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Antisemitismus. Achim BühlЧитать онлайн книгу.

Antisemitismus - Achim Bühl


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Effekte zeitigen, da sich diese letztendlich gegen das Kapital wenden müsse und dann »die Stunde der Ernte« für die Sozialdemokratie käme. In der vom Parteitag angenommenen Resolution heißt es gar, trotz ihres reaktionären Charakters werde die antisemitische Bewegung gegen ihren Willen revolutionär wirken. Betont wird zwar, dass die Sozialdemokratie den Antisemitismus bekämpfe, doch da die Lösung aller Probleme in der Aufhebung des Kapitalismus gesehen wird, wodurch der Antisemitismus absterben würde, bleibt das Postulat wirkungslos, insofern eine Eigenständigkeit des Kampfes gegen den Antisemitismus auf diese Weise de facto negiert wird. In dieser Negation lag eine fatale Unterschätzung des Antisemitismus seitens „der Linken“, die dessen weiteren Siegeslauf mit ermöglichte.

      Das von Bebel adaptierte Rassendenken führt im weiteren Verlauf seines Vortrags dazu, dass der sozialdemokratische Parteiführer sich der rassistischen Markierung bedient, sodass es fortwährend „der Jude“ heißt. Auch für Bebel ist „der Jude“ so „der Fremde“, dessen prozentualer Anteil auf wichtigen ökonomischen wie kulturellen Feldern zu erfassen sei und dessen anteilige Relevanz zur Ursache des Antisemitismus wird, wenn es heißt:

      »Wenn heute der Bauer seine Produkte verkauft, Kartoffeln, Getreide, Hopfen, Tabak, Wein, wer sind seine Käufer? Juden. Wer leiht ihm die Kapitalien, wer kauft und verkauft sein Vieh? Juden. […] Und nun tritt auch auf dem Gebiet der Industrie der Jude in Konkurrenz. Die fabrikmäßige Schuhmacherei, die Schneiderei, der Handel mit Kleidern, neuen und alten, die Tuchfabriken etc. liegen mehr oder weniger in den Händen der Juden. Der Jude, der als Großhandelstreibender eine Menge kleiner Handwerker beschäftigt, der als Kapitalist en gros, als Ausbeuter auch auf diesem Gebiete auftritt, muss natürlich auch unter seinen Konkurrenten den Antisemitismus hervorrufen.« (Parteitagsprotokoll des Kölner SPD-Parteitags von 1893, S. 227)

      Einmal in die Falle des Rassenkonstrukts und der damit verbundenen rassistischen Markierung getappt, generiert „der Jude“ bei Bebel immer mehr zum eigentlichen Verursacher des Antisemitismus. Während beim Geldverleih der „Wucherjude“ die Schuld trägt, ist es an den Universitäten im Geiste eines philosemitischen Konstrukts der fleißige, strebsame jüdische Student, der nicht bummelt und nicht säuft, der den Neid seiner Kommilitonen entfacht.

      Die höchst problematische Beziehung zwischen „der Linken“ und „den Juden“ war indes schon älter als Bebels Rede, die als gedruckte Broschüre stark rezipiert wurde. Wirkung auf sozialdemokratische Intellektuelle hatte ebenso die im Jahr 1844 veröffentlichte Schrift Zur Judenfrage von Karl Marx. Die antisemitischen Töne, Stereotype wie Intentionen des Verfassers sind in dieser Abhandlung unverkennbar und veranlassten bereits Hannah Arendt dazu, von einer Schrift zu sprechen, die für den »Antisemitismus der Linken« als »klassisch« gelten könne. Deutlicher noch als bei Bebel kommt bei Marx der antisemitische Kern zum Ausdruck, der die sozialistischen Debatten bezüglich der „Judenfrage“ im 19. Jh. prägte. Für den Sozialisten Marx besitzt das Judentum keine perspektivische Existenzberechtigung und zwar weder als Religion, noch als Volk bzw. Nation. Die Lösung der „Judenfrage“ besteht hier im Sozialismus, mit dem das Judentum verschwände und zugleich der Antisemitismus absterbe, so Marx und dessen Epigonen. Derweil der Antisemitismus indes noch nicht verschwunden ist, reproduziert auch Marx dessen Pejorativ, d. h. abwertenden Stereotype, nach Kräften, so heißt es etwa:

      »Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld. […] Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element, welches durch die geschichtliche Entwicklung, an welcher die Juden in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet, auf seine jetzige Höhe getrieben wurde, auf eine Höhe, auf welcher es sich notwendig auflösen muss. Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum. […] Der Jude hat sich auf jüdische Weise emanzipiert, nicht nur, indem er sich die Geldmacht angeeignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn das Geld zur Weltmacht und der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden ist. Die Juden haben sich insoweit emanzipiert, als die Christen zu Juden geworden sind.« (MEW Bd. 1, Berlin 1977, S. 372/373)

