Fürstenkrone Classic 40 – Adelsroman. Susan HastingsЧитать онлайн книгу.
weiter stört. Bloß an meiner
nervlichen Konstitution merke ich manchmal, daß ich nicht mehr die Allerjüngste bin, nicht mehr ganz taufrisch, nicht mehr ganz so leistungsfähig, wie man es mit Mitte zwanzig ist – in Ihrem Alter also –, und mit Axel hat es die gleiche Bewandtnis. Ich hätte ihn ein bißchen früher kriegen sollen. Das wäre für uns beide besser gewesen. Aber viel früher habe ich Constantin ja nicht gekannt, also konnte es gar nicht zu Axel kommen. So, nun lasse ich Sie mit Ihren Betrachtungen wieder allein. Effi, es hilft alles nichts, muß man zuweilen ein bißchen auf die Finger sehen. Und was die Flaschenscherben betrifft, machen Sie sich keine Gedanken mehr darüber. Schließlich hat unser Personal auch mal Besuch, nicht wahr?«
Ich ließ sie gehen, ohne ihr die Frage gestellt zu haben, die mir auf den Lippen brannte, seitdem ich sie näher kannte. Anfangs hatte es diese Frage nicht gegeben.
Wir haben uns zufällig im Haus eines Verlegers anläßlich eines Abends am Kamin getroffen. Es waren nur wenige, illustre Gäste anwesend, und ich fungierte im Schlepptau eines brillanten Kollegen sozusagen am Rande. Aber ich wollte unbedingt zu dieser Party, weil ich wußte, Constantin würde dort sein. Und ich wollte seine Frau kennenlernen, koste es, was es wolle.
Im Endeffekt kostete es mich gar nichts, denn mein Kollege war ein Menschenfreund. Ich brauchte ihm nichts zu erklären. »Komm mit, wenn es dir Spaß macht«, sagte er lässig. Und so kam es, daß am schmiedeeisernen Gitter vor einem fremden Kamin mein Blick auf Tatjana von Ahrgau fiel – mein allererster Blick.
Mein zweiter Blick fiel erst auf Constantin, der sich meiner Ansicht nach sehr veränderte hatte. Er wirkte bedeutend gesetzter und bürgerlicher als früher, wo er halb den Bohemien, halb den alten Adel zuweilen herausgestrichen hatte.
Heute, und ich wußte nicht, ob mir das nun imponierte oder nicht, war er ein ausgewachsener Mann mit Berufspflichten, Geschäftsinteressen, Heim und Herd und Familie.
Man konnte fast vergessen, daß er einmal der bekannte und berühmte Sproß eines alten Hauses gewesen war, den wir in unseren Universitätsjahren alle in ihm sahen. Damals war er bedeutend interessanter gewesen, oder wenigstens war er mir so vorgekommen, während er heute bedeutend menschlicher war und einem näher schien.
Im übrigen verbrachte er einen großen Teil seines Lebens in den Wirtschaftskreisen, denen er vorstand, und in Ahrgau hielt er sich, bei Licht betrachtet, nur zum Essen und zum Ausruhen auf.
Eigentlich, dachte ich und rekelte mich in meinem Liegestuhl, hat Tatjana wenig von ihm und wenig an ihm, und für Axel mochte im Grunde dasselbe gelten. Constantin war, gleich vielen anderen Karrieremännern, ein gehetztes Wild zwischen Schreibtisch, Sitzung, offiziellen Anlässen und Familie.
Aber er war und blieb das vorletzte Glied in einer Kette aus Tradition, ruhmreicher Vergangenheit und entsprechender Verpflichtung. Niemals würde er aus diesem Bannkreis ausbrechen können, niemals würde er dieses Schloß verlassen und leichter, unbelasteter, bequemer und selbständiger leben.
»Hallo!« hörte ich in diesem Moment seine freundliche, heitere aufmunternde Stimme neben mir. »Du schläfst doch nicht etwa am hellen Mittag? Gleich gibt’s Kaltschale. Ich rieche es bis hier heraus.«
Ich sah an ihm empor, blinzelnd wegen der grellen Mittagssonne, an seinen knappen zwei Metern, die zwar nicht mehr ganz so mager und drahtig waren wie vor fünf Jahren, aber immer noch genauso beweglich.
Er hatte braunes Haar, offene braune Augen und immer, aber auch immer ein liebenswürdiges Wort auf den Lippen. Manchmal wünschte ich mir, er würde sich gegen seine Gewohnheit zu einer ruppigen Bemerkung hinreißen lassen, einmal nur, aber diesen Gefallen tat er mir nie.
Er war der besterzogenste Mann, der mir je begegnet war, der einzige Gentleman, den ich je kennengelernt hatte. Und darin lag vermutlich seine besondere Anziehungskraft auf mich, die ich mit vielen Männern arbeiten mußte, mit Männern, die kein Blatt vor den Mund nahmen, wahrhaftig, kein einziges Blatt…
»Ich komme schon«, hörte ich mich sagen, und ich wußte, daß meine Stimme gehemmt klang und betont distanziert, damit er nur ja nicht denken könnte, mir läge heute noch etwas an ihm.
Zuweilen ertappte ich mich bei dem Gedanken, daß er mir einmal sehr viel bedeutet hatte, aber diesen Gedanken schob ich von mir wie ein lästiges Insekt. Ich war nicht hier, um mir Gedanken dieser Art zu erlauben, und er selbst, Gott sei Dank, ebenfalls nicht.
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