Sophienlust 315 – Familienroman. Anne AlexanderЧитать онлайн книгу.
ernannt worden war, benahm er sich immer mehr wie ein Snob.
»Warum sollte unser Image nicht gehoben werden?« fragte Harald. »Es ist nichts dagegen einzuwenden.«
»Du sprichst schon wie Direktor Walter«, warf Christine ihm etwas bissig vor.
»Bei der Firma Gerlach kann ich nicht noch höher steigen«, erwiderte ihr Mann unbeeindruckt. »Aber wer zwingt mich, ständig bei ihr zu bleiben? In einigen Jahren werde ich mich nach einer noch besseren Position umsehen. Industrie und Wirtschaft brauchen ständig Leute, die bereit sind, sich völlig einzusetzen.«
»Aber vor Industrie und Wirtschaft sollte immer deine Familie stehen«, sagte Christine mit Nachdruck. »Ich kann verstehen, daß dir deine neue Position etwas zu Kopf gestiegen ist, aber irgendwann solltest du wieder herunter auf die Erde kommen.«
»Mir ist gar nichts zu Kopf gestiegen!« Harald Walter mußte sich zwingen, ruhig zu bleiben. Warum war Christine nur so begriffsstutzig? Konnte sie denn nicht begreifen, daß ein Mann in seinem Beruf weiterkommen mußte?
»Das merkst du nur nicht«, meinte die junge Frau. »Aber warum zanken wir uns, Harald? Es ist doch sinnlos!« Sie schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln. »Nutzen wir lieber die uns verbleibende Zeit für ein intensives Familienleben.«
»Einverstanden!« Harald küßte sie aufs rechte Ohr. »Schauen wir noch einmal nach Meli? Ich habe noch nie ein niedlicheres Kind gesehen.«
»Wahrscheinlich gibt es nur wenige Väter, die so vernarrt in ihre Tochter sind, wie du es bist«, scherzte Christine und zwang sich, nicht über Haralds plötzlichen Snobismus nachzudenken.
»Es haben auch nur wenige Väter eine so hübsche, kluge Tochter«, konterte Harald.
Leise stiegen sie die Stufen zum ersten Stock empor. Lautlos öffnete Harald die Tür des Kinderzimmers. Beim Fenster brannte ein kleines Nachtlicht. Sein Schein reichte eben aus, die Konturen des Kindes erkennen zu lassen.
Hand in Hand stand das Ehepaar am Kinderbettchen. Nach den langen Jahren des Wartens kam es Christine noch immer wie ein Wunder vor, daß sie nun endlich ein Kind hatte. Gut, Melissa war nicht ihr leibliches Kind, aber kaum ein Kind wurde wohl mehr geliebt. Sie schwor sich, alles zu tun, damit es im Leben der Kleinen keine dunklen Schatten gab.
*
Christine Walter kam aus dem Kindergarten, der dem Heinhofer Reitclub angeschlossen war. Sie hatte ein wenig Angst gehabt, Melissa dort abzugeben, aber die Kleine hatte keine Schwierigkeiten gemacht. Munter hatte sie ihr nachgewinkt und »ade« »ade« gerufen. »Was für ein braves Kind«, hatte die junge Kindergärtnerin gemeint und Melissa zu ihren fünf anderen Schützlingen gebracht.
Christine ging über den weiten Platz zu den Ställen. Sie kam sich in ihrem Reitdreß lächerlich vor, aber dann