Butler Parker 128 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
»Mylady bevorzugen einen bestimmten Supermarkt?« erkundigte sich Butler Parker in seiner höfliche Art. Er saß stocksteif vor dem Lenkrad seines hochbeinigen Wagens, den er durch die City von London steuerte. »Natürlich«, gab Agatha Simpson zurück. »Warten Sie, wo ist denn nur die Anzeige? Ich weiß genau, daß ich sie eingesteckt habe.«
Parkers Herrin, die vor einiger Zeit beschlossen hatte, sechzig Jahre alt zu bleiben, kramte in ihrem perlenbestickten Pompadour, um dann einen nicht gerade leisen Freudenschrei in tiefer Baß-Lage auszustoßen.
»Mylady wurden fündig?« fragte Parker.
»Zur Mortimer Street«, befahl die Detektivin. »Hören Sie sich das mal an, Mister Parker: Ölsardinen zum Vorzugspreis. Orangensaft billig wie nie! Und dann diese Eierpreise. Es ist einfach nicht zu glauben, daß die Leute zu solchen Spottpreisen verkaufen können.«
»Wie Mylady meinen.« Parker nahm die Ausrufe des Entzückens zur Kenntnis, ohne eine Miene zu verziehen. Mylady hatte sich seit einigen Tagen ein neues Hobby zugelegt...
Sie kaufte ein und achtete auf die allgemeine Preisgestaltung. Sie war, wie sie sich ausgedrückt hatte, zu einer kostenbewußten und kritischen Verbraucherin geworden. Diese neue Haltung hing mit der Zeitschrift einer Kundenorganisation zusammen. Lady Agatha hatte sich die beschwörenden Worte sehr zu Herzen genommen.
Natürlich hatte sie es nicht nötig, auf den Penny zu achten. Agatha Simpson war eine steinreiche Frau, die sich jede Extravaganz leisten konnte. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie das hinterlassene Vermögen noch aufgestockt und vermehrt. Dennoch wollte sie jetzt vor sich bestehen und beweisen, daß sie ihr Geld nicht bedenkenlos ausgab.
Parker hatte einige dieser Einkaufsfahrten bereits hinter sich. Da er sich grundsätzlich über nichts wunderte, akzeptierte er die Marotte seiner Herrin. Sie bot die Gewähr dafür, daß Mylady abgelenkt wurde und sich ausnahmsweise mal nicht mit Kriminalfällen beschäftigte. Für eine kleine Erholungspause in dieser Hinsicht war Josuah Parker dankbar. Vor zwei Wochen erst war es turbulent genug zugegangen.
»Der Supermarkt, Mylady.« Parker hatte den großen Parkplatz vor dem neu eröffneten Einkaufsparadies erreicht und hielt. Gemessen stieg er aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür. Er nahm in einer fast feierlichen Geste seine schwarze Melone ab und deutete eine knappe Verbeugung an.
»Wünschen Mylady meine bescheidene Begleitung?« fragte er.
»Natürlich, Mister Parker«, lautete ihre Antwort. »Ich werde Ihnen eine weitere Lektion in Sachen Preisvergleich erteilen.«
Parker legte den altväterlich gebundenen Regenschirm über den angewinkelten linken Unterarm und folgte der älteren Dame, die resolut auf den Eingang zumarschierte. Er übersah die vielen amüsierten und erstaunten Blicke der Käufer, die Mylady und ihm galten. Die beide schienen aus einem anderen Jahrhundert zu stammen, um sich im modernen London mal umzusehen.
Der neu eröffnete Supermarkt gehörte zu einer Kette gleicher Geschäfte und war eine einzige Verlockung in Neonlicht, Chrom, Glas und leiser, einschmeichelnder Verkaufsmusik.
Obwohl der erste Eröffnungsansturm bereits am Vormittag vorüber war, drängten sich die Menschen und hofften auf günstige Gelegenheiten. Der Betrieb war sogar noch fast beängstigend. Parker wollte Mylady überholen und sich vor sie schieben. Er dachte, für sie so eine Art Eisbrecher zu sein.
Doch das war überhaupt nicht möglich und notwendig. Eine Lady Simpson ließ sich nicht aufhalten oder gar abdrängen. Sie war eine stattliche Dame, die an eine Wagner-Heroine erinnerte. Wie ein in Tweed gekleideter Panzer bahnte sie sich ihren Weg und nahm jedes Hindernis. Sie merkte nicht, daß ihr Hut, der einem zivilen Südwester glich, sich verschoben hatte, was ihrem Gesicht einen kampfbereiten Ausdruck verlieh. Agatha Simpson fühlte sich nicht eingeengt oder belästigt, sie war in ihrem Element.
