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Agnes Grey. Anne BronteЧитать онлайн книгу.

Agnes Grey - Anne Bronte


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Weihnachten vielleicht zu einem kurzen Besuch zurückkäme, hätte sie wahrscheinlich ihre Spielkameradin und ihre eigenen fröhlichen Streiche vergessen. Zum letzten Mal hatte ich mit ihr herumgespielt, und während sie danach schläfrig in meinem Schoß lag und schnurrte, streichelte ich ihr weiches, glänzendes Fell mit einem Gefühl der Trauer, das ich nur schwer verbergen konnte. Als ich mich dann zur Schlafenszeit mit Mary in unser ruhiges, kleines Zimmer zurückzog, in dem meine Schubladen und mein Anteil des Bücherregals bereits leergeräumt waren und wo sie in Zukunft würde allein schlafen müssen – in trostloser Einsamkeit, wie sie es ausdrückte –, verzagte mein Herz noch mehr als zuvor: Ich hielt es für selbstsüchtig und unrecht, dass ich darauf bestanden hatte, sie zu verlassen, und als ich noch einmal neben unserem schmalen Bett niederkniete, betete ich inbrünstiger als je zuvor um Segen für sie und meine Eltern. Um meine Gefühle zu verbergen, vergrub ich das Gesicht in den Händen, die sogleich nass von Tränen waren. Als ich mich aufrichtete, merkte ich, dass auch sie geweint hatte. Doch keine von uns beiden sprach; schweigend begaben wir uns zur Ruhe, und in dem Bewusstsein, uns so bald voneinander trennen zu müssen, schmiegten wir uns noch enger aneinander.

      Aber der Morgen weckte Hoffnung und Lebensgeister neu. Ich musste zeitig aufbrechen, damit der Wagen – ein Einspänner, den Mr. Smith, der Tuch-, Gemischtwaren- und Teehändler des Ortes, gemietet hatte – noch am selben Tag zurückkehren konnte. Ich stand auf, wusch mich und zog mich an, verschlang hastig mein Frühstück, nahm die zärtlichen Umarmungen von Vater, Mutter und Schwester entgegen, küsste zur großen Entrüstung von Sally, unserem Mädchen, die Katze, gab Sally die Hand, stieg in den Einspänner, zog den Schleier über mein Gesicht und dann, erst dann brach ich in Tränen aus. Der Wagen fuhr an; ich blickte zurück: Meine Mutter und meine Schwester standen noch in der Tür, sahen mir nach und winkten zum Abschied. Ich erwiderte den Gruß und bat Gott aus tiefstem Herzen, sie zu segnen. Dann fuhren wir den Hügel hinab, und ich konnte sie nicht mehr sehen.

      »Ziemlich kalter Morgen für Sie, Miss Agnes«, bemerkte Smith, »und ein finsterer dazu; aber wenn wir Glück haben, schaffen wir es noch bis zu jenem Flecken, ehe der Regen losgeht.«

      »Ja, hoffentlich«, antwortete ich, so ruhig ich konnte.

      »Gestern Nacht ist auch schon ’ne schöne Menge runtergekommen.«

      »Ja.«

      »Aber vielleicht bläst ihn dieser kalte Wind ja weg.«

      »Ja, vielleicht.«

      Hier endete unsere Unterhaltung. Wir durchquerten das Tal und schickten uns an, den gegenüberliegenden Hügel hinaufzufahren. Während wir mühselig bergan krochen, sah ich noch einmal zurück: Da war der Kirchturm und dahinter das alte, graue Pfarrhaus, das von einem schräg einfallenden Sonnenstrahl in ein warmes Licht getaucht wurde – er war zwar nur schwach, aber das Dorf und die umliegenden Berge lagen in tiefem Schatten, und ich deutete diesen vorbeigleitenden Strahl als gutes Omen für mein Zuhause. Mit gefalteten Händen erflehte ich inbrünstig den Segen für seine Bewohner und wandte mich dann schnell ab; denn ich sah, dass die Sonne verschwand, und vermied tunlichst jeden weiteren Blick, um es nicht wie die übrige Umgebung im dunklen Schatten daliegen zu sehen.

      Kapitel 2

      Erste Lektionen in der Kunst des Unterrichtens

      Als wir so dahinfuhren, hob sich meine Stimmung wieder, und ich wandte mich der Betrachtung des neuen Lebens zu, das ich nun beginnen würde. Aber obwohl die Septembermitte gerade erst überschritten war, machten die schweren Wolken und ein scharfer Nordostwind den Tag äußerst kalt und ungemütlich; auch erschien mir die Reise sehr lang, denn, wie Smith feststellte, die Straßen waren »sehr schwer«; sein Pferd war mit Sicherheit auch »sehr schwer«: Es schleppte sich die Hügel hinauf, schlich sie wieder hinunter und ließ sich nur dazu herab, in Trab zu fallen, wenn die Straßen völlig eben oder nur ganz leicht abschüssig waren, was in dieser rauen Gegend nur selten vorkam. Und so war es fast ein Uhr, als wir unseren Bestimmungsort erreichten. Doch als wir endlich das steil aufragende Eisentor passierten, gemächlich die glattgewalzte, zu beiden Seiten von grünen Rasenflächen und jungen Bäumen gesäumte Auffahrt hinauffuhren und uns dem neuen, doch stattlichen Herrenhaus von Wellwood näherten, das aus einem hochaufgeschossenen Pappelhain auftauchte, verließ mich der Mut, und ich wünschte, meilenweit weg zu sein. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich für mich selbst einstehen; es gab kein Zurück mehr. Ich musste dieses Haus betreten und mich mit seinen fremden Bewohnern bekannt machen. Aber wie machte man das? Sicher, ich war fast neunzehn, aber ich wusste sehr wohl, dass viele Mädchen von fünfzehn Jahren oder weniger über ein fraulicheres Benehmen und eine größere Ungezwungenheit und Selbstsicherheit verfügten, als ich sie aufgrund des zurückgezogenen Lebens und der schützenden Obhut von Mutter und Schwester besaß. Wenn Mrs. Bloomfield jedoch eine freundliche, mütterliche Frau war, würde ich auf Dauer schon Erfolg haben; mit den Kindern würde ich natürlich bald gut Freund sein und mit Mr. Bloomfield hoffentlich nur wenig zu tun haben.

