Butler Parker 119 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
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»Das ist doch niemals eine Straße, Mr. Parker«, stellte Lady Simpson mißbilligend fest. »Das ist ein Kanal!«
»Diesem Eindruck kann man sich in der Tat kaum verschließen, Mylady«, gab Josuah Parker gemessen zurück. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte das Gefährt vorsichtig durch Schlaglöcher und Pfützen.
»Sie haben sich verfahren, Mr. Parker.« Lady Simpson schob ihren Kopf prüfend an die Wagenscheibe und versuchte etwas zu erkennen. Doch das war einfach unmöglich. Riesige Wassermassen ergossen sich vom nächtlichen Himmel. Die Scheibenwischer auf der Frontscheibe hatten Mühe, Parker etwas Sicht zu verschaffen. Ein schlimmeres Unwetter hätte man sich kaum vorstellen können.
Myladys Anspielung auf einen Kanal, in dem man sich laut ihrer Behauptung befand, war nicht von der Hand zu weisen. Zu beiden Seiten der schmalen Straße stiegen Böschungen steil an. Gelbbraunes Schmutzwasser ergoß sich in Strömen über den Weg. Falls ein Ruderboot erschienen wäre, hätte Butler Parker sich kaum gewundert.
»Sie haben sich verfahren«, wiederholte die Lady eigensinnig.
»Mitnichten, Mylady, wenn ich widersprechen darf.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das Zusammenleben mit Lady Agatha Simpson hatte seinen an sich schon starken Nerven den letzten Schliff gegeben. »Diese unangenehme Passage dürfte bald überwunden sein.«
»Wir werden noch ertrinken«, unkte Lady Simpson weiter und wandte sich dann ihrer Begleiterin zu. »Warum sagen Sie nichts, Kindchen? Ist es Ihnen vollkommen gleichgültig, wie wir enden werden?«
Kathy Porter lächelte nur.
Sie war schon seit Jahren Myladys Sekretärin und Gesellschafterin. Die langbeinige, junge Frau, äußerst attraktiv anzusehen, wußte nur zu gut, wie temperamentvoll die ältere Dame war. Lady Simpson war ungemein aktiv und eigentlich nie zu bremsen. Kathy Porter wußte, daß Mylady diese Ausfahrt im Grunde genoß. Eine glatte Fahrt bei strahlender Sonne hätte sie bestimmt nur gelangweilt.
»Da ist ja ein Schild«, stellte Kathy Porter fest. Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als Josuah Parker seinen hochbeinigen Wagen anhielt. Er konnte trotz der voll eingeschalteten Scheinwerfer die Aufschrift auf dem Wegweiser nicht erkennen. Die drei Richtungsschilder waren verwittert und verwaschen. Parker griff nach seiner Taschenlampe, schaltete sie ein und beleuchtete damit das Wegekreuz.
»Nach rechts«, ließ Lady Agatha sich energisch vernehmen. »Wolverton House liegt rechts, Mister Parker.«
»Nach meinen bescheidenen Informationen, Mylady, die ich vor Antritt der Fahrt aus einer Straßenkarte schöpfte, muß es nach links gehen.«
»Papperlapapp, Mister Parker. Können Sie denn nicht lesen? Es geht nach rechts weiter.«
»Mylady dürfen versichert sein, daß ich nur ungern zu widersprechen wage, aber...«
»Bringen Sie meinen Kreislauf nicht in Unordnung«, grollte Lady Simpson. »Es geht nach rechts weiter.«
»Wie Mylady befehlen.« Parker schaltete seine Taschenlampe aus, befestigte sie wieder in der Halterung am Armaturenbrett und ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen. Er fuhr also nach rechts weiter, obwohl er nach wie vor anderer Meinung war.
In Anbetracht der späten Stunde wollte er sich auf keine weitere Diskussion einlassen. Er schloß zudem auch nicht aus, daß er sich vielleicht doch getäuscht haben könnte. Behutsam ließ er den Wagen über die schmale Straße rollen, die jetzt ein wenig anstieg. Sie wurde erfreulicherweise auch erheblich besser. Die Anzahl der tiefen Schlaglöcher und Wasserlachen verminderte sich zusehends.
»Warum kriechen Sie wie eine Schnecke?« beschwerte sich Lady Simpson wieder. »Soll ich Sie ablösen, Mister Parker? Sie scheinen sich ein wenig übernommen zu haben.«
»Auf keinen Fall, Mylady!« Parkers Stimme bekam einen panischen Unterton. Er kannte die Fahrkünste Lady Simpsons nur zu gut. Saß sie am Steuer eines Gefährts, gleich welcher Bauart, verwandelte sie sich augenblicklich in eine Todesfahrerin. Myladys Verhältnis zur Technik war mehr als unbefangen. Sie konnte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, daß selbst die perfekteste Technik nicht fehlerlos war. Hinzu kam dann leider noch eine erhebliche Selbstüberschätzung. Im Gegensatz zu ihrer Umwelt hielt Lady Agatha sich selbst für eine gute Fahrerin.
