DAS HERZ-SUTRA. OshoЧитать онлайн книгу.
Bettler bist.
Diese Vorstellung, dass du ein Bettler bist, dass du unwissend bist, dass du ein Sünder bist, ist seit Jahrhunderten von so vielen Kanzeln herab gepredigt worden, dass es zu einer tiefen Hypnose in euch geworden ist. Diese Hypnose gilt es zu brechen. Um sie zu brechen, beginne ich mit: „Ich grüße den Buddha in euch.“ Für mich seid ihr Buddhas.
All eure Mühen, erleuchtet zu werden, sind lächerlich. Wenn ihr dieses fundamentale Faktum nicht akzeptiert … Es muss einfach zu einem stillschweigenden Pakt werden – dass ihr es seid! Das ist der richtige Anfang, sonst geht ihr fehl. Das ist der richtige Anfang. Beginnt mit dieser Vision und macht euch keine Sorgen, dass daraus eine Art Ego entstehen könnte – dieses: „Ich bin ein Buddha!“. Seid unbesorgt, denn der ganze Verlauf des Herz-Sutra wird euch klar machen, dass das Ego die einzige Sache ist, die nicht existiert – das einzige, was nicht existiert! Alles andere ist real.
Es hat Lehrer gegeben, die sagen: Die Welt ist illusorisch, und die Seele ist existent – das Ich ist wahr, und alles andere ist illusorisch, ist Maya. Buddha sagt genau das Umgekehrte. Er sagte: Nur das Ich ist unwahr, und alles andere ist real. Und ich gebe eher Buddhas Standpunkt recht als dem anderen. Buddhas Einsicht ist sehr tief, sie ist die tiefgründigere. Niemand ist je bis in solche Dimensionen, solche Tiefen und Höhen der Wirklichkeit vorgedrungen.
Aber fangt mit dieser Vorstellung an – mit diesem Klima um euch, mit dieser Vision. Lasst es jeder Zelle in eurem Körper und jedem Gedanken in eurem Geist gesagt sein; lasst es jedem Winkel und jeder Ecke in eurem Wesen gesagt sein: „Ich bin ein Buddha!“ Und keine Sorge wegen dem Ich … mit dem werden wir schon fertig. ‚Ich‘ und Buddhaschaft können nicht zusammen existieren. Sobald die Buddhaschaft aufgedeckt ist, verschwindet das ‚Ich‘ – so wie die Dunkelheit verschwindet, sobald man Licht hineinbringt. Bevor wir auf die Sutras eingehen, mag es helfen, einen kleinen Rahmen, ein kleines Raster zu verstehen. Die alten buddhistischen Schriften sprechen von sieben Tempeln. Genau wie die Sufis von sieben Tälern sprechen und die Hindus von sieben Chakren sprechen, sprechen die Buddhisten von sieben Tempeln. Der erste Tempel ist körperlich, der zweite Tempel ist psychosomatisch, der dritte Tempel ist psychologisch, der vierte Tempel ist psycho-spirituell, der fünfte Tempel ist spirituell, der sechste Tempel ist spirituell-transzendental, und der siebte Tempel – der höchste, der Tempel der Tempel – ist transzendental.
Diese Sutras gehören zum siebten. Das hier sind Aussagen von einem, der den siebten Tempel betreten hat, den transzendentalen, den absoluten. Das ist mit dem Sanskrit-Wort Prajnaparamita gemeint – die Weisheit des Jenseits, vom Jenseits, im Jenseits; die Weisheit, die erst kommt, wenn man alle möglichen Identifikationen abgestreift hat, niedrigere wie höhere, diesseitige wie jenseitige, wenn man alle möglichen Identifikationen transzendiert hat, wenn man absolut nicht mehr identifiziert ist, wenn nur eine reine Flamme der Bewusstheit zurückbleibt, unverhüllt durch jeglichen Rauch.
Aus diesem Grunde verehren die Buddhisten dieses Büchlein, dieses winzige Buch. Und sie nannten es das Herz-Sutra – das wahre Herz der Religion, ihr wahrer Kern.
Der erste Tempel – der körperliche – kann auf der Hindu-Leiter mit dem Muladhar Chakra verglichen werden; der zweite, der psychosomatische, mit dem Svadisthan Chakra; der dritte, der psychologische, mit Manipura; der vierte, der psycho-spirituelle, mit Anahatta; der fünfte, der spirituelle, mit Vissudha; der sechste, der spirituell-transzendentale, mit Sahasrar. Sahasrar bedeutet tausendblättriger Lotus. Das ist das Symbol des endgültigen Aufblühens: Nichts ist jetzt verhüllt; alles ist unverhüllt, offenbar geworden. Der tausendblättrige Lotus hat sich geöffnet, der ganze Himmel ist erfüllt von seinem Duft, seiner Schönheit, seinem Segen.
In der Moderne hat eine große Sucharbeit nach dem innersten Kern der menschlichen Existenz eingesetzt. Es wird gut sein zu verstehen, wie weit uns unsere modernen Bemühungen führen.
