DAS HERZ-SUTRA. OshoЧитать онлайн книгу.
ist der Fluch, die Katastrophe, der Krebs. Wissen ist schuld, dass der Mensch vom Ganzen abgetrennt ist. Wissen schafft eine Distanz. Du entdeckst im Gebirge eine Wildblume, du weißt nicht, wie sie heißt, dein Verstand weiß nichts dazu zu sagen, der Verstand schweigt. Du schaust die Blume an, du siehst die Blume, aber kein Wissen steigt in dir auf – da ist nur ein Staunen, ein Geheimnis. Die Blume ist da, du bist da. Das Staunen schafft keine Distanz, es schafft eine Brücke.
Wenn du weißt, dass dies eine Rose ist oder eine Ringelblume oder was auch immer, dann schneidet dich genau dieses Wissen ab. Die Blume ist da, du bist da, aber es ist keine Brücke da – du weißt Bescheid! Wissen schafft Distanz. Je mehr du weißt, desto größer ist die Distanz; je weniger du weißt, desto geringer die Distanz. Und wenn du in einem Moment des Nichtwissens bist, ist keine Distanz da, bist du durch eine Brücke verbunden.
Du verliebst dich in eine Frau oder einen Mann. An dem Tag, an dem du dich verliebst, ist keine Distanz da. Es ist nur ein Staunen da, eine gewisse Gespanntheit, Erregung, Ekstase – aber kein Wissen. Du weißt nicht, wer diese Frau ist. Ohne Wissen gibt es nichts, was dich abspalten könnte. Daher die Schönheit jener ersten Liebesmomente. Kaum hast du vierundzwanzig Stunden mit der Frau verbracht, schon ist Wissen entstanden. Jetzt hast du ein paar Gedanken über diese Frau: Du weißt, wer sie ist, es ist ein Bild da. Vierundzwanzig Stunden haben eine Vergangenheit erzeugt. Diese vierundzwanzig Stunden haben Spuren im Verstand hinterlassen: Du siehst dieselbe Frau an – es ist nicht mehr das gleiche Geheimnis. Es geht bergab, der Gipfel ist verloren gegangen. Wer das versteht, hat vieles verstanden.
Wer versteht, dass alles Wissen trennt, dass Wissen Distanz erzeugt, der hat das innerste Geheimnis der Meditation verstanden. Meditation ist ein Zustand des Nichtwissens. Meditation ist reiner Raum, ungetrübt von Wissen. Ja, die biblische Geschichte ist wahr, dass der Mensch durch Wissen gefallen ist – dadurch, dass er die Frucht vom Baum des Wissens aß. Keine andere Schrift der Welt hat das je übertroffen.
Dieses Gleichnis ist das letzte Wort. Kein anderes Gleichnis ist zu solcher Höhe und Einsicht aufgestiegen. Es klingt so unlogisch, dass der Mensch durch Wissen gefallen ist! Es klingt deshalb unlogisch, weil Logik zum Wissen gehört. Die Logik ergreift voll die Partei des Wissens. Es klingt deshalb unlogisch, weil die Logik die eigentliche Ursache für den Fall des Menschen ist. Ein Mensch, der absolut logisch, absolut vernünftig, immer vernünftig ist, der nie in seinem Leben etwas Unlogisches zulässt, ist ein Wahnsinniger.
Vernunft muss sich mit Unvernunft die Waage halten; Logik muss durch Unlogik aufgewogen werden. Die Gegensätze treffen sich und wiegen einander auf. Ein Mensch, der nur rational ist, ist unvernünftig – ihm wird vieles entgehen. Tatsächlich wird ihm alles, was schön ist und alles, was wahr ist, entgehen. Er wird Plattheiten sammeln, sein Leben wird ein oberflächliches Leben sein. Er wird ein weltlicher Mensch sein.
Diese biblische Geschichte hat einen ungeheuren Tiefblick. Warum ist der Mensch durch Wissen gefallen? – weil Wissen Distanz erzeugt, weil Wissen das Ich und das Du erzeugt, weil Wissen das Subjekt und das Objekt erzeugt, den Wissenden und das Gewusste, den Beobachter und das Beobachtete. Wissen ist im Grunde schizophren. Es erzeugt eine Kluft – und dann gibt es keine Möglichkeit, sie zu überbrücken. Das ist der Grund, warum der Mensch umso unreligiöser geworden ist, je wissender er geworden ist.
Je gebildeter ein Mensch ist, desto geringer seine Chance, sich Gott zu nähern. Jesus hat recht, wenn er sagt: „Nur Kinder werden in mein Himmelreich kommen können“… nur Kinder? Was ist diese Eigenschaft, die ein Kind hat, und die ihr verloren habt? Das Kind hat die Eigenschaft des Nichtwissens, der Unschuld. Es schaut mit Staunen, seine Augen sind absolut klar. Es schaut tief, aber es hat keine Vorurteile, keine Urteile, keine Apriori-Vorstellungen. Es projiziert nicht, daher lernt es nur das kennen, was ist.
Erst neulich sprachen wir über den Unterschied zwischen Realität und Wahrheit. Ein Kind weiß die Wahrheit, ihr kennt nur die Realität. Realität ist das, was ihr erzeugt habt – durch Projizieren, Begehren, Denken. Die Realität ist eure Interpretation der Wahrheit. Die Wahrheit ist einfach das, was ist. Die Realität ist das, was ihr begriffen habt – sie ist euer ‚Begriff‘ von Wahrheit. Realität besteht aus lauter Dingen, alle getrennt. Die Wahrheit besteht aus einer einzigen kosmischen Energie. Die Wahrheit besteht aus Einheit, die Realität aus Vielheit. Die Realität ist ein Mob, die Wahrheit ist Einklang. Ehe wir auf die Sutras eingehen, muss dies der Grundstein sein: dass Wissen ein Fluch ist.
