Toni der Hüttenwirt 253 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Sandra!«
»Freut mich, dir begegnet zu sein, auch wenn die Umstände recht ungewöhnlich waren«, sagte er. »Aber es ist wohl Schicksal. Normalerweise nehme ich einen anderen Weg. Doch ich freue mich über das Zusammentreffen.«
»Mach auch noch Witze«, zischte Sandra. »Eins sage ich dir gleich, damit du es weißt: Jeder Versuch, mit mir zu flirten, ist vergeblich. Wie du so treffend geraten hast, habe ich ein Erdbeben, Hurrikans und Tornados durchlebt und jetzt kämpfe ich gegen die Wassermassen eines Tsunami. Danke, dass du mich auf diese Insel gerettet hast. Wenn ich den Kaffee ausgetrunken habe, werde ich verschwinden.«
»Wohin? Welchen Planeten in welcher Galaxie steuerst du an?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte Sandra leise.
Sie ließ den Kopf hängen, Tränen liefen ihr die Wangen herab.
Thorstens Herz war voller Mitleid. Und mehr! Er betrachtete Sandra. Welch wunderbare junge Frau! Trotz der Tränenspuren sah sie sehr attraktiv aus.
»Wir kennen uns nicht. Rein statistisch betrachtet, die Wahrscheinlichkeit ist einfach zu gering, werden wir uns nie wiedersehen. Und ich bin ein guter Zuhörer. Also, wenn du willst, erzähle mir von deinem schlimmen Tag. Mir scheint, deine Welt liegt in Trümmern.«
»Ja, so ist es«, seufzte Sandra.
Sie dachte nach und sah ihr Gegenüber kritisch an. Er machte einen soliden Eindruck.
»Kann ich dich etwas fragen?«
»Sicher!«
»Es ist etwas sehr Theoretisches und betrifft das Verhalten von Männern. Ich habe keinen Bruder, den ich fragen könnte, und meinen Vater will ich nicht fragen. Außerdem ist es vielleicht besser, jemand um seine Meinung zu fragen, der nichts von mir weiß.«
Er nickte.
Sandra nahm ihren ganzen Mut zusammen.
»Okay, ich will wissen, wieso es möglich sein kann, dass ein Mann eine Frau liebt, sie heiraten will und gleichzeitig eine Geliebte hat?«
»Wow, das ist eine schwere Frage. Ich kann sie nur theoretisch beantworten. Als ich jemanden geliebt habe, dachte ich nur an Anja. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, mich nach einer anderen Frau umzusehen oder gar heimlich eine zweite Beziehung zu haben. Ich denke, wenn ein Mann so etwas tut, stimmt es nicht mit der Liebe.«
Sandra kniff die Augen zusammen. Sie ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen.
»Du hast in der Vergangenheitsform gesprochen«, sagte sie leise.
»Richtig! Ich war bis vor einem Jahr mit jemand zusammen. Anja hieß sie. Wir steckten schon in den Hochzeitsvorbereitungen, als ich dahinterkam, dass sie mich betrog. Und wie ist es bei dir?«
Sandra zuckte nur mit den Schultern.
»Welchen Schluss hast du gezogen, aus der Enttäuschung mit Anja?«
»Nachdem ich mich wochenlang in Selbstmitleid ergangen und meinen Liebeskummer gepflegt hatte, wurde mir klar, dass es wohl auf ihrer Seite nicht die große Liebe war. Es war bitter, aber jetzt bin ich dankbar, dass ich sie ertappt habe. Es wäre schlimmer gewesen, wenn ich erst nach der Hochzeit dahintergekommen wäre. Und du? Bist du betrogen worden?«
Sandra nickte und kämpfte mit den Tränen. Schnell trank sie einen Schluck Kaffee und verschluckte sich dabei. Thorsten sprang auf und klopfte ihr auf den Rücken.
»Danke!«, hauchte sie.
Sie spielte einen Augenblick mit dem Würfelzucker, der neben der Kaffeetasse lag. Dann griff sie in die Hosentasche und zog die Brosche heraus. Sie legte sie auf den Tisch.
