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Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen. Manfred VogtЧитать онлайн книгу.

Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen - Manfred Vogt


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Instabilitäten oder Symmetriebrüche erzeugt werden, die zu Phasenübergängen in lebenden Systemen führen. Außerdem berücksichtigt die systemisch-lösungsfokussierte Therapie »richtige« Zeitpunkte, da sie keine bestimmte Reihenfolge therapeutischer Sitzungen festlegt. Es entspricht voll und ganz dem systemischen Denken, die Sitzungsfrequenz am Bedürfnis des Klienten zu orientieren. So wird beispielsweise der Klient befragt, wie lange er denkt, Beratung und Therapie in Anspruch nehmen zu müssen. Zudem können in Krisenzeiten häufiger Termine angeboten und in anderen Zeiten längere Pausen konzeptionell integriert werden. Hier deckt sich die systemisch-lösungsfokussierte Therapie mit unserer Idee des Begriffes einer psychosozialen Begleitung im Behandlungsverlauf.

       Chronos

      Dank des medizinischen Fortschritts und der verbesserten hygienischen Bedingungen ist die Mortalität von Kindern und Jugendlichen durch körperliche Erkrankungen in Deutschland während des letzten Jahrhunderts erheblich gesunken. Stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die Bekämpfung von vergleichsweise hohen Fallzahlen und Mortalitätsrisiken von Infektionskrankheiten im Mittelpunkt des medizinischen Interesses, geht es heute vor allem um die Behandlung der sogenannten chronischen körperlichen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter, da diese kontinuierlich steigende Prävalenzen aufweisen (Schubert et al. 2004). In Abgrenzung zu akuten Erkrankungen sind chronische Erkrankungen lang anhaltend bzw. überdauernd – wobei der Terminus »chronische Erkrankung« gewissermaßen ein Regenschirmbegriff ist: Es können eine Vielzahl von medizinischen Krankheitsbildern, zum Beispiel chronische Erkrankungen aller Organsysteme, »Behinderungen« und psychische Erkrankungen, subsummiert werden (Schmidt u. Thyen 2008).

      Eine differenzierende und umfassende Definition ist aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen pädiatrischen Krankheitsbilder und Verläufe schwierig. Als definitorische Eckpunkte gelten jedoch zum einen die lange Dauer der Erkrankung (mindestens drei bis zwölf Monate) und zum anderen die Intensität, welche durch Einschränkungen bei entwicklungstypischen Aktivitäten, durch das Ausmaß an medizinischer Versorgung oder durch eine potenzielle Lebenslimitierung bestimmt wird (Schmidt u. Thyen 2008). Der Anstieg chronischer Erkrankungen resultiert aus verbesserten Überlebenschancen von vormals als unheilbar geltenden Erkrankungen. Allerdings ist insbesondere bei Krankheiten aus dem atopischen Formenkreis (Erkrankungen, die auf eine allergische Reaktion zurückzuführen sind, wie Neurodermitis oder Asthma) zu beobachten, dass es in den vergangenen Jahrzehnten in allen Industrienationen einen großen Zuwachs gegeben hat (Kurz u. Riedler 2003). Inzwischen können multiple chronische Erkrankungen erfolgreich behandelt werden, sodass die Betroffenen eine gute Lebensqualität erreichen. Dennoch dürfen die maßgeblichen Auswirkungen einer chronischen Erkrankung auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nicht vernachlässigt werden – sie stehen häufig im Fokus der psychosozialen Versorgung betroffener Familien (Warschburger 2000; Pinquart 2013).

      In einer bevölkerungsrepräsentativen Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) wurden in über 17.000 Fällen Eltern zur Krankheitsgeschichte ihrer Kinder befragt. Eine Auswertung ergab, dass bei 38,0 % der Jungen und 39,4 % der Mädchen in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine chronische Erkrankung wie Heuschnupfen, Skoliose, Herzkrankheiten und Krampfanfälle vorgelegen hatte (Scheidt-Nave et al. 2007). Nur bei einem Teil der chronisch erkrankten Kinder und Jugendlichen (Jungen: 16,0 %, Mädchen: 11,4 %) berichteten die Eltern auch von einem speziellen Versorgungsbedarf. Diese Versorgung umfasst die regelmäßige Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente, die psychotherapeutische oder pädagogische Unterstützung, den Umgang mit funktionellen Einschränkungen, spezielle Therapiebedarfe sowie die Unterstützung bei emotionalen Entwicklungs- oder Verhaltensproblemen. Von einer Behinderung, also einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben, sind etwa 2 % aller in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen mit einem Schweregrad von mindestens 50 % betroffen (Hempel 2006). An anderen schweren chronischen Erkrankungen wie malignen Erkrankungen im Kindesalter leiden wesentlich weniger Kinder: An ihnen erkranken jährlich im Durchschnitt 1.761 Kinder unter 15 Jahren, in deren Folge etwa 420 Kinder innerhalb von 15 Jahren nach Diagnose versterben (Kaatsch u. Spix 2013).