Zielbewußt steuerte sie die Konservenabteilung an, um sich hier mit billigen Ölsardinen einzudecken, aus denen sie sich übrigens überhaupt nichts machte, wie Parker nur zu genau wußte. Er folgte ihr höflich und geduldig und beugte sich leicht vor, als Agatha Simpsons Weg von einem Aluminiumcontainer blockiert wurde, aus dem ein Angestellter des Supermarkts Haferflockenpackungen holte.
»Platz da, junger Mann«, grollte Agatha Simpson, die nicht schnell genug an die Konserven herankam.
Der junge Mann im weißen Kittel reagierte erstaunlich. Er sah von seinen Haferflocken hoch. Es war ein Blick, der dem eines Wolfes glich. Aus der Tiefe des Supermarktes kam von irgendwoher ein Geräusch, als würde eine Sektflasche geöffnet. Der junge Mann griff noch mal in den fahrbaren Container und... zog eine tückisch aussehende Maschinenpistole hervor.
*
»Wie soll man Ihre Geste interpretieren?« erkundigte sich Josuah Parker höflich bei dem Weißkittel. »Gehe ich recht in der Annahme, daß es sich um eine Spielzeugwaffe handelt?«
»Schnauze«, sagte der junge Mann, der sicher kein Verkäufer des Supermarktes war. »Stehenbleiben, klar?«
»Was ist denn das für ein Ton?« entrüstete sich Agatha Simpson.
»Schnauze!« Der junge Mann wandte sich halb um und beobachtete den hinteren Teil des Supermarktes. Sein Interesse galt zwei weiteren jungen Verkäufern, die jeder eine große Ledertasche trugen und es ausgesprochen eilig hatten.
Diese nach Parkers Ansicht sehr schlecht geschulten Angestellten zeichneten sich durch besondere Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit aus: Sie drängten und boxten sich förmlich durch die Menge der verdutzten und ratlosen Kunden und strebten dem Ausgang zu.
Für den Weißkittel am Container war dies das Zeichen, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Er stemmte sich hoch und wollte über den Container hinwegflanken. Mylady und ihren Butler hielt er für keine Gefahr...
Doch der Mann irrte!
Josuah Parker langte mit seinem altväterlich gebundenen Regenschirm zu und traf den jungen Mann, als er gerade den Gipfelpunkt seines Sprungs erreicht hatte. Parkers Schlag erwies sich als Volltreffer. Die Bleieinlage im Bambusgriff des Schirms sorgte für einen jähen Absturz. Der Weißkittel grunzte ein wenig und ... landete klatschend im Container. Agatha Simpson wich zurück, als aus geplatzten Packungen die Haferflocken stäubten und eine mehligweiße Wolke aufstieg.
Josuah Parker benutzte seinen Regenschirm, um die aus dem Container heraushängenden Beine des Weißkittels anzuheben und dem Körper nachzuschicken. Damit war der Mann völlig in dem Behälter verschwunden.
»Ein Überfall, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson, sich an ihren Butler wendend.
»Davon, Mylady, sollte man in der Tat ausgehen«, entgegnete Parker würdevoll. »Nach Lage der Dinge dürfte man es auf den Kassenbestand des Hauses abgesehen haben.«
»Zeiten sind das!« Agatha Simpson schüttelte verweisend den Kopf. »Noch nicht mal in Ruhe einkaufen kann man. Nun hören Sie sich nur mal dieses Getöse an!«
Parker kam dem Wunsch seiner Herrin nach. Vom Eingang des Supermarktes waren Schüsse zu hören, die ungedämpft und peitschend den Eindruck mittlerer Gefechtstätigkeit hervorriefen. Kunden schrien, Kinder weinten, splitterndes Glas brach berstend entzwei.
Parker beugte sich über den Container und suchte nach dem angeblichen Verkäufer.
Der junge Mann war nur noch andeutungsweise zu erkennen. Die Haferflocken hatten ihn förmlich begraben. Parker schob mit seinen schwarz behandschuhten Händen die Nahrungsmittel ein wenig zur Seite und arbeitete sich an die Kleidung des Ohnmächtigen heran. Natürlich suchte er nach Hinweisen, um die Identität des Mannes festzustellen.
Agatha Simpson beschäftigte sich ebenfalls.
Um die Regalecke herum brauste ein Mann, der ebenfalls einen weißen Kittel trug. Zusätzlich trug er auch eine offensichtlich schwere Ledertasche. Er prallte fast mit der alten Dame zusammen und wußte nicht, was er von ihr halten sollte.
Agatha Simpson reagierte gezielt. Sie deutete mit der rechten Hand auf ein Regal, als sei dort etwas Einmaliges und Wichtiges zu sehen. Der junge Mann riß den Kopf herum und schaute prompt nach oben. Er reagierte ganz automatisch.