Fürstenkrone 179 – Adelsroman. Louisa RosenhagenЧитать онлайн книгу.
lebte.
»Die Pferde von der äußeren Weide sind ausgebrochen!«, informierte sie Karsten Broder.
»Alle acht?«, fragte Hagen sofort zurück.
»Kann ich noch nicht sagen, ich bin eben erst durch die Hunde und Semiramis, die hier vorbeigeprescht ist, gewarnt worden!«, antwortete Broder hastig.
»Also los!« Hagen und Bea setzten sich Richtung Weide in Bewegung, Broder lief hinter Semiramis her, instinktiv verteilten sich die Hütehunde auf dem Gelände, und Buddevoss wählte den kürzesten Weg hinunter zur Landstraße.
Eichenhof war ein sehr gut geführter Betrieb, und es gab Notfallpläne für gewisse Situationen, in denen schnelles und gezieltes Handeln nötig war. Kopfloses Gerenne hätte nur die Aufregung unter den Pferden verstärkt und das Zurückführen in sichere Areale erschwert.
Am gefährlichsten war die nahe Landstraße! Sie war zwar nicht stark befahren, vor allem nicht zu so früher Stunde, dennoch waren natürlich Autos und LKWs unterwegs. Es könnte zu einem grauenhaften Unfall kommen, wenn die Pferde auf die Straße liefen! Für solche Situationen hatte Hagen seine Leute trainiert, und jeder wusste, was er zu tun hatte.
Auch die ältere Frau, die ebenfalls von dem Lärm geweckt worden war und ihren Kopf aus dem Fenster gesteckt hatte. Rosa Dalhues war die ehemalige Kinderfrau und Hausdame des Grafen und lebte ebenso wie Buddevoss nach ihrer Pensionierung auf dem Gestüt. Auch sie zog sich in Windeseile an und lief auf das Gelände.
Alfred Buddevoss hatte trotz der erforderlichen Eile durch einen Schulterblick mitbekommen, dass Rosa aus dem Fenster schaute. Ihre dunklen, von Silberfäden durchzogenen Locken standen in einem wilden Gespinst vom Kopf ab, und ihre noch immer hübschen runden Schultern zierte ein Paar elegante cremefarbene Spitzenträger. Natürlich war es nur ein kurzer Eindruck, sozusagen ein Streiflicht, das Alfred Buddevoss da von seiner lebenslangen Freundin eingefangen hatte, aber es beschäftigte ihn dennoch. Donnerwetter, dachte er überrascht, wer hätte gedacht, dass Rosa solche Nachthemden trägt!
Wie Hagen und Bea feststellen mussten, stand das Gatter der äußeren Weide weit offen, und alle acht Pferde waren weg. Sie verließen sich auf den Instinkt ihrer Hunde und folgten den Collies, die sehr schnell drei junge Stuten aufgespürt und eingekreist hatten. Die Tiere waren zum Glück nicht panisch, sondern ließen sich problemlos auf die Weide zurückführen.
Broder führte Semiramis am Halfter zurück, und somit hatten sie schon die Hälfte der Tiere wieder hinter dem sicheren Zaun.
Buddevoss traf eines der Tiere, eine rötliche Schönheit namens Cora, die am Graben längs der Landstraße stand und friedlich lange Grashalme ausrupfte und genüsslich zermalmte. Er umging sie in einem Bogen und näherte sich dem Tier mit langsamen Schritten von vorn.
»Na, du bist mir vielleicht eine!«, sagte er ruhig und streckte die Hand nach dem Halfter aus. »Frisst hier das Gras, in dem sich alle Abgase der Autos abgesetzt haben, und könntest etwas viel Besseres auf deiner schönen, abgelegenen Weide haben. Wir beide gehen jetzt mal zurück, und du rupfst dort dein Futter aus, meine Hübsche. Und bis dahin habe ich hier etwas für dich, das dir den Weg versüßen wird.« Er zog eine Rübe aus seiner Tasche, Cora ließ sich mit diesem Leckerbissen bestechen und willig auf die Weide zurückführen.
Ein Gast des Reiterhotels, der zu einer sehr frühen Joggingrunde aufgebrochen war, kam in Begleitung eines weiteren Pferdes zurück.
Miranda, eine hochbeinige Braune mit weißen Fesseln, stand erwartungsvoll vor der verschlossenen Futterkiste mit Hafer. Rosa entdeckte sie dort, belohnte sie für ihre Ruhe mit einer Handvoll des Getreides und führte sie dann wieder zurück.
»Gut, somit haben wir immerhin schon sechs Ausreißer wieder eingefangen!«, stellte Buddevoss fest.
»Sieben!«, korrigierte Rosa erleichtert und deutete auf die Pferdepflegerin Katharina, welche ein weiteres Pferd am Zügel führte.
»Sie stand am Brunnen im ersten Hof«, berichtete die junge Frau, »und hat mit ihrem Maul die silbernen Schwimmkugeln angestupst. Offensichtlich hat ihr das viel Spaß gemacht.«
»Ja, unsere Fiona war schon immer ziemlich verspielt«, stellte Buddevoss fest und zauste liebevoll die Stirnlocke der jungen Stute. »Wie schön, dass du dir das trotz allem nicht abgewöhnt hast!« Zufrieden entließ er das Pferd, das vor einiger Zeit eine gefährliche Krankheit überstanden hatte, auf die Weide.
Leider war von dem achten Tier, einer hellbraunen Stute mit seidiger dunkler Mähne, weit und breit nichts zu sehen. Nordwind schien ihrem Namen alle Ehre gemacht und sich weit entfernt zu haben. Zwei Mitarbeiter wurden auf beiden Seiten der nun stärker befahrenen Landstraße postiert, um das Pferd abfangen zu können, und Hinweisschilder warnten die Autofahrer. Broder suchte jetzt mit Merlin jenseits des Flusses, vielleicht war Nordwind über die Brücke in Richtung des Dorfes galoppiert.
Bea und Hagen sattelten ihre Pferde und machten sich im weiteren Umkreis auf die Suche, leider erfolglos. »Hoffentlich ist sie nicht ins Moor gelaufen!«, sagte Bea sorgenvoll. Sie suchten nach frischen Hufspuren, konnten aber keine entdecken, und auch die Hündin Victoria, die sie begleitete, schlug nicht an. Inzwischen war auch die kleine Polizeistation im Dorf benachrichtigt worden, und im Verkehrsfunk lief eine Warnung an alle Autofahrer auf dieser Strecke. Mehr konnten sie im Augenblick nicht tun.
*
Unter den Autofahrern, welche die Warnung für diese Strecke gehört hatten, war ein Mann namens Martin von Lindholm. Er kam aus Flensburg und war aus beruflichen Gründen auf dem Weg nach Eichenhof. Martin war grundsätzlich ein umsichtiger Autofahrer, der sich und andere nicht um Kopf und Kragen raste. Nachdem er die Nachricht wegen des Pferdes gehört hatte, fuhr er besonders wachsam und ließ die Straßenränder nicht aus den Augen.
Das war auch gut so, denn direkt hinter einer Kurve erwartete ihn eine braune Stute, die ihn aus dem Straßengraben heraus abschätzend musterte! Lindholm bremste vorsichtig – jetzt bloß keine Hektik! – und setzte den Wagen in einen Forstweg, der sich glücklicherweise an der richtigen Stelle befand. Er stieg aus und näherte sich langsam, aber ohne zu zögern dem grasenden Tier.
Es war eine Stute mit hellbraunem Fell und tiefdunkler Mähne. Sie hatte weiße Fesseln und trug auf der Stirn eine auffällige Blesse, die wie ein Spiralnebel geformt war. »Hallo, du Hübsche«, sagte Lindholm und streckte ruhig seine Hand nach dem Halfter aus. »Du stehst hier nicht besonders gut, meinst du nicht auch? Ich wette, du gehörst nach Eichenhof, und dort will ich auch hin. Wir sollten den Weg zusammen gehen.«
Nordwinds Ohren spielten aufmerksam. Sie war menschliche Stimmen, die freundlich und bestimmt mit ihr sprachen, gewohnt, deshalb schreckte sie vor dieser nicht zurück. Der Mann, der sich im Umgang mit Pferden auskannte, machte nicht den Fehler, an ihrem Halfter zu zerren, um sie aus dem Graben zu bekommen. Er sprach einfach ruhig weiter mit ihr und streichelte ihre Nüstern, um sie an sich zu gewöhnen.
»Jetzt habe ich ein Problem, das ich nur zusammen mit dir lösen kann«, sagte er. »Ich bin mit dem Auto unterwegs, und das nützt uns jetzt nichts. Bis ich mein Abschleppseil aus dem Wagen geholt habe, um dich anzubinden, hast du vielleicht schon wieder das Weite gesucht. Nach Eichenhof sind es noch gut zehn Kilometer, die möchte ich nicht laufen, wenn ich ein Pferd bei mir habe. Also werde ich auf dir reiten!«
Nordwind schnaubte und stupste ihren Kopf gegen Lindholms Schulter. Er lachte leise. »Schön, dass wir einer Meinung sind!«, sagte er. »Und damit du siehst, dass du es gut bei mir hast, habe ich hier etwas für dich.« Er zog ein Zuckertütchen von der letzten Raststätte aus seiner Jackentasche und ließ die Stute den Inhalt auflecken. Dann tat er etwas, das ziemlich albern aussah, aber notwendig war: Aus seinem Gürtel und seiner Krawatte bastelte er improvisierte Zügel. »So weit in Ordnung«, stellte er zufrieden fest. »Und nun wirst du mich auf deinen Rücken lassen und zu euch nach Hause tragen!«
Als Nordwind den unbekannten Reiter auf ihrem ungesattelten Rücken spürte, zuckten ihre Muskeln, und sie legte kurz die Ohren an. Es war ganz deutlich, dass sie überlegte, ob sie sich diese Behandlung gefallen lassen wollte oder nicht!
Aber Martin