Globetrotter, ein unternehmerisches Abenteuer. ОтсутствуетЧитать онлайн книгу.
und aufwendigen Grabbeigaben. Interesse riefen im Jahr 1968 erst recht die Eindrücke von der thailändischen Insel Ko Samui in ihrer touristischen Unberührtheit – Kamm und seine Freundin waren die zwei einzigen Fremden auf der Insel! – und mit ihren Millionen von Palmen hervor: Dressierte Affen halfen beim Einbringen der reifen Kokosnüsse. Walo Kamm: «In vielen Gebieten, die heute bekannte touristische Ziele sind, gab es zu ‹meiner› Reisezeit noch praktisch keinen Tourismus.»
Eintritt in andere Welten
Walo Kamm hatte schon vor seinen grossen Fotoreportagen einen Umbruch in seinem Leben vollzogen. 1966 hatte er eine gute Arbeitsstelle aufgegeben, um sich ganz dem Reisen zu widmen. Seine manchmal jahrelang dauernden Streifzüge führten ihn rund um die Erde. Er lernte die unterschiedlichsten Lebensumstände kennen. Leere und rauschhafte Vielfalt, Armut und Reichtum, Dauerhaftigkeit und Veränderung, Stille und Umtriebigkeit wechselten sich ab. Fast an jedem Ort ergaben sich leicht Kontakte, begegneten ihm Menschen mit völliger Unvoreingenommenheit. Der bärtige Mann aus der Schweiz erweckte Neugier, stiess auf Fragen nach seiner Lebensweise und nach seinen Ansichten. Die finanzielle Unsicherheit, die mit der neuen Freiheit verbunden war, kümmerte ihn wenig. Es schien, als hätte jemand ein Tor geöffnet und den Weg in eine weite und sonnige Landschaft freigegeben.
Hinter Walo Kamm lag eine Jugend, die mit intensiven Eindrücken verbunden war, die aber auch ein Gefühl der Unbehaustheit zurückgelassen hatte. Über die Fragen, wie das Leben anzugehen sei, herrschte im Elternhaus der frommen Kirchgänger eine permanente Disharmonie. Von den dogmatischen religiösen Zwängen mussten sich Walo und seine Schwester in mühsamen Prozessen befreien. Kontroversen entzündeten sich immer wieder daran, ob das Glück in einem Rückzug ins Eigenbrötlerisch-Private läge oder ob es sinnvoll wäre, Unbekanntes zu erkunden und dadurch im Leben weiterzukommen.
Walo Kamm: «Jede von den vier Personen der Familie lebte in ihrer eigenen Welt; die Bedürfnisse der Kinder wurden von den Eltern kaum beachtet. Liebe, Zärtlichkeiten und freudvolle Freizeitaktivitäten waren unbekannte Aspekte. Die Schwester heiratete mit zwanzig einen indianischen Bolivianer, bekam ein Kind und wanderte nach Südamerika aus. Ich selber hatte laufend gute Gründe, um zu rebellieren – gegen die naiv-unwissenden Eltern, die heuchlerische Kirche, die prügelnden Lehrer, die skurrile Verwandtschaft, das repressive Militär, die schikanöse Obrigkeit, die schnüffelnde Fichenbehörde, die aggressive Polizei …»
Zwischen Stadt und Land
Zum Mangel an Gesprächen und Erziehung kamen bedrängte materielle Verhältnisse. Der Vater, ein grosser Pflanzenfreund, musste während der grossen Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren seine Einmann-Gärtnerei aufgeben und sich als Lagerist verdingen. Nebenbei baute er Rhabarber, Beeren und Blumen an, um sie auf den Märkten Zürichs zu verkaufen. Die Mutter verdiente als Putzfrau ein bescheidenes Zubrot. Der Vater hatte autistische Züge, sprach kaum je – die Mutter das Gegenteil: Mit ihrem schwachen Nervenkostüm gab es viele krachende Szenen wie Vulkanausbrüche. Das Einkommen war denkbar gering. «Das Haushaltsgeld war so knapp, dass es Fleisch nur am Sonntag gab», erzählt Kamm. «Und statt neuer Kleidung bekam ich bloss die ausgetragenen Klamotten und Schuhe meiner älteren Cousins. Die nötigen Gebrauchsgegenstände kamen aus zweiter Hand. Spielsachen oder Sportgeräte gab es nie. Ich wuchs ohne Telefon, Radio und Fernsehen auf, ohne Auto, Zentralheizung oder Kühlschrank. Taschengeld war ein unbekanntes Fremdwort.»
Ferien vom Reisen: Paradiesisches Strandleben ohne Overtourism in Sri Lanka.
In dem Gebiet zwischen Stadt und Land, geografisch isoliert vom Quartierleben, wo die Eltern gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in Zürich-Affoltern ein dürftig gebautes Reihenhaus erworben hatten, hatte sich in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten eine ländliche Szenerie erhalten: «Nur wenige Schritte entfernt lagen Kuhweiden und Äcker sowie ein Wald, vor dem abends Rehe ästen.»
Bei einer Bauernfamilie in der Nähe, wo Walo Kamm als Halbwüchsiger beim Heuen, bei der Kirschernte, beim Kühe hüten oder beim Putzen der Runkelrüben half, fühlte er sich wohler als im Elternhaus. Das innerlich ohnehin zerstörte Pseudo-Idyll wurde aber zusätzlich durch direkte Nachbarn vermiest, die immer wieder Schreckenstaten begingen, sodass die Polizei oft einschreiten musste.
Die kargen Lebensumstände der Familie hatten aber auch für die Kinder weitreichende Folgen. Die Eltern, die nie an Veranstaltungen gingen oder in die Ferien reisten und kein einziges Mal im Ausland waren, schickten den Sohn im Sekundarschulalter und während der kaufmännischen Lehre kurzerhand auf Baustellen, wo er in den Ferien als Hilfsarbeiter etwas Geld für den Kauf von Kleidern oder für das am Stadtrand dringend notwendige Fahrrad verdienen konnte. Ungeachtet der harten Umstände (2 Franken Stundenlohn) konnte der Bursche etwas sparen, um sich kleine Freiräume zu schaffen: «Schon damals war ich neugierig auf die unbekannte Welt ausserhalb der Katzenseegegend, wollte mit eigenen Augen sehen, was hinter dem nächsten und übernächsten Horizont ist.»
Frühe Herausforderungen
Bereits beim ersten Abstecher ins Ausland gab es Ereignisse, mit denen Walo Kamm nicht gerechnet hatte. Als 16-jähriger Lehrling war er mit einem Sportsack, einem Reservehemd und sehr wenig Geld nach Paris aufgebrochen. Was er in der Tasche hatte, reichte nicht für Hotelübernachtungen. Der Weltentdecker-Neuling versuchte sich anders zu behelfen. Am Ufer der Seine sah er nachts eine alte Matratze liegen. Übermüdet und unerfahren legte er sich schlafen und bemerkte nicht, dass sich nach einiger Zeit Schatten um ihn herum bewegten.
Am Morgen fehlte alles: Portemonnaie, Uhr, Sportsack. In der harten Realität aufgewacht, dachte der Weltenbummler-Lehrling aber keineswegs ans Aufgeben. Er meldete sich auf der Schweizer Botschaft und bat um ein bescheidenes Darlehen, um sich doch noch ein paar Tage Paris ansehen zu können, versprach eine Rückzahlung in der Schweiz. Die zuständigen Beamten wollten davon nichts wissen: Er habe unverzüglich in die Heimat zurückzukehren, wurde ihm barsch beschieden. Noch hatte er aber nichts gesehen und wandte sich vom Schalter ab.
«Als ich halb verzweifelt und mit verweinten Augen im Foyer herumstand, wurde ein Herr, der eben eingetreten war, auf mich aufmerksam, sprach mich an und fragte nach meiner Geschichte», erinnert sich Kamm. «Ohne dass ich darum gebeten hätte, gab er mir als Nothilfe 20 Franken – ein ordentlicher Batzen bei einem Lehrlingslohn von 100 Franken im Monat. Bei dem Herrn mit dem besonderen Mitgefühl handelte es sich um den Diplomaten Dr. Emil Stadelhofer, Schweizer Vertreter bei der OECD. Mit Interesse habe ich seine spätere Karriere verfolgt: Als Schweizer Botschafter in Kuba vertrat er während der Krisenzeit auch die Interessen der USA und heckte mit Staatschef Fidel Castro bei privaten Gesprächen in Havannas Nachtcafés weltpolitisch wichtige Lösungen aus.»
Die Nothilfe, die der Gestrandete erhalten hatte, verwendete dieser aber weder für Essen noch Übernachtung, sondern ausschliesslich für Métro-Billets und Eintrittskarten: für den Louvre, den Eiffelturm und Ähnliches. Noch vier Tage lang nächtigte er unter Brücken; gegen den Hunger fischte er Sandwichreste aus Abfallbehältern und trank Wasser von Brunnen. Für die Rückfahrt streckte die Botschaft schliesslich das Geld vor, wenn auch nur sehr widerwillig.
Das Erlebnis am Seineufer dämpfte Walo Kamms Reiselust keineswegs. In den folgenden Sommern bereiste er per Autostopp andere Länder Europas, und ein paar Jahre später fuhr er zusammen mit einem Kollegen, der einen VW Käfer besass, rund ums Mittelmeer und durchquerte in zwei Monaten 15 Länder. Nebst Kennenlernen von alten Kulturen beinhaltete das auch etliche deftige, exotische Abenteuer.
Mehrere mögliche Lebenswege
Auf eine bestimmte Richtung im Leben wollte sich Walo Kamm noch keineswegs festlegen. Nach der Lehre und Rekrutenschule sammelte er Erfahrungen an verschiedensten Stellen, bei einer Grossbank in der Nummernkonto-Abteilung («Geldwäscherei») ebenso wie in einer Grossbäckerei, als Inserate-Akquisiteur oder als Speditionsgehilfe im Nachtdienst einer Zeitungsdruckerei. Er wanderte in Zürich auch als Sandwichmann herum, als mobile Plakatsäule. Raue, abenteuerliche Sitten herrschten in Redaktion und Fotoarchiv der Agentur Filmpress und auch bei den Ausseneinsätzen