Um Lady Simpson vom Steuer fernzuhalten, steigerte der Butler die Geschwindigkeit, obwohl gerade in diesen Sekunden der Regen noch dichter wurde. Er verschluckte das Licht der voll eingeschalteten Scheinwerfer und gaukelte Parker eine wahre Wand aus Wasser vor.
Er näherte sich mit dem hochbeinigen Monstrum einer Biegung, die um einen Hügel herumführte. Parker bremste ab, schaltete herunter und ließ den Wagen um die Biegung rutschen. Vor ihm lag jetzt eine Gerade. Um sie auszuleuchten, schaltete der Butler den Spezialsuchscheinwerfer ein. Der grelle Lichtfinger fraß sich durch die vom Himmel stürzenden Wassermassen und erfaßte plötzlich die Rückseite eines Lastwagens, auf dessen Ladefläche ein Öltank befestigt war.
Der Lastwagen am Ende der Geraden bot ein Hindernis, das völlig unpassierbar war. Die Breite des Lasters füllte die schmale Straße vollständig aus.
»Eine Unverschämtheit«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Der Wagen hat noch nicht einmal die Rücklichter eingeschaltet.«
»Und kommt direkt auf uns zu.« Kathy Porters Stimme verriet Überraschung und Bestürzung.
Parker hatte seinen Wagen bereits angehalten und musterte mißtrauisch den Lastwagen, der sich tatsächlich in Bewegung gesetzt hatte. Immer schneller werdend, rollte er auf sie zu. Es wurde höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
Parker reagierte mit der Präzision eines programmierten Roboters. Und das war gut so, denn es ging um Sekunden, wenn er und seine Mitreisenden von dem Laster nicht zermalmt oder von der Straße gefegt werden wollten. Der Butler legte den Rückwärtsgang ein, gab Vollgas und zuckte mit keiner Wimper, als genau in diesem Augenblick vom Laster aus eine gleißend helle Feuerzunge blitzschnell auf das Monstrum zujagte.
*
Josuah Parker war ein Meisterfahrer.
Er hatte sich halb umgewendet und steuerte sein hochbeiniges Monstrum in einem wahnwitzigen Tempo zurück zur Biegung. Falls er es schaffte, sie zu erreichen, war die erste Gefahr gebannt.
Die Feuerzunge erwies sich als ungeheuer schnell. Sie holte auf und ließ selbst Lady Simpson vor Erregung keuchen. Kathy Porter hatte sich vorgebeugt und fixierte die Feuerschlange. Dann drehte sie ihren Kopf zurück und versuchte herauszubekommen, wie weit es noch bis zur Biegung war.
Kathy war entsetzt.
Von der Straße war kaum etwas zu sehen und von der Biegung gar nichts mehr. Es war Kathy ein Rätsel, wieso Parker sich mit dem Wagen überhaupt noch auf dem richtigen Weg befand und woher er wußte, welchen Kurs er zu steuern hatte.
»Wir werden es nicht schaffen«, erklärte Lady Simpson mit sichtlich belegter Stimme.
»Mylady erlauben, daß ich mir die Kühnheit nehme zu widersprechen«, antwortete Parker höflich und mit einer Stimme, die eiserne Selbstbeherrschung verriet. Im gleichen Moment riß er das Steuer herum, fing den wegrutschenden Wagen ab und brachte ihn wieder auf festen Untergrund.
Natürlich war Parker vollkommen klar, daß ihre Chancen nicht besonders groß waren. Er konnte tatsächlich nicht mehr viel sehen. Die beiden Rückscheinwerfer lieferten nicht ausreichend Licht. Und die breite Feuerschlange, die so ungewöhnlich grell war, raste immer näher auf sie zu. Da Parker beschäftigt war, konnte er sich nicht weiter um den Lastwagen kümmern.
Parker trat mit aller Kraft auf das Bremspedal, doch diesmal verzichtete Lady Agatha auf jeden Kommentar. Sie beobachtete nur die Feuerwalze, zu der die gleißend-helle Schlange jetzt geworden war. Sie befand sich ihrer Schätzung nach nur noch knapp zehn Meter vor dem Kühler des Monstrums. Nein, sie würden es nicht mehr schaffen. Insgeheim bedauerte Lady Simpson, so hartnäckig auf diesem Weg bestanden zu haben. Er hatte direkt in die Katastrophe geführt, wie sich jetzt zu beweisen schien.
Parker ließ durch Gegenlenken den Wagen herumdriften, gab wieder Vollgas und hielt dann an.