Ein MORDs-Team - Band 1: Der lautlose Schrei. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
in die Dunkelheit. Es war nur eine Person, die zu ihm in die Aula gelaufen kam, vermutlich Marietta. Sie erschreckten sich öfter gegenseitig und momentan lag er nach Punkten vorne.
Will da jemand Revanche?
Ihm kam eine Idee.
»Einen kleinen Schreck hast du dir schließlich auch verdient«, flüsterte er vor sich hin.
Er schlich geduckt zu den Säulen, im Schatten würde sie ihn nicht sehen. Die Schritte waren jetzt ganz nahe.
Harrison lugte hinter der Säule hervor … und zuckte erneut zusammen, sein Herz raste.
Schnell zog er sich in die Dunkelheit zurück.
Marietta trug keine solch eleganten Lederschuhe, von dem Trenchcoat ganz zu schweigen.
Oh Gott, wir sind so was von am Arsch.
Vermutlich war der Hausmeister auf einem seiner Rundgänge. Doch warum in dieser Aufmachung? Wohl eher nicht. Aber wer war es dann? Harrison drückte sich tiefer in den Schatten. Der Unbekannte blieb stehen.
Stille.
Als er schon glaubte, entdeckt worden zu sein, erklangen wieder Schritte, die sich langsam entfernten.
Harrison lugte noch einmal um die Säule.
Der Mann – zumindest ging er davon aus, dass sich unter dem Trenchcoat und dem Hut keine Frau verbarg – war mittelgroß und schmächtig. Die einzigen Auffälligkeiten waren die eleganten Lederschuhe und die schwarze flache Hülle, die er in der Rechten trug. Normalerweise wurden darin Super-8-Filme verstaut.
Harrison wartete, bis der Mann durch die Eingangstür nach draußen verschwunden war, dann atmete er auf und erhob sich. Warum hatten die anderen ihn nicht gewarnt?
Als er das Walkie hob, stellte er entsetzt fest, dass Kanal drei ausgewählt war.
Super! Das wird Jamie mir noch in dreißig Jahren vorhalten.
Es knackte, als er den kleinen schwarzen Knopf drehte. Jetzt zeigte der Strich an der Seite auf die Zahl vier.
»… mich? Verdammt noch mal, was ist mit dem Ding?« Es war die Stimme von Jamie und er klang panisch.
»Alles okay, Alter, ich bin in Ordnung.«
»Lauf! Raus aus dem Schulgebäude, hast du verstanden?!«
»Wow, komm wieder runter. Er hat mich nicht erwischt.«
»Was? Wer?«
»Na, der Typ im Trenchcoat.«
»Oh Shit.«
Ein Knacken drang aus dem Lautsprecher.
»Harrison, du musst da abhauen«, erklang die Stimme von Shannon. Sie schluchzte. »Mach schon, wir sind in dem Wäldchen hinter der Schule.«
»Was ist denn passiert?«
»Marietta ist tot«, sagte sie stockend. »Lauf!«
Die Worte hallten in Harrisons Geist wider wie ein ewig währender Donnerhall. Er hatte jedes Wort verstanden, konnte den Sinn dahinter aber nicht begreifen, nicht erfassen. Die Zeit schien für einen grausamen Moment stillzustehen.
Sein Körper reagierte mechanisch.
Er rannte.
*
Barrington Cove, Gegenwart
Ein Freitag
Der nervende Ton der Schulklingel riss ihn aus dem Sekundenschlaf. Mason fuhr in die Höhe. »Hm?«
»Alter.« Randy grinste ihn vom Nebentisch aus an, das dunkle Haar verwuschelt wie immer. »Wenn der Kelso nicht so sehr in die soziale Struktur des Mittelalters in Europa vertieft gewesen wäre, wärst du hochkant rausgeflogen.«
»Hm.« Er schob seine Bücher in den Eastpack. Mason hasste Geschichte. Und Mathe. Und Englisch. »Ist spät geworden gestern.«
Sie verließen den Klassenraum als Letzte. Die anderen trieben sich längst auf dem Schulhof herum, nutzten jede Sekunde der Pause, die ihnen vor dem Sportunterricht zugestanden wurde.
