Dr. Norden Bestseller 334 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
und liebend gern hätte er ihr die Waffe entrissen. Sie zu überwältigen traute er sich schon zu, aber was sollte aus seinen Patienten werden, wenn der Bursche ganz durchdrehte? Mit einem Tippen an den Kopf hatte Dorthe ihm schon angedeutet, daß er nicht ganz zurechnungsfähig sein mußte.
Er wußte, wer da draußen schrie. Es war Frau Martens, die ohnehin leicht erregbar war, und für ihn war es schrecklich, daß er nicht helfen konnte.
»Vielleicht sagen Sie uns, wie wir Ihre Geldwünsche erfüllen sollen, wenn wir uns nicht mit der Außenwelt verständigen können«, sagte er sarkastisch. »Sie hätten das besser überlegen sollen.«
Er spürte, daß er einen wunden Punkt getroffen hatte. Er fragte sich auch, warum sie ausgerechnet seine Praxis ausgesucht hatten. Sally schielte nach dem Arzneischrank, und da kam ihm die Idee.
»Sie scheinen einen Schuß zu brauchen, sonst werden Sie schlapp machen. Sie bekommen die Spritze, wenn Sie abhauen. Sie bekommen auch mehr, wenn Sie Ihren Kumpan mitnehmen.«
Sie kniff ihre Augen zusammen. »Sie halten sich wohl für verdammt schlau«, zischte sie. »Aber mich legen Sie nicht aufs Kreuz. Den Schlüssel her. Ich weiß, was ich brauche.«
Sie drückte den Revolver an Gustav Conrads Stirn. »Er ist ein toter Mann, wenn Sie Zicken machen, Doktor«, zischte sie.
Es gab viele Frauen, die von Daniel Norden sehr beeindruckt waren, die für ihn sogar schwärmten, aber diese Sally Kirk beeindruckte er anscheinend überhaupt nicht.
Bedauerlicherweise hatte er auch nicht die leiseste Ahnung, daß sie sich als Patientin eingeschlichen hatte, denn Dorthe hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihm das zu sagen, aber sie konnte es ihm jetzt zuraunen, als Sally ein kurzes Gespräch mit jenem Mike führte. Sie schien tatsächlich nicht zu wissen, wie sie sich verhalten sollte.
»Verflucht noch mal, sie sollen zahlen, oder ich sprenge sie in die Luft«, schrie er, worauf Eva Marten wieder einen hysterischen Ausbruch bekam. Und ihr Geschrei mußte man auch draußen hören.
Es wurde an die Tür geschlagen. »Aufmachen, Polizei, Sie sind umstellt. Kommen Sie heraus«, dröhnte es durch das Haus.
»Ich knalle einen nach dem anderen ab, wenn Sie hereinkommen. Eine mußte schon dran glauben«, sagte der Mann.
»Sag doch was von dem Lösegeld«, schrie Sally, »telefonieren können wir doch nicht.«
»Eine Million«, sagte der Mann, »bis mittags, sonst fliegt Norden als toter Mann durchs Fenster.«
*
Im Café Fenstergucker wartete Dieter Sommer auf Marlies Höller, und er hatte keine Ahnung, was sich in der Praxis von Dr. Norden zutrug, denn das Café befand sich in einer Seitenstraße. Man hatte da zwar auch das Martinshorn gehört, dem aber keine große Bedeutung beigemessen, weil sich in der Umgebung täglich mehrere Unfälle zutrugen, die auch Polizeieinsatz erforderten. An einen Überfall dachte niemand, bis ein Mann hereinkam, der zu der Bedienung sagte, daß die Bank überfallen worden sei.
»Und jetzt soll sich der Räuber in einer Praxis verschanzt haben«, erzählte der Mann.
Dieter Sommer sprang auf. Alles Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen. »Bei Dr. Norden etwa?« rief er.
»Kann schon sein. Ich habe es nur im Vorübergehen gehört«, erwiderte der Mann.
Dieter Sommer warf der Bedienung einen Zehneuroschein auf den Tisch und rannte hinaus. Er ließ sein Auto stehen und lief zu Fuß zu dem Haus, das er vorhin so beschwingt verlassen hatte, weil er dieses nette Mädchen kennenlernte. Er war kein Draufgänger. Er hatte sich immer ein bißchen hart getan mit Mädchenbekanntschaften, aber mit Marlies hatte er gleich sprechen können.
Er war Gartenarchitekt, befaßte sich mit allen möglichen Schädlingen und war sich bei der Bekämpfung auch bewußt, daß die Mittel sehr viel mehr Schaden anrichten konnten, als die Schädlinge selbst, aber er wußte auch, wie gefährlich ein Zeckenbiß sein konnte, wenn man nicht geimpft war oder der Biß nicht gleich richtig behandelt wurde.
Dieter Sommer wurde es richtig übel, als er die Polizisten vor dem Haus sah. Es kostete ihn große Überwindung, einen anzusprechen. Aber er wollte wissen, was mit Marlies Höller war.
»Nun mal langsam«, sagte der Beamte, »in die Praxis kommen Sie jetzt nicht hinein.«
»Ich will wissen, was mit Fräulein Höller los ist. Ich habe auf sie im Café gewartet.«
»Sie waren also in der Praxis?« fragte der Beamte.
»Ja, und Fräulein Höller mußte noch bleiben, wegen eines Zeckenbisses.«
»Sie können sich genau erinnern, wann Sie gekommen sind und wann Sie die Praxis verlassen haben?«
»Natürlich kann ich das.«
»Und Sie wissen auch, wieviel Leute sich dort befinden?«
»Ich weiß, wieviel sich dort befanden, als ich an der Reihe war. Zwei waren vor mir dran. Ich war zum ersten Mal bei Dr. Norden. Ich habe mich mit Marlies Höller unterhalten. Es war noch eine neue Patientin gekommen, die aber erst nach mir an die Reihe kam. Da war ich schon weg. Ich wollte mich nicht wieder ins Wartezimmer setzen, das schon ziemlich voll war.«
»Wieviel Patienten waren da?«
»Drei Herren und fünf Damen, mit dieser Kirk, die auch zum ersten Mal da war. Deshalb hörte ich auch ihren Namen. Eine Dame war das aber nicht. Dann waren da auch noch die Sekretärin und eine junge Arzthelferin. Und natürlich Dr. Norden. Nach mir kam ein Herr an die Reihe. Conrad heißt er, das hörte ich. Es war genau halb zehn Uhr, als ich ging, und im Café erzählte ein Herr, daß die Bank überfallen worden sei und der Räuber sich in einer Arztpraxis verschanzt hätte. Deshalb bin ich hier. Ich will wissen, ob Fräulein Höller noch drinnen ist.«
»Das können wir leider nicht sagen, die Telefonverbindung ist unterbrochen.«
»Aber man wird doch was unternehmen können, wenn die Polizei schon an Ort und Stelle ist.«
»Sie drohen, die Patienten umzubringen, das können wir nicht riskieren.«
»Mein Gott, oh, mein Gott«, stöhnte Dieter Sommer, »was kann man denn nur tun?«
»Sie verlangen Lösegeld, eine Million«, sagte der Beamte sarkastisch. »Ich möchte wissen, wer in ein paar Stunden eine Million flüssig machen kann, die müssen verrückt sein.«
»Es sind mehrere?« fragte Dieter Sommer.
»Ein Mann und eine Frau. Die Frau müßte schon vorher in der Praxis gewesen sein.«
»Dann kann es doch nur diese Kirk gewesen sein, die andern waren doch solide und schon ältere Damen.«
»Und das Fräulein Höller?« fragte der Beamte.
»Wagen Sie nicht, Fräulein Höller zu verdächtigen«, brauste Dieter Sommer auf.
Daß eine Marlies Höller polizeilich gemeldet war, wurde rasch festgestellt. In mancher Beziehung waren die Computer doch sehr hilfreich. Marlies, noch nicht ganz einundzwanzig Jahre, wohnte bei ihrer Mutter. Der Vater war vor zwei Jahren an Krebs gestorben, hatte aber Frau und Kinder in geordneten Verhältnissen hinterlassen. Der ältere Bruder Heinz war Studienrat in einer Kleinstadt, noch unverheiratet. Es wurde bei der Mutter angerufen, die nicht weit von Dr. Nordens Praxis entfernt wohnte. Ihre Tochter sei nicht zu Hause. Sie wäre beim Arzt, sagte Frau Höller. Und weil man sie nicht in Panik versetzen wollte, wurde ihr noch nicht gesagt, was in der Praxis los war.
Anders sah es bei den Personalien von der angeblichen Sally Kirk aus. Da kam gar nichts aus dem Computer, und ganz gewiß würde es länger dauern, bis man etwas über sie in Erfahrung bringen konnte. Und von dem Bankräuber lag nicht mal eine Beschreibung vor, bis dann Frau Meixner ins Gespräch kam.
*
Frau Meixner war eine intelligente Frau mit klarem Verstand. Sie erklärte alles noch einmal ganz präzise, und sie konnte sogar sagen, daß der Wagen, der vor der Einfahrt