Die neue Praxis Dr. Norden 5 – Arztserie. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Bitte, sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund sich beruhigt«, forderte Ophelia Herrn Brettschneider auf, als der weiße Zwergspitz laut kläffend um den Baum herumrannte und dabei seine Leine um den Stamm wickelte. »Herr Brettschneider, bitte«, bat Ophelia, als der Hund einfach weiterbellte, nachdem Herr Brettschneider ihn aufgefordert hatte, Ruhe zu geben.
»Mein liebes Kind, Lazarus ist ein Zwergspitz. Diese Rasse wurde als Wachhund ausgebildet, und deshalb bellt er, wenn etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Dagegen kann ich nichts tun«, entgegnete Herr Brettschneider achselzuckend.
»Nein, das ist sicher nicht die Rasse. Nur schlecht erzogene Hunde bellen einfach drauflos«, sagte Ophelia. Sie hatte Angst, dass der Hund Ortrud verunsicherte und dass ihr deshalb etwas passierte.
»Sie hat recht, der Hund sollte Ruhe geben. Und die Katze braucht keinen psychologischen Beistand, hier kann nur noch die Feuerwehr helfen«, mischte sich eine junge Frau ein, die einen kleinen Jungen auf ihrem Arm hielt, der gespannt nach oben in den Baum schaute.
»Stimmt, die Feuerwehr«, sagte Ophelia und zückte ihr Handy. Statt den Notruf zu wählen, rief sie in der Praxis Norden an, um mit Lydia zu sprechen, die seit Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr war. »Lydia, Ortrud sitzt in etwa fünfzehn Meter Höhe auf einem Baum und traut sich nicht mehr runter. Kann mir die Feuerwehr helfen?«, fragte sie sie, und Lydia versprach ihr, sich darum zu kümmern.
*
Korbinian war vor einiger Zeit schon wieder zu sich gekommen. Er hatte Kopfschmerzen und fühlte eine Beule an seinem Hinterkopf. Seine Arme und Beine taten ihm weh, und es gelang ihm nicht, sich aufzurichten. Er hatte auch schon einige Male nach Hilfe gerufen, aber niemand hatte ihn gehört. Die meisten Nachbarn waren noch berufstätig und nicht zu Hause. Wie es aussah, musste er warten, bis Carolina oder Valentina zurückkamen.
Sein rechtes Knie und sein linker Arm taten höllisch weh, und er befürchtete, dass er sich ernsthaft verletzt hatte. Da er es aber nicht schaffte, aus der Kuhle herauszuklettern, musste er wohl an Ort und Stelle ausharren.
Was ist denn da los?, dachte er, als er die Feuerwehrleiter sah, die auf der Straße direkt vor dem Haus ausgefahren wurde und auf das Geäst der alten Eiche ausgerichtet wurde, deren Laubdach auch einen Teil seines Gartens beschattete. Für einen Moment vergaß er sogar seine Schmerzen, als er sah, wie Lydia Seeger, die er aus der Praxis Norden kannte, die Leiter hinaufkletterte. Sie trug einen Feuerwehrhelm und dicke Handschuhe. Gleich darauf verschwand sie zwischen den belaubten Ästen.
»Hallo?! Hört mich jemand?!«, rief er, weil er davon ausging, dass dieser Feuerwehreinsatz Zuschauer angelockt hatte. Aber da war dieses laute Hundegekläffe, das immer wieder von Neuem anschwoll. Er war so gut wie sicher, dass es der verzogene Zwergspitz der Brettschneiders war, der sich ständig so aufführte. Er musste den Baum im Blick behalten und darauf hoffen, dass Lydia in den Garten schaute.
Dann sah er, warum Lydia auf dem Baum war. Ortrud, die rotgetigerte Katze der Mais, die für gewöhnlich morgens bei Doktor Norden vorbeischaute, wie er von Valentina wusste, kletterte auf einem der oberen Äste herum. Lydia versuchte sie einzufangen. Da Ortrud auch Lydia kannte, wurde sie schließlich zutraulich, und Lydia konnte sie packen. Als sie mit der Katze wieder auf der Leiter nach unten steigen wollte, rief er nach ihr, aber sie hörte ihn nicht. In seiner Verzweiflung rief er nach Ortrud. Die Katze reagierte sofort und drehte ihre Ohren in seine Richtung. Das erregte glücklicherweise Lydias Aufmerksamkeit.
»Ich bin gleich bei Ihnen, Herr Merzinger!«, rief sie.
»Was ist mit Herrn Merzinger?«, fragte Ophelia, als Lydia gleich darauf die Leiter verließ und ihr die Katze in die Hand drückte.