      »Nur ruhig, nur ruhig, egal, was kommen mag«, sagte ich mir im Innern und hielt mich so getreu an diesen Entschluss und war derart damit beschäftigt, meine Nerven zu beruhigen und das unbotmäßige Klopfen meines Herzens zu beschwichtigen, dass ich, nachdem ich in die Halle und zu Mrs. Bloomfield geführt worden war, beinahe vergaß, ihren höflichen Gruß zu erwidern. Erst später ging mir auf, dass ich meine wenigen Worte wie im Halbschlaf gesprochen hatte. Auch die Lady hatte ein etwas frostiges Verhalten an den Tag gelegt, wie ich nachher feststellte, als ich Zeit zum Nachdenken hatte. Sie war eine große, reservierte, stattliche Frau mit dichtem schwarzen Haar, kalten grauen Augen und ausgesprochen ungesunder Gesichtsfarbe.

      Mit gebührender Höflichkeit zeigte sie mir jedoch mein Zimmer und ließ mir Zeit, mich etwas zu erholen. Beim Anblick meines Spiegelbildes war ich entsetzt: Durch den kalten Wind waren meine Hände angeschwollen und gerötet, meine Haare aufgelöst und zerzaust und mein Gesicht leicht purpurn gefärbt; zu allem Überfluss war mein Kragen schrecklich zerknittert, mein Kleid schlammbespritzt, und meine Füße steckten in einem Paar derber, neuer Stiefel; und da man die Koffer noch nicht heraufgebracht hatte, konnte dem allem auch nicht abgeholfen werden. Als ich mein Haar, so gut es ging, gebändigt und meinen widerspenstigen Kragen mehrmals zurechtgezupft hatte, machte ich mich daran, in den beiden Treppenfluchten meinen Weg zu suchen, wobei ich vor mich hin grübelte. Mit einiger Schwierigkeit fand ich den Raum, in dem Mrs. Bloomfield mich erwartete.

      Sie führte mich ins Esszimmer, wo der Familientisch gedeckt war. Man setzte mir Beefsteak und ein paar lauwarme Kartoffeln vor. Während ich saß, saß sie mir gegenüber, beobachtete mich, wie es mir vorkam, und gab sich Mühe, eine Art Gespräch in Gang zu halten, das größtenteils aus einer Reihe von abgedroschenen Phrasen bestand, die sie mit steifer Förmlichkeit äußerte. Aber das mochte eher mein Fehler als der ihre sein, denn ich war beim besten Willen nicht in der Lage, mich zu unterhalten. In der Tat nahm das Essen meine Aufmerksamkeit fast völlig in Anspruch: nicht etwa wegen meines Heißhungers, sondern weil mir die Zähigkeit des Beefsteaks und meine klammen Finger zu schaffen machten, die fast gelähmt waren, nachdem sie fünf Stunden dem bitterkalten Wind ausgesetzt gewesen waren. Nur zu gern hätte ich die Kartoffeln gegessen und das Fleisch übriggelassen, aber da man mir ein großes Stück davon auf den Teller gelegt hatte, wollte ich nicht unhöflich sein. Nach mehreren ungeschickten und erfolglosen Versuchen, es mit dem Messer zu schneiden, mit der Gabel zu zerreißen oder mit beidem zusammen in kleine Stücke zu zerlegen, nahm ich schließlich – immer der Tatsache bewusst, dass die schreckliche Lady die ganze Prozedur verfolgte – wie ein zweijähriges Kind verzweifelt Messer und Gabel in beide Fäuste und machte mich mit all meinem bisschen Kraft ans Werk. Dies nun verlangte eine Entschuldigung, und mit dem schwachen Versuch zu lachen, sagte ich: »Meine Hände sind so taub von der Kälte, dass ich kaum mit Messer und Gabel umgehen kann.«

      »Ich dachte schon, Sie fänden es kalt«, antwortete sie mit einer kühlen, stets gleichbleibenden Würde, die nicht gerade dazu angetan war, mich zu beruhigen.

      Als die Zeremonie beendet war, führte sie mich ins Wohnzimmer zurück, wo sie läutete und nach ihren Kindern schickte.

      »Sie werden feststellen, dass sie in ihren Kenntnissen nicht sehr weit fortgeschritten sind«, sagte sie, »denn ich hatte so wenig Zeit, mich selbst


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