Antisemitismus. Achim BühlЧитать онлайн книгу.
bekleideten, in vielfältige Weise in das soziale wie wirtschaftliche Leben eingebunden waren und es nicht selten zu „gemischt-ethnischen Ehen“ kam. Die elephantinischen Juden befanden sich so in einer politischen Konstellation aus der sie nur als Verlierer hervorgehen konnten. Mangelnde Treue zu den persischen Oberherren hätte unweigerlich diese auf den Plan gebracht, während umgekehrt ägyptische Priester vor Ort gegen sie patriotisch hetzten. Der Konflikt eskalierte zur offenen Gewalt, als es den ägyptischen Priestern gelang, den persischen Gouverneur zu ihren Gunsten in die Auseinandersetzung einzubinden. Der aufgebrachte Pöbel zerstörte den über 300 Jahre alten Tempel von Grund auf.
Der Pogrom von Elephantine ist ein Beispiel dafür, dass ein relevanter Sachverhalt bezüglich des Antisemitismus bereits seit der Antike in der Diasporasituation der Juden zu finden ist. Dies darf jedoch nicht als kausaler Automatismus verstanden werden, insofern es stets soziale Kräfte und benennbare Personen waren, die Menschen wie die elephantiner Juden, die sich bereits seit Jahrhunderten im Land befanden, zu hasswürdigen Fremden konstruierten. In politischen wie sozioökonomischen Krisenepochen ließ sich der Sachverhalt der Diaspora für die wahren kausalen Motive wie Interessenlagen judenfeindlicher Akteure indes erfolgreich instrumentalisieren. Die Diasporasituation des Judentums stellte in der Antike wie in den nachfolgenden Zeiten einen nutzbringenden Vorwand und nicht den Grund antisemitischer Ressentiments dar. Insbesondere bei politischen Konflikten wurden die Juden wie in Elephantine vor die Wahl gestellt, ihre Option zugunsten der einen oder der anderen Kraft zu treffen. Entschieden sie sich für eine der beiden Seiten, so war ihnen der Hass der jeweils anderen gewiss, deren Angehörige nunmehr gestützt auf ihre „vaterlandsverräterische Wahl“ bereits schwelende sozioökonomische wie religiös-motivierte Konflikte zwecks eigener Vorteilsaneignung entfachten.
Bezüglich des religiösen Konflikts in Elephantine geht der Altertumswissenschaftler Zvi Yavetz davon aus, dass die Juden spätestens nach Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem im Jahr 586 v. Chr. im elephantinischen Tempel einen Widder opferten, vermutlich sogar bereits seit Errichtung des Tempels. Der Pogrom im Jahr 411 v. Chr. lässt sich folglich nicht monokausal mit der rituellen Schlachtung des Tieres begründen, insofern es in der langen Phase dieser Praxis zuvor nicht zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Zwar hielten die ägyptischen Priester des benachbarten Chnum-Tempels die Schlachtung des Tieres bereits seit Längerem für einen Frevel, bezüglich der religiösen Faktoren darf jedoch nicht übersehen werden, dass in der Antike das Judentum eine erfolgreich missionierende Religion darstellte, sodass verschiedene Faktoren zu einer an Schärfe gewinnenden Konkurrenzsituation beitrugen, in der ein Teil der Priesterschaft des unmittelbar benachbarten Kultes den Pöbel gegen die Juden hetzte. Die Situation der elephantiner Juden verschlechterte sich indes erst, als Ägypten seit dem Jahr 525 v. Chr. zum Perserreich gehörte, sodass die Juden zwangsläufig in die Auseinandersetzung Ägyptens mit den persischen Eroberern gerieten. Die Juden wurden nunmehr als Günstlinge sowie Verbündete der Perser betrachtet, zumal sie diesen die Treue hielten, als es zu zahlreichen Aufständen in Ägypten gegen die persische Herrschaft kam. Religiöse Motive, politische Motive sowie die unmittelbare Konkurrenzsituation zweier benachbarter Kulte mischten sich in Verbindung mit der Diasporasituation zu einem gefährlichen Gemisch, welches Priester des Chnum-Tempels im Kontext der antipersischen Stimmungslage nutzten, um den Pöbel zur Zerstörung des jüdischen Tempels aufzuhetzen. Möglich wurde dies jedoch, so Yavetz, nur durch die korrupten persischen Behörden vor Ort, die den Tempel der Juden als „Blitzableiter“ opferten, um die eigentlich gegen sie gerichtete Situation zu „befrieden“. Im Jahr 411 v. Chr. schrieben die Täter Geschichte, insofern mit der Zerstörung des Tempels in Elephantine der Antisemitismus seinen Anfang nahm.
1.4Von Alexander d. Gr. zu Antiochos IV.
