Genüsse nicht leben konnte. Sodann mochte Claudius den bevorstehenden Goteneinfall, den schrecklichsten jenes Jahrhunderts, nahe voraussehen, und dies war eine Not, die kein Gebot kannte. Abgesehen davon standen, während Gallienus vor Mailand lag, bereits die Alamannen in Italien, deren Überwindung die nächste dringendste Tat des Claudius sein musste, nachdem in der Schlacht bei Pontirolo mit Aureolus rasch aufgeräumt worden war. In der Grabschrift des letztern sagt Claudius, er hätte ihn am Leben gelassen, wenn die Rücksicht auf sein vortreffliches Heer es gestattete36. Wir brauchen an der Aufrichtigkeit dieser Worte nicht zu zweifeln.
Claudius (268–270) konnte die Riesenarbeit der Herstellung des Reiches nur beginnen, und seine Partei in Gallien musste er vorerst im Stiche lassen; aber sein Gotensieg bei Naissus war doch diejenige Tat, welche hauptsächlich der alten Welt das Leben fristete. Seiner sonstigen hohen Regenteneigenschaften konnte das Reich kaum geniessen, weil er schon nach einem Jahre starb; es wäre aber ungerecht, sie zu bezweifeln, weil er das Unglück gehabt hat, in die Hände der Lobredner zu fallen. Seine wahre Lobrede liegt in dem Stolz der illyrischen Reiterei auf die Landsmannschaft mit ihm, in der mutigen Zuversicht zur Gegenwehr gegen die Barbaren, die sein Sieg auch einzelnen schwachen Städten und Provinzialbevölkerungen einflösste. Spanien war bereits von Tetricus abgefallen, um sich ihm in die Arme zu werfen.
Er hatte einen trefflichen Bruder, Quintillus, den der Senat aus Hochachtung für den Verstorbenen zum Kaiser ernannte. Aber auf dem Sterbebett hatte Claudius selbst vor den versammelten Generälen37 den Aurelian zu seinem Nachfolger designiert, und das Heer hatte ihn sofort anerkannt. Dass Quintillus sich nun alsbald die Adern öffnete, war jenen Zeiten nicht mehr als gemäss.
Aurelian, aus der Gegend von Belgrad gebürtig, erscheint uns zwar um einen Grad barbarischer als sein Vorgänger38, in den wesentlichen Dingen aber des Throns kaum minder würdig. In einem glänzenden Feldzug (272) unterwarf er Zenobia und den Orient, was den Ruf seiner Unwiderstehlichkeit sogleich wunderbar steigerte. Marcellinus, der Statthalter Mesopotamiens, von einem Teile des Heeres zur Usurpation angeregt, machte selber Anzeige bei ihm; den Antiochus, welchen die sinnlosen Palmyrener erhoben, liess Aurelian laufen, nachdem er jene bestraft; den reichen Firmus, Prätendenten Ägyptens, dagegen befahl er als einen Räuber ans Kreuz zu schlagen, wahrscheinlich nur, um nach der Möglichkeit die tiefe, traditionelle Verachtung des Römers gegen den ägyptischen Volkscharakter an den Tag zu legen. Dem Tetricus endlich, welcher sich von seiner falschen Stellung zu den Soldaten unerträglich gedrückt fühlte und in der Schlacht bei Chalons (272) sein eigenes Heer verriet, gab Aurelian ein einträgliches Amt. Rechnet man zu diesen Kämpfen um Herstellung des Reiches noch fortdauernde siegreiche Barbarenkriege, so lässt sich leicht erraten, welche unvergleichliche Kriegsschule die Regierungszeit Aurelians gewährte; die bedeutendsten seiner Nachfolger auf dem Throne haben sich unter ihm und Probus gebildet.
In weit ungünstigerm Lichte erscheint sein Verhältnis zum Senat, welches uns etwa wie dasjenige des Septimius Severus geschildert wird. Verschwörungen und Unruhen aller Art in der Hauptstadt lässt der Kaiser auch den Senat entgelten, von dessen Mitgliedern mehrere sogar hingerichtet werden39. Von welcher