Pawlow, B.F. Skinner und andere Behavioristen drehen sich immer nur um das Körperliche – das Muladhar. Sie glauben, der Mensch sei nur Körper. Sie lassen sich allzu sehr auf den ersten Tempel ein, sie lassen sich allzu sehr auf das Körperliche ein, sie vergessen darüber alles andere. Diese Leute versuchen, den Menschen nur aus dem Körperlichen, dem Materiellen heraus zu verstehen. Diese Einstellung wird zum Hindernis, weil sie nicht offen sind. Wenn man von Anfang an leugnet, dass es etwas anderes gibt als den Körper, dann leugnet man alles Weitersuchen, wird daraus ein Vorurteil. Ein Kommunist, ein Marxist, ein Behaviorist, ein Atheist – Menschen, die glauben, dass der Mensch nur Körper sei … schon ihr Glaube verschliesst ihnen von vornherein die Tür zu allen höheren Realitäten. Sie werden blind. Dabei ist das Körperliche durchaus da. Das Körperliche ist das Offensichtlichste, es bedarf keiner Beweise. Der physische Körper ist einfach da, man braucht ihn nicht erst zu beweisen. Aber weil man ihn nicht zu beweisen braucht, wird er zur einzigen Realität! Das ist Unsinn. Dann verliert der Mensch alle Würde. Wenn es nichts gibt, worin oder wohin man zu wachsen hat, kann es keine Würde im Leben geben. Dann wird der Mensch zum Ding. Dann bist du nichts Offenes, dann wird dir nichts Höheres widerfahren, dann bist du Körper: Du wirst essen und du wirst ausscheiden und du wirst essen und du wirst Liebe machen und Kinder zeugen, und so geht es immer weiter, und eines Tages stirbst du. Eine mechanische Wiederholung der weltlichen, der trivialen Dinge – wie kann es da irgendeinen Sinn, irgendeine Bedeutung, irgendeine Poesie geben? Wie kann es da irgendeinen Tanz geben?
Skinner hat ein Buch geschrieben: „Jenseits von Freiheit und Würde“. Es sollte besser heißen: Unterhalb von Freiheit und Würde, nicht jenseits. Es ist unterhalb, es ist das denkbar niedrigste Menschenbild, das denkbar hässlichste. Mit dem Körper ist nichts verkehrt, vergesst das nicht! Ich bin nicht gegen den Körper, er ist ein schöner Tempel! Hässlich wird es erst, wenn ihr glaubt, er sei alles.
Man kann sich den Menschen als Leiter mit sieben Sprossen vorstellen – und ihr identifiziert euch mit der ersten Sprosse! Dann seid ihr nach nirgendwo unterwegs. Und die Leiter ist da, und die Leiter ist die Brücke zwischen dieser Welt und jener. Die Leiter ist eine Brücke von der Materie zu Gott. Die erste Sprosse ist völlig in Ordnung, wenn sie im Hinblick auf die ganze Leiter benutzt wird. Wenn sie als erste Stufe fungiert, ist sie ungeheuer schön: Man sollte dem Körper dankbar sein. Aber wenn ihr anfangt, die erste Sprosse anzubeten, dann ist es überhaupt keine Sprosse mehr. Denn eine Sprosse ist nur solange eine Sprosse, wie sie zu einer anderen Sprosse hinführt. Eine Sprosse ist nur dann eine Sprosse, wenn sie Teil einer Leiter ist. Wenn sie keine Sprosse mehr ist, dann sitzt du auf ihr fest. Daher stecken Menschen, die materialistisch sind, immer fest, sie haben immer das Gefühl, dass etwas fehlt, sie haben nicht das Gefühl, irgendwohin unterwegs zu sein. Sie drehen sich in der Runde, im Kreis, und sie kommen immer wieder zum gleichen Fleck. Sie werden müde und angeödet. Sie beginnen an Selbstmord zu denken. Und alle Bestrebungen in ihrem Leben richten sich nur noch darauf, irgendeinen Kitzel zu finden, damit etwas Neues passieren kann. Aber was kann schon ‚Neues‘ passieren? All die Sachen, mit denen wir uns immer beschäftigt halten, sind nichts als Spielsachen zur Ablenkung.
Denkt an folgende Worte von Frank Sheed: „Die Seele des Menschen schreit nach Sinn und Bedeutung. Und der Wissenschaftler sagt: ‚Hier habt ihr ein Telefon!‘ oder ‚Schaut nur, ein Fernseher!‘ – genau wie man ein Baby, das nach seiner Mutter schreit, damit abzulenken sucht, dass man ihm einen Lutscher gibt oder Grimassen schneidet. Die nie versiegende Quelle der Erfindungen hat es hervorragend geschafft, den Menschen abgelenkt zu halten, ihn von der Erinnerung abzuhalten, was ihn eigentlich quält.“
Alles, womit euch die moderne Welt ausgestattet hat, ist nichts als süße Lutscher, Spielzeug zur Ablenkung – in Wirklichkeit habt ihr nach der Mutter geschrieen, habt ihr nach Liebe geschrieen, habt ihr nach Bewusstsein geschrieen und habt ihr nach irgendeinem Sinn im Leben geschrieen. Sie aber sagen: „Schaut mal das Telefon! Schaut mal der Fernseher! Schaut mal, wir haben euch lauter schöne Sachen mitgebracht!“ Und ihr spielt ein bisschen damit rum; wieder habt ihr es satt, wieder ödet es euch an, und wieder suchen sie weiter nach neuen Spielsachen, um euch abzulenken. Dieser Zustand ist lächerlich. Er ist so lächerlich, dass es geradezu unvorstellbar scheint, wie wir so weiterleben können. Wir sind auf der ersten Sprosse stehengeblieben.
Vergesst nicht, ihr seid im Körper, aber ihr seid nicht der Körper. Haltet