Die Perserzeit wurde durch die militärischen Erfolge Alexanders d. Gr. (356–323 v. Chr.) vom Zeitalter des Hellenismus abgelöst, in dem sich der Machteinfluss des makedonischen Herrschers sowie der Kultureinfluss des Griechentums über den gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus erstreckten. Nach der Schlacht bei Issos (333 v. Chr.), der Belagerung und Eroberung von Tyros (332 v. Chr.) sowie der Eroberung von Gaza im selben Jahr wandte sich Alexander d. Gr. im Rahmen seines Feldzugs Ägypten zu, das sich unter persischer Herrschaft befand. Im Jahr 331 v. Chr. gründete der Makedonier an der Mittelmeerküste Alexandria, die heutzutage zweitgrößte Stadt Ägyptens nach Kairo. Im Jahr 331 v. Chr. wurde die persische Armee in der Schlacht von Gaugamela im nördlichen Irak vernichtend geschlagen. Noch im selben Jahr wurde Babylon übergeben; ein Jahr darauf eroberten die makedonischen Truppen die persische Hauptstadt Persepolis. Das auf diese Weise entstehende Großreich Makedonien förderte die Ansiedelung von Juden in den Mittelmeerstädten, die sowohl über Religions- wie Handelsprivilegien verfügten. Die Juden durften ihren religiösen Kult pflegen, die Sabbatruhe einhalten und wurden nicht zu Praxen gezwungen, die mit ihrer Religion inkompatibel waren. Insofern die neuen Herrscher die Juden zur Ansiedelung aufforderten, um dadurch Handel und Wirtschaft zu beleben, wurden sie von der „autochthonen Bevölkerung“ zumeist als Günstlinge der fremden Herrscher betrachtet, wobei vor allem ihre Handelsprivilegien für sozialen Neid wie Konfliktstoff sorgten. Mit der Eroberung Palästinas im Jahr 332 v. Chr. gelangten auch die palästinensischen Juden in den unmittelbaren Einflussbereich des makedonischen Herrschers. Das Interesse am Judentum, über das zuvor wenig fundierte Kenntnisse vorhanden waren, stieg nicht zuletzt aus Herrschaftsbelangen an; ebenso gewann der Hellenismus als geistige Strömung Einfluss auf das Judentum.
Der plötzliche Tod Alexanders d. Gr. im Jahr 323 v. Chr. führte im Kontext der Diadochenkriege zum Zerfall des einstmals so mächtigen Imperiums. Ab dem Jahr 272 v. Chr. konkurrierten drei Nachfolgereiche miteinander, und zwar das Reich der Ptolemäer, die Ägypten beherrschten, das Reich der Seleukiden, zu dem Babylonien, Syrien und Kleinasien gehörten, sowie das Reich der Antigoniden, die Makedonien sowie relevante Teile Griechenlands unter ihrer Gewalt hatten. Palästina unterstand in den Jahren von 301 bis 198 v. Chr. den Ptolemäern, welche die Toleranzpolitik Alexanders d. Gr. fortsetzten. Zwar garantierten die Ptolemäer die volle Religionsfreiheit, doch die hohe Steuerlast führte vor allem bei den sozial schwächer gestellten Schichten zu wachsender Unzufriedenheit. Teile der Bevölkerung versprachen sich von einer Übernahme der Herrschaft durch die Seleukiden eine Verbesserung ihrer sozialen Lage, sodass Palästina zunehmend zum Zankapfel zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden wurde. Während Teile der Oberschicht hellenisierten und einer Assimilation durchaus nicht abgeneigt waren, wuchs der Widerstand traditioneller Kräfte, welche die Fremdherrschaft des Landes generell ablehnten. Im Jahr 198 v. Chr. wurde der Machtkampf zwischen den Ptolemäern und Seleukiden um Palästina entschieden als Juda und Jerusalem an den Seleukidenherrscher Antiochos III. (242–187 v. Chr.) fielen, der als Anerkennung für die ihm gewährte Unterstützung seitens der Bevölkerung finanzielle Mittel für den Kultus bewilligte, den Ausbau des Tempelbezirks gestattete sowie Steuererleichterungen gewährte. Gleichwohl wuchsen im Laufe der Zeit vor allem die innerjüdischen Spannungen, die zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation führten, als sich die hellenisierenden Kräfte beim König mit einer Umbenennung von Jerusalem in Antiochia durchsetzten. Den entscheidenden Einschnitt im jüdisch-griechischen Verhältnis der damaligen Zeit markierte der Tod des Herrschers Seleukos IV., dem sein Bruder Antiochos IV. Epiphanes (215–164 v. Chr.) folgte, der sich im Jahr 169 und 168 v. Chr. auf einen Feldzug nach Ägypten begab, was Rom auf den Plan rief. Im seleukidisch-römischen Konflikt gab Antiochos IV. schließlich nach und zog sich aus Ägypten zurück.
Der seit Langem schwelende Konflikt zwischen hellenisierenden und traditionellen jüdischen Kräften eskalierte, als der seleukidische Herrscher auf dem Rückweg von Ägypten aufgekommenen Unruhen in Jerusalem Herr zu werden versuchte und bei dieser Gelegenheit in den Tempel einbrach, um sich des Tempelschatzes zwecks Auffüllung leerer Kriegskassen zu bemächtigen. Die dergestalt von ihm provozierte Rebellion unterdrückte Antiochos IV. mit äußerster Gewalt und nahm Rache, indem er den Jerusalemer Tempel in eine Kultstätte des semitischen Gottes Baalshamin verwandelte. Per Dekret verfügte er ein Verbot der Brand- sowie der Speiseopfer im Tempel. Die Beschneidung, die Einhaltung des Sabbats, das Feiern jüdischer Feste sowie der Besitz der Tora wurden bei Todesstrafe verboten. Das Religionsgesetz des Antiochos IV. lief auf den Versuch einer Vernichtung der jüdischen Religion hinaus, auf eine Zwangshellenisierung. Praktizierende