Das nächste Mal bleib ich daheim. Claudia EndrichЧитать онлайн книгу.
CLAUDIA ENDRICH
DAS NÄCHSTE MAL
BLEIB ICH DAHEIM
UMWELTBEWUSSTSEIN IM GEPÄCK
Für uns alle, die meistens das Beste wollen,
deshalb aber oft etwas ganz Dummes tun.
»Wenn man für ein paar Tage die Möbel umstellt, kann
man ganz billig Urlaub machen.« - Das Känguru
(Marc-Uwe Kling: »Das Känguru-Manifest«, Kapitel 5)
INHALT
Ende, Anfang und Mittelpunkt einer Reise
Das VW-Bus-Klischee und warum es völlig verlogen ist
Touristen auf der Flucht vor Touristen
ENDE, ANFANG UND MITTELPUNKT EINER REISE
Ich hasse Flughäfen. Ganz ehrlich, wer verbringt gerne seine Zeit an diesen Orten der menschlichen Entwürdigung, wo dem durchschnittlichen Bobo der westlichen Welt – also Menschen wie mir – alles vorenthalten wird, was ihm lieb und teuer ist? Effizienz, Komfort, Freiheit, unverpackte Bio-Fairtrade-Lebensmittel und natürlich: unlimitiertes WIFI. Um es mit Marc-Uwe Kling zu sagen: »Flughäfen sind die Versuchslaboratorien unserer Gesellschaft. Dort wird ausgetestet, was sich die Menschen alles bieten lassen.«1 Überteuertes, in Plastik gehülltes Industrieessen, unbequeme oder gar keine Sitzmöglichkeiten, ewige Wartezeiten und Kontrollen, Kontrollen, Kontrollen. Flughäfen sind die höchste Form der Nicht-Orte, wie Marc Augé diese Durchgangsräume des Lebens bezeichnet.
Der Aeropuerto de Madrid bildet in alldem keine Ausnahme, stelle ich fest. Nachdem ich mich mit meinen zwei riesigen Rucksäcken mit der U-Bahn hergequält habe, stehe ich nun am Check-in-Schalter der Billigairline, die als einzige einen Direktflug von Europa nach Lima angeboten hat, Schlange. Die Dame am Schalter verlangt von mir eine Ausreisebestätigung, da ich nur den Hinflug gebucht habe. »No tengo … pero no necesito eso, no?«, versuche ich in meinem etwas unsicheren Spanisch zu erklären. Gesetzlich nein, bei dieser Fluglinie ja, erklärt sie mir. Na super. Sie schickt mich zu einem jungen Franzosen mit Rucksack, der neben dem Check-in-Schalter bereits nervös in sein Handy tippt. Er hat das gleiche Problem und wir buchen online beide kurzerhand eine Busreise von Peru nach Bolivien in drei Monaten. Fünf Minuten später halte ich der Dame die Reservierungsbestätigung vor die Nase und sie ist zufrieden. Weitere fünf Minuten darauf storniere ich die Buchung wieder. Was für eine sinnfreie Aktion. Ich habe jetzt schon keine Lust mehr auf diese Reise. Am Securitycheck soll ich meine Schuhe ausziehen. Solche unangenehmen Momente gehen inzwischen spurlos an mir vorüber, da sage noch einer, wir stumpfen bei allem nicht früher oder später ab.
Es folgt die Passkontrolle. In diesen Momenten muss ich immer an Stefan Zweig denken, der sich eine Welt ohne Grenzen und ohne Pässe gewünscht hat. Ich wäre sofort dabei. Am liebsten würde ich die pflichtbewusste Grenzpolizistin in ihrem Glaskasten in ein Gespräch verwickeln: »Wussten Sie, dass es Reisepässe eigentlich erst seit gut hundert Jahren gibt? Davor konnten sich die Menschen in Europa völlig frei bewegen, ganz ohne ihre Identität beweisen zu müssen. In Wirklichkeit ja auch absurd, dass jemand seine Identität beweisen muss. Ich stehe ja hier, das beweist doch schon, dass ich existiere und jemand bin, oder? Wie denken Sie darüber?« Ich vermute, ihr Gesichtsausdruck wäre als Antwort ungefähr genauso gleichgültig wie jener, mit dem sie mir nun eine gute Reise wünscht. Endlich erreiche ich mein Gate. Mit der von meinem Vater anerzogenen Überpünktlichkeit an Flughäfen komme ich hier normalerweise schon eine Stunde vor dem Abflug an, diesmal sind es nur noch fünfzehn Minuten bis zum Boarding. Aber wann hat ein Boarding schon jemals pünktlich begonnen? Ich habe also noch etwas Zeit, um mir einen Kaffee zu holen. Welche Optionen gibt es in Sichtweite? Natürlich nur Starbucks. Ich zögere. Diesem verantwortungslosen Konzern mein Geld geben, auch nur für einen einzigen Kaffee? Es schmerzt mich innerlich und ich beneide die Menschen rund um mich, die anscheinend völlig ohne schlechtes Gewissen ihre