Die Kleinbürger. Оноре де БальзакЧитать онлайн книгу.
diesen Sonntag haben wir unser Diner, und meine Schwester und meine Frau haben mich beauftragt, Sie dazu zu bitten ...«
»Ich hatte so viel zu tun,« sagte Theodosius, »dass ich für niemanden, wer es auch sei, auch nur zwei Minuten übrig hatte, selbst nicht für Sie, den ich doch zu meinen Freunden rechne, und mit dem ich zu reden hatte ...«
»Wie? Denken Sie denn wirklich ernsthaft an das, worüber Sie mit mir gesprochen haben?« unterbrach Thuillier Theodosius.
»Wenn Sie nicht gekommen wären, damit wir uns darüber verständigen, dann würde ich Sie nicht so hochschätzen, wie ich es tue«, entgegnete la Peyrade lächelnd. »Sie waren doch Vizechef, Sie werden also doch wohl noch ein wenig Ehrgeiz haben, und der ist bei Ihnen nur allzu berechtigt! Hören Sie! Unter uns gesagt, wenn man sieht, wie dieser Minard, ein vergoldeter Hohlkopf, zu Hofe geht und sich in den Tuilerien breit macht; wie Popinot auf dem Wege ist, Minister zu werden; ... und Sie, ein Mann, der die Geschäfte der Verwaltung am Schnürchen hat, ein Mann mit dreißigjähriger Erfahrung, der unter sechs Regierungen gedient hat, Sie sollen sich damit begnügen, in der Stille Ihre Rosen zu züchten? Oh, nein! ... Ich rede offen, mein lieber Thuillier, ich will Sie in die Höhe bringen, weil Sie mich dann mit emporziehen ... Also hören Sie meinen Plan. Aus unserm Bezirk soll ein Mitglied des Magistrats gewählt werden, und das sollen Sie sein! ... Und,« sagte er mit Nachdruck, »das werden Sie sein! Dann werden Sie eines Tages zum Deputierten des Bezirks gewählt werden, sobald die Kammer neu gewählt wird, was ja nicht mehr lange dauern kann ... Die Stimmen, die Sie zum Mitglied der Stadtverwaltung gewählt haben, werden Ihnen auch bei der Deputiertenwahl treu bleiben, verlassen Sie sich dabei auf mich ...«
»Aber wie wollen Sie das zustande bringen?« rief Thuillier aus, fasziniert von dieser Aussicht.
»Das werden Sie schon erfahren; aber Sie müssen mich diese langwierige und schwierige Sache allein durchführen lassen; wenn Sie irgend etwas verlauten lassen von dem, was in dieser Angelegenheit besprochen, eingefädelt und zwischen uns verabredet wird, dann lasse ich Sie im Stich und sage: gehorsamer Diener!«
»Oh, Sie können auf das absolute Schweigen eines früheren Vizechefs rechnen; was sind mir für Geheimnisse anvertraut worden ...«
»Schön! Aber es handelt sich auch darum, dass die Sache vor Ihrer Frau, Ihrer Schwester und den Collevilles geheim bleibt.«
»Nicht ein Wimpernzucken soll etwas verraten«, sagte Thuillier und nahm eine undurchdringliche Miene an.
»Gut!« erwiderte la Peyrade, »ich werde Sie auf die Probe stellen. Aber um gewählt werden zu können, muss man den Zensus bezahlen, und das tun Sie nicht.«
»Verzeihung, für die Munizipalwahl genügt das, was ich zahle: zwei Franken und sechsundachtzig Centimes.«
»Gewiss; aber für die Kammerdeputierten beträgt der Zensus fünfhundert Franken, und wir haben damit keine Zeit zu verlieren, denn man muss nachweisen, dass man schon ein Jahr lang so eingeschätzt ist.«
»Teufel noch mal!« sagte Thuillier, »binnen eines Jahres auf fünfhundert Franken zu kommen ...«
»Spätestens Ende Juli werden Sie zahlen müssen; aber meine Ergebenheit geht so weit, dass ich Ihnen das Geheimnis eines Geschäftes anvertrauen will, bei dem Sie sich dreißig- bis vierzigtausend Franken Rente mit einem Kapital von höchstens hundertfünfzigtausend Franken verschaffen können. Nun leitet bei Ihnen seit langer Zeit Ihre Schwester die Geldgeschäfte; ich bin weit entfernt davon, das zu missbilligen; sie besitzt, wie man sagt, die beste Urteilsfähigkeit; wir müssen also damit beginnen, dass ich mir die Zuneigung und Freundschaft Fräulein Brigittes erwerbe, indem ich ihr diese Kapitalsanlage vorschlage, und zwar aus folgendem Grunde: wenn Fräulein Thuillier mir nicht unbedingtes Vertrauen schenkt, würde es ein Hin- und Hergezerre geben; daher müssen Sie Ihrer Schwester nahelegen, dass Sie das Grundstück auf Ihren Namen eintragen lässt. Das ist viel wirksamer, als wenn dieser Vorschlag von mir ausginge. Im übrigen werden Sie ja beide die Sachen prüfen. Was nun meine Schritte anlangt, die ich tun will, um Sie in die städtische Verwaltung zu bringen, so sind es diese: Phellion verfügt über den vierten Teil der Stimmen seines Stadtviertels, er und Laudigeois wohnen hier seit dreißig Jahren, man hört auf sie wie auf ein Orakel. Ein Freund von mir verfügt über ein zweites Viertel, und der Pfarrer von Saint-Jacques, der infolge seines vortrefflichen Charakters einen gewissen Einfluss hat, auch über einige Stimmen. Dutocq, der ebenso wie der Friedensrichter Beziehungen zu den Bewohnern des Bezirks hat, wird mir behilflich sein, zumal da es sich nicht um mich selber handelt; und schließlich bedeutet Colleville, als Stadtsekretär, auch ein Viertel der Stimmen.«
»Aber Sie haben ja ganz recht,« rief Thuillier aus, »dann bin ich ja gewählt!«
»Glauben Sie?« sagte la Peyrade mit beißender Ironie; »gehen Sie nur mal zu Ihrem Freunde Colleville und bitten Sie ihn um seine Unterstützung; Sie werden schon sehen, was er sagen wird ... Bei Wahlangelegenheiten erlangt kein Kandidat den Sieg durch sich selbst, sondern nur durch seine Freunde. Niemals darf man selbst etwas für sich verlangen, man muss sich bitten lassen, eine Kandidatur anzunehmen, man muss jeden Ehrgeiz ableugnen.« »La Peyrade,« rief Thuillier, erhob sich und drückte dem jungen Advokaten die Hand, »Sie sind ein sehr kluger Mann.«
»Nicht so klug wie Sie, aber ich besitze einige Fähigkeiten«, erwiderte der Provenzale lächelnd.
»Aber wie soll ich mich gegen Sie erkenntlich zeigen, wenn wir siegen?« fragte Thuillier naiv.
»Also hören Sie ... Sie werden mich vielleicht für anmaßend halten; bedenken Sie aber, dass ein tiefes Gefühl mich rechtfertigt, und dass dieses Gefühl mir Mut gemacht hat, alles dies in die Wege zu leiten! Ich liebe, und ich will mich Ihnen anvertrauen.«
»Aber wen denn?« sagte Thuillier.
»Ihre teure kleine Celeste,« erwiderte la Peyrade, »und diese Liebe bürgt Ihnen für meine Hingebung, denn was täte ich nicht alles für meinen ›Schwiegervater‹! Es ist das ja Egoismus, ich arbeite ja für mich ...«
»Still!« rief Thuillier erschreckt.
»Ja, mein lieber Freund,« sagte la Peyrade und fasste ihn um die Taille, »hätte ich nicht Flavia auf meiner Seite und wüsste ich nicht alles, würde ich dann mit Ihnen davon gesprochen haben? Nur bitte ich, noch abzuwarten; sprechen Sie noch kein Wort mit ihr darüber. Hören Sie mich an: ich bin aus dem Holz, aus dem Minister geschnitzt werden, und ich will Celeste erst besitzen, wenn ich sie mir verdient habe; Sie sollen mir Ihre Hand erst an dem Abend des Tages zusagen, an dem sich in der Wählerliste so viele Stimmen auf Ihren Namen vereinigt haben, dass Sie Deputierter von Paris werden. Dazu aber muss man schwerer wiegen als Minard: Minard muss also beiseite geschoben werden, Sie müssen das, worauf sich Ihr Einfluss gründet, in der Hand festhalten, und um das zu erreichen, machen Sie Celeste zu einem Preis, um den wir alle kämpfen ... Frau Colleville, Sie und ich, wir werden eines Tages wichtige Persönlichkeiten sein. Glauben Sie übrigens nicht, dass ich ein Geldinteresse habe: ich will Celeste ohne Vermögen haben, nur mit ihren Aussichten ... Mit Ihnen zusammen zu leben, Celeste im Schoße Ihrer Familie zu lassen, das ist meine Absicht ... Sie sehen, ich spreche ohne Hintergedanken. Was Sie anlangt, so werden Sie sechs Monate nach Ihrer Wahl zum Rat der städtischen Verwaltung das Kreuz haben, und sobald Sie Deputierter sind, werden Sie sich zum Offizier der Ehrenlegion ernennen lassen ... Ihre Kammerreden, nun, die werden wir zusammen verfassen! Vielleicht wird es nötig sein, dass Sie ein ernstes Buch über eine Materie auf halb moralischem, halb politischem Gebiet schreiben, zum Beispiel über Wohltätigkeitseinrichtungen von einem höheren Gesichtspunkte aus, oder über die Reform der Pfandleihhäuser, bei denen schwere Missbräuche eingerissen sind. Dann bringen wir neben Ihrem Namen ein kleines Bild von Ihnen ... Das wird gut wirken, besonders in unserm Viertel. Ich habe Ihnen gesagt: ›Sie können das Kreuz haben und Mitglied der Behörde des Seinedepartements werden‹. Vertrauen Sie mir, denken Sie nicht daran, mich in Ihre Familie aufzunehmen, bevor Sie nicht das Ordensband im Knopfloch haben und erst an dem Tage, an dem Sie Ihren Sitz in der Kammer eingenommen haben. Aber ich werde noch mehr tun: ich werde Ihnen ein Einkommen von vierzigtausend Franken verschaffen ...« »Schon für jeden einzelnen dieser drei Punkte sollen Sie unsere Celeste haben!«
»Ach,