J. Krishnamurti hat gesagt: „Negieren heißt still sein.“ Was negieren? Das Wissen, den Verstand negieren, diese ständige Geschäftigkeit in dir negieren, einen ungeschäftigen Raum kreieren. Wenn du unbeschäftigt bist, bist du mit dem Ganzen in Einklang. Wenn du beschäftigt bist, hast du den Einklang verloren. Daran liegt es, dass jedesmal, wenn du zu einem Moment der Stille kommst, eine ungeheure Freude aufkommt. In so einem Moment hat das Leben Bedeutung, in so einem Moment hat das Leben eine Großartigkeit jenseits aller Worte. In so einem Moment ist das Leben ein Tanz. Selbst wenn in so einem Moment der Tod kommt, wird es ein Tanz und ein Fest werden, weil so ein Moment nichts anderes kennt als Freude. So ein Moment ist froh, er ist selig.
Wissen muss negiert werden. Aber nicht, weil ich es sage oder weil J. Krishnamurti es sagt oder weil Gautam Buddha es gesagt hat. Wenn ihr es nur deshalb negiert, weil ich es sage, dann werdet ihr euer Wissen negieren und stattdessen alles, was ich sage, als euer Wissen einsetzen; ihr werdet es ersetzen. Das Negieren darf nicht vom Verstand ausgehen, denn sonst ist der Verstand sehr trickreich. Dann wird alles, was ich sage, zu eurem Wissen gemacht, und ihr fangt an, euch daran zu klammern. Dann werft ihr eure alten Götzenbilder fort und ersetzt sie durch neue. Aber es ist das gleiche Spiel, nur gespielt mit neuen Wörtern, neuen Vorstellungen, neuen Gedanken.
Wie soll man denn dann sein Wissen negieren? – nicht durch anderes Wissen! Es genügt, einfach die Tatsache einzusehen, dass Wissen Distanz schafft – einfach intensiv und total diese Tatsache einzusehen. Nicht, dass du es durch etwas anderes ersetzen müsstest. Solch eine Intensität ist Feuer, solch eine Intensität wird dein Wissen einäschern. Solch eine Intensität ist es, die man ‚Erkenntnis‘ nennt. Die Einsicht wird dein Wissen verbrennen, und dann wird es nicht durch anderes Wissen ersetzt werden. Danach herrscht Leere – Shunyata. Danach herrscht das Nichts, denn dann gibt es keinen Inhalt. Danach herrscht die ungetrübte, unverzerrte Wahrheit.
Ihr müsst sehen, was ich hier sage; ihr dürft nicht auswendig lernen, was ich hier sage. Wenn ihr hier bei mir sitzt, wenn ihr mir jeden Tag lauscht, dann fangt nicht an, Wissen zu sammeln! Wenn ihr mir hier lauscht, fangt nicht an zu horten!
Mir zu lauschen muss ein Experiment im Erkennen werden. Ihr müsst mir mit Intensität, mit Totalität zuhören, mit so viel Wachheit, wie euch nur möglich ist. In dieser Wachheit selber seht ihr den springenden Punkt, und in diesem bloßen Sehen liegt die Verwandlung. Nicht, dass ihr hinterher noch darüber hinaus etwas zu tun hättet. Das Sehen selbst bringt die Mutation.
Wenn Anstrengung nötig ist, beweist das nur, dass du missverstanden hast. Wenn du morgen zu mir kommst und fragst: „Ich habe kapiert, dass Wissen der Fluch ist, dass Wissen Distanz schafft. Wie werde ich es nun aber los?“ – dann hast du missverstanden. Wenn das ‚Wie‘ auftaucht, hast du missverstanden. Das ‚Wie‘ kann nicht auftauchen, denn das ‚Wie‘ bittet um mehr Wissen. Das ‚Wie‘ bittet um Methoden, um Techniken: „Was sollte man tun?“ Dabei genügt das Erkennen; es braucht durch keine Anstrengungen unterstützt zu werden. Sein Feuer ist mehr als genug, um alles Wissen, das du in dir trägst, zu verbrennen. Sieh einfach den springenden Punkt!
Wenn du mir zuhörst, geh mit mir mit! Wenn du mir zuhörst, halte meine Hand und geh in die Räume hinein, in die ich dir hineinhelfen möchte. Und sieh, was ich sage, diskutiere nicht. Sage nicht ja, sage nicht nein. Stimme nicht zu, lehne nicht ab. Sei einfach mit mir in diesem Moment! – und plötzlich ist die Erkenntnis da. Wenn du aufmerksam zuhörst …
Und mit Aufmerksamkeit meine ich nicht Konzentration. Mit Aufmerksamkeit meine ich einfach, dass du mir mit Bewusstheit, nicht mit Stumpfsinn zuhörst, sondern mit Intelligenz, mit Lebendigkeit, mit Offenheit zuhörst. Du bist hier, jetzt, mit mir. Genau das meine ich mit Aufmerksamkeit: Du bist nirgendwo anders. Du vergleichst nicht in deinem Kopf das, was ich sage, mit deinen alten Gedanken.