       1Chronische körperliche Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

      In diesem Kapitel werden die Hintergründe der Entstehung, des Verlaufs und der Behandlung ausgewählter chronischer Krankheitsbilder exemplarisch vorgestellt. Dabei unterscheiden wir zwischen unterschiedlichen Verlaufsformen, den entwicklungspsychologischen Folgen und den Auswirkungen auf das betroffene Familiensystem. Manche systemischen Psychotherapeuten bevorzugen es, ihre Klienten und deren Familien unvoreingenommen, ohne spezifisches Vorwissen oder das entsprechende klinische Erfahrungswissen von einzelnen Krankheitsbildern zu begegnen und das Auf und Ab der Erkrankung prozessorientiert zu begleiten. Wir vertreten hier die Ansicht, dass ein Einblick in die medizinischen Abläufe hilfreich ist, um mögliche kritische Punkte im Krankheits- und Therapieverlauf, bezogen auf die kognitiven, sozioemotionalen und familiären Folgen der Erkrankung, vorherzusehen und zielorientiert zu arbeiten.

       1.1Verlaufskategorien chronischer körperlicher Erkrankungen

      Für die Systemische Psychotherapie bei der Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und ihren Familien schlagen wir ein Modell vor, das sowohl Erkrankungen mit einer normalen Lebenserwartung als auch Erkrankungen mit einer begrenzten Lebenserwartung in typischen Verlaufsformen unterscheidet. Um psychotherapeutische Bedarfe betroffener Patienten und Familien abzuschätzen und eine daran orientierte Versorgung anbieten zu können, kategorisieren wir die vielzähligen chronischen Krankheitsbilder des Kindes- und Jugendalters in Abhängigkeit von ihren typischen Verlaufsformen und Anforderungen (vgl. Abb. 2).

       Abb. 2: Verlaufskategorien chronischer körperlicher Erkrankungen

       1) Chronische Erkrankungen mit multiplen und lebenslänglichen Einschränkungen

      Von den betroffenen Patienten sowie ihren Familien wird eine lebenslange Anpassungsleistung gefordert, da es sich um persistierende und nicht reversible Erkrankungen mit diversen Beeinträchtigungen handelt (genetische Defekte, Behinderungen und schwere Mehrfachbehinderungen, Geburtstraumata, Unfallfolgen, Skoliose, Lissenzephalie etc.).

       2) Akut lebensbedrohliche Erkrankungen (und Unfallfolgen)

      Für den Betroffenen besteht akute Lebensgefahr, weshalb schnellstmöglich medizinisch behandelt werden muss. Es findet eine kurative Therapie statt. Eine Heilung der Erkrankung sowie eine anschließend normale Lebensführung werden angestrebt, können aber nicht immer erreicht werden (z. B. bei onkologischen Erkrankungen, angeborenen Herzerkrankungen, Organversagen, Short-Gut-Syndrom).

       3) Erkrankungen, bei denen keine Heilung, aber bei hoher Therapie-Compliance eine normale Lebensführung möglich ist

      Eine normale Lebensführung ohne größere Einschränkungen ist möglich, sofern die notwendige medizinische Therapie durchgeführt wird (z. B. bei Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, juveniler idiopathischer Arthritis). Die Anforderungen und Belastungen durch eine meist medikamentöse und diätetische Therapie bestehen häufig ein Leben lang. Bei Erkrankungen dieser Kategorie gibt es gravierende Unterschiede: Während etwa bei Neurodermitis ein schwerer Schub zwar mit starkem Juckreiz, optisch sichtbaren Ekzemen und folglich großem Unwohlsein verbunden ist, aber keine Lebensbedrohung darstellt, kann eine unzureichend eingestellte Insulin-Zufuhr bei Diabetes lebensbedrohliche Folgen wie Koma oder


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