»Er liegt im Garten, ich glaube, er ist verletzt«, sagte Lydia. »Jungs, alles klar!«, rief sie den beiden Kollegen von der Feuerwehr zu, die auf ihre Bitte hin den Wagen mit der Drehleiter hergebracht hatten. »Du bringst Ortrud nach Hause«, wandte sie sich danach an Ophelia. »Und Sie bleiben alle draußen«, wies sie die Neugierigen an, die ihre Bergungsaktion beobachtet hatten und ihr in den Garten der Merzingers folgen wollten.
»Du hast ganz offensichtlich alles im Griff«, raunte Ophelia ihr zu.
»Das hoffe ich doch«, sagte Lydia und streichelte Ophelia liebevoll über den Arm.
Während sie in den Garten rannte, um Korbinian zu helfen, telefonierte sie mit Danny und bat ihn zu kommen.
»Sie haben doch gehört, was sie gesagt hat!«, rief Ophelia, als die Neugierigen vor dem Gartentor stehen blieben, nachdem Lydia es hinter sich hatte zufallen lassen.
»Wer bist du denn, dass du so mit uns sprichst?«, fuhr Herr Brettschneider sie an.
»Ich bin die Tochter der Psychologin, das wissen Sie doch«, antwortete Ophelia lächelnd und ließ den Mann stehen, der sich gern mit seinen Nachbarn anlegte und den deshalb niemand wirklich leiden konnte.
»Wir gehen dann alle«, sagte Frau Leinberger, »grüße deine Mutter von mir«, bat sie Ophelia.
»Werde ich gern ausrichten«, sagte sie. Das Mädchen drückte die Katze behutsam an sich und lief durch den schmalen Weg, der an den Gärten vorbeiführte, zurück nach Hause.
»Sind Sie Patientin der Psychologin oder warum lassen Sie sie grüßen?«, wollte Herr Brettschneider von Frau Leinberger wissen.
»Im Gegensatz zu Ihnen habe ich eben ein gutes Verhältnis zur Nachbarschaft, da grüßt man sich auch hin und wieder«, entgegnete Frau Leinberger. »Sie sollten ohnehin ganz still sein. Frau Doktor Mais Tochter hat vollkommen recht, wenn sie sagt, dass nur ein schlecht erzogener Hund ständig kläfft. Gestern Abend habe ich Ihren Lazarus auch wie wild kläffen gehört, als sie mit ihm an unserem Haus vorbeigingen. Könnte es sein, dass er die arme Katze auf den Baum getrieben hat und sie nichts dagegen unternommen haben?«
»Eine Katze kann klettern«, murmelte Herr Brettschneider, nahm Lazarus, den Zwergspitz mit dem wuscheligen weißen Fell, fester an die Leine und marschierte davon.
»Da haben Sie wohl ins Schwarze getroffen, Frau Leinberger«, sagte eine ältere Frau, die eine Stofftasche in der Hand hielt, aus der es nach frischem Brot und Brötchen duftete.
»So sehe ich das auch, Frau Meisel. Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee bei mir? Oder haben Sie es eilig?«
»Für einen Kaffee ist doch immer Zeit«, antwortete Frau Meisel und folgte Frau Leinberger ins Haus.
*
»Was ist denn passiert?«, wollte Lydia wissen, die in den Teich geklettert war und neben Korbinian kniete.
»Mir wurde schwindlig«, sagte er und erzählte ihr, wie er in diese Lage geraten war.
»Vielleicht ist Ihr Blutdruck abgesackt.«
»Möglich, aber das tut höllisch weh«, stöhnte Korbinian.
»Was genau?«, fragte Lydia. Sie hatte zuerst die Wunde an seinem Kopf untersucht und sich danach den verletzten Arm und das Knie angesehen.
»Der Arm und das Knie, die Wunde am Kopf brennt nur ein bisschen«, sagte er.
»Es wird Ihnen bald wieder besser gehen, Sie haben noch einmal Glück gehabt«, beruhigte Lydia ihn. Sie hatte bei der Feuerwehr eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin absolviert und konnte gut einschätzen, wie schwer eine Verletzung war. »Doktor Norden wird gleich hier sein, und ich rufe auch schon mal den Krankenwagen.«
»Ich muss ins Krankenhaus?«, flüsterte Korbinian erschrocken.
»Ihr Arm ist gebrochen, und Sie haben eine Knieverletzung, die muss genauer untersucht werden.«
»Werde ich bis zur Feier wieder gesund?«
»Auf jeden Fall«, versicherte ihm Lydia. Mit ein bisschen Glück würde Korbinian nicht lange im Krankenhaus bleiben müssen.
»Korbinian, mein Schatz, was ist denn mit dir?!«, rief Valentina, die mit Danny in den Garten kam.
»Alles nicht so schlimm«, beruhigte Korbinian seine Frau.