Sport.
Das Wort drehte in Masons Kopf eine Ehrenrunde. Einst war Basketball alles für ihn gewesen, das Zentrum seines Lebens, Denkens und Fühlens. Bis zu jenem Tag vor einem Jahr, als das Schicksal mit grausamer Allmacht entschieden hatte, ihm seinen Traum zu nehmen.
»Du hast schon wieder diesen Blick drauf«, sagte Randy. Er knabberte an seiner Unterlippe, als wäre es ihm unangenehm, das Thema anzusprechen.
»Welchen Blick?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Mason zuckte mit den Schultern. »Passt schon. Mir geht es gut.«
»Ist klar.« Randy hielt ihn am Arm fest. »Warte. Du kannst so nicht weitermachen, Alter. Zu spät kommen, in der Klasse schlafen und ständig abdriften. Du bist Mister Sport. Lustig, locker und smart.«
Er lachte auf. Es war mehr ein Grunzen als ein Lachen, aber immerhin. »Das ist Vergangenheit. Hör auf, dir ständig Sorgen um mich zu machen.«
»Vertauschte Rollen würd’ ich sagen.«
Sie hatten sich beide verändert. Sein bester Freund, den er seit etwas weniger als einem Jahr kannte, war nicht mehr ganz so schüchtern und introvertiert wie einst. – Aber noch immer ein Geek und ein Nerd; ein Neek eben. »Da hast du Recht.«
Mason sah zu Boden. Und was bin ich?
Als er wieder aufblickte, war es zu spät. Ein Schlag traf ihn an der Schulter, er taumelte gegen die Wand.
»Geht‘s noch?!«, rief Randy.
Der Übeltäter – kein anderer als der Sohn des hiesigen Sheriffs, Brian Bruker – wandte sich kurz um, zeigte den Mittelfinger und hetzte dann weiter. »Alles in Ordnung?«
Mason rappelte sich auf. »Hörst du jetzt endlich auf, mich das ständig zu fragen!«
»Ist ja gut.« Der Freund trat zurück und hob in einer Geste der Entschuldigung die Arme.
Vor ihnen tauchten die Schulspinde auf, in denen sie ihre Bücher vor dem Sport verstauen und die Sporttaschen holen wollten. Davor stand eine Traube aus Deputys, der Direktor und Drogenspürhunde.
Der Direx deutete in Masons Richtung. »Ah, der Mann der Stunde, Mister Collister. Öffnen Sie bitte Ihren Spind. Deputy Sachsen möchte einen Blick hineinwerfen.«
Wie er diesen aufgeblasenen Wichtigtuer hasste. Samuel – der Prinz – Samsbury leitete die Schule seit eineinhalb Jahren als Direktor und war unter den Schülern noch unbeliebter als sein Vorgänger. Der Mann stammte ursprünglich aus England und hatte sich wegen seiner nasalen Sprechweise, in Kombination mit einer ordentlichen Portion Arroganz, den Spitznamen ‚Prinz’ eingehandelt.
Randy analysierte mit gerunzelter Stirn das Geschehen, sagte aber nichts.
Mason zuckte die Schultern. Die Drogenkontrollen gehörten zum Alltag bei einer öffentlichen Schule. Mindestens einmal pro Monat fanden sie statt, dann wimmelte es hier von Deputys und Hunden und Neulingen, die mit ihren Smartphones alles aufnahmen. Das war verboten, klar, aber es fand sich immer ein Weg. Meist wurden kleinere Mengen von irgendeinem Drogenscheiß entdeckt, konfisziert, der jeweilige Schüler bestraft.
Gehörten seine Eltern zu den besser Verdienenden, blieb es bei einem Eintrag in die Akte, gehörten sie zur Unterschicht, folgte schon mal ein Schulverweis. Das übliche Spiel, das durch den mächtigen Elternbeirat gespielt wurde.
Der Prinz stand neben dem Deputy, das Gesicht ein Ausdruck an Hochnäsigkeit. Wie jeden Tag trug er einen grauen Anzug. Ein Teil der Schüler war überzeugt, dass er nur einen davon besaß, den er niemals wechselte. Andere glaubten,