»Oh, eine Kreation von Simon Klein!«, sagte er. »Stimmt’s?«
»Ja! Sie gehört höchstwahrscheinlich Heike, der Assistentin von Karsten. Karsten ist der Mann, mit dem ich seit fünf Jahren zusammenlebte. Für den Herbst oder Anfang Winter stand unsere Hochzeit an. Ich habe die Brosche in seinem Anzug gefunden, seltsamerweise in der noch zugehefteten Uhrentasche seiner Weste. Er muss sich sehr viel Mühe gegeben haben, die Brosche dort hineinzustecken. Ich bin mir absolut sicher, sie gehört Heike. Sie trug sie auf Karstens Geburtstagsempfang, und ich habe mich mit ihr darüber unterhalten. Simon Klein macht nur Einzelstücke. Außerdem vermutet meine beste Freundin schon lange, dass zwischen Heike und Karsten etwas läuft. Ich bin verwirrt und weiß nicht, ob ich das glauben soll. Auf der anderen Seite würde ich alles darum geben, zu wissen, dass ich mich irre.«
»Das kann dir nur Simon Klein sagen. Ich kenne ihn gut. Ist das nicht ein weiterer Zufall? Darf ich das für dich in Erfahrung bringen? Ich halte dich da heraus. Heiliges Ehrenwort!«
Thorsten hob die Hand zum Schwur. Sandra nickte.
Thorsten holte sein Handy aus der Hosentasche, fotografierte die Brosche und schickte das Foto an den bekannten Schmuckdesigner. Dann rief er ihn an. »Hallo, Simon! Hast du das Bild schon bekommen? Sag mal, hast du das Schmuckstück entworfen?«
Thorsten stand auf. Er ging zur Straße und lief auf dem Bürgersteig auf und ab, während er telefonierte. Sandra ließ ihn nicht aus den Augen. Das Gespräch dauerte länger.
Endlich kam Thorsten mit ernster Miene zurück an den Tisch.
»Und was hat er gesagt?«, fragte Sandra.
»Die Brosche ist von ihm. Er hat sie sofort erkannt. Simon hat mir anvertraut, dass er sie für eine Heike Schneller angefertigt hatte. Sie war das Geschenk ihres Freundes, Karsten Abt. Er hatte die Brosche bar bezahlt. Das Paar war mehrmals bei ihm im Atelier. Die junge Frau sei sehr anspruchsvoll gewesen. Es gab mehrere Änderungen, bis sie endlich zufrieden war. Das hatte die Anfertigung sehr verteuert. Doch der Mann hatte, ohne Wenn und Aber, bezahlt.«
Sandra war blass geworden.
»Dann stimmt es, was ich vermutet hatte. Karsten heißt mit Nachnahme Abts und Heike heißt Schneller«, sagte sie fast tonlos.
Sie schloss für einen Augenblick die Augen und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Ich muss mir klar werden, wie es weitergehen soll, ganz praktisch. Wie hast du es damals angepackt, als du erfuhrst, dass Anja dich betrog.«
»Ich zog in eine kleine Pension. Freunde holten alle Sachen aus der gemeinsamen Wohnung und lagerten sie ein. Ich hätte zu meinen Eltern oder zu Freunden ziehen können. Aber das wollte ich nicht.«
»Das kann ich verstehen. Mir klingen schon jetzt die Sätze in den Ohren, die sie mir sagen werden.«
»Verreise! Mein Fehler damals war, das nicht gleich zu tun. Ich arbeitete an der Universität, und es waren die langen Sommersemesterferien. Ich igelte mich ein, statt meinem Bedürfnis nachzugeben. Ich bin nämlich ein begeisterter Bergliebhaber. Ich habe gute Freunde in Waldkogel. Toni und Anna Baumberger betreiben dort die Berghütte. Schließlich raffte ich mich auf und fuhr nach Waldkogel. Ich machte ausgedehnte einsame Wanderungen. Mit jedem Schritt ging es mir besser und ich kam der Heilung meines angeknacksten Selbstbewusstseins näher. Außerdem war ich sicher, dass ich dort niemanden sehen würde, der von der Trennung und dem Desaster wusste. Warst du schon einmal in den Bergen?«
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