      Die antijüdische Assoziierung von Geld und Judentum wird bei Marx in einer Weise betrieben, dass „der Jude“ kausal für die Globalisierung des Geldverkehrs verantwortlich gemacht wird. „Der Jude“ mutiert bei Marx zum Protokapitalisten, sein Finanzgebaren, sein ihm wesensmäßiger Schachergeist hätten die „christlichen Völker“ infiziert und aus dem Christen den „Geldbesessenen“ gemacht. Mit dem „christlichen Kapitalisten“ müsse folglich auch der „jüdische Protokapitalist“ verschwinden. Angesichts der Schärfe der Passagen, die dem Judentum offen seine Existenzberechtigung absprechen, ist es verharmlosend, wenn betont wird, Marx sei lediglich ein Antisemit des Wortes aber nicht der Tat gewesen. Es ist schlicht Hass, wenn Juden in generalisierender Weise bei Marx als Personen charakterisiert werden, die nicht davor zurückschreckten, das eigene Weib zu verschachern. Der Übergang vom Wort zur diskriminierenden Tat ist zumal fließend, wenn Marx seinen Kontrahenten Ferdinand Lassalle als »jüdischen Nigger« bezeichnet, als »Jüdel Braun«, »Ephraim Gescheit« und »Itzig«. Die rassistische Markierung auf die Spitze treibend, schreibt Marx über Lassalle 1862 in einem Brief an Friedrich Engels:

      »Der jüdische Nigger Lassalle, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreist, hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren […] Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten anschlossen (wenn nicht seine Mutter oder Großmutter von väterlicher Seite sich mit einem Nigger kreuzten). Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen. Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.« (Marx an Engels im Jahr 1862, MEW Bd. 30, S. 257)

      Gleichwohl dürfen die Unterschiede zwischen Marx und Bruno Bauer, auf dessen 1843 erschienene Schrift Die Judenfrage sich die Marx’sche Abhandlung bezog, nicht übersehen werden. Während Bauer mit linkshegelianisch-sektiererischen Argumenten die Judenemanzipation im christlichen Staat ablehnte, schrieb Marx in einem Brief an Arnold Ruge am 13. März 1843:

      »Soeben kömmt der Vorsteher der hiesigen Israeliten zu mir und ersucht mich um eine Petition für die Juden an den Landtag, und ich will’s tun. So widerlich mir der israelitische Glaube ist, so scheint mir Bauers Ansicht doch zu abstrakt. Es gilt so viel Löcher in den christlichen Staat zu stoßen als möglich und das Vernünftige, soviel an uns, einzuschmuggeln. Das muß man wenigstens versuchen – und die Erbitterung wächst mit jeder Petition, die mit Protest abgewiesen wird.« (MEW Bd. 27, S. 418)

      Marx unterstützte also die Petition der jüdischen Gemeinde, wenngleich seine Aversion auch hier im Terminus »widerlich« zum Ausdruck kommt und seine Unterstützung weniger grundsätzlicher als vielmehr taktischer Natur ist.

      Bereits der Historiker Edmund Silberner wies darauf hin, dass der von Marx diskriminierte Lassalle seinerseits ebenso nicht mit judenfeindlichen Bemerkungen sparte und sich bei nahezu allen sozialistischen wie anarchistischen Stammvätern des 19. Jh.s erschreckende Passagen finden lassen, so u. a. bei Charles Fourier, Pierre-Joseph Proudhon, Johann Baptist von Schweizer, Beatrice Webb und Michael Bakunin.

       1.7Pangermanismus in Österreich

      Jahrelang dauerte die Debatte um die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Wien. Nicht zuletzt die Universität Wien wünschte eine Änderung ihrer Adresse angesichts des historisch belasteten Namens. Im Jahr 2012, drei Jahre vor der 650-Jahr-Feier der Alma Mater, war es soweit. Der Abschnitt der Ringstraße, an dem die Universität wie das Burgtheater liegen, wurde in Universitätsring umbenannt. Eine Umbenennung erfuhr ebenso die Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche auf dem Wiener Zentralfriedhof (Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus). Bestehen blieben indes der Dr.-Karl-Lueger-Platz sowie mehrere Gedenktafeln des ehemaligen österreichischen Politikers und Wiener Bürgermeisters von 1897 bis 1910.

      Der als Rechtsanwalt tätige Karl Lueger (1844–1910) entschied sich bereits früh für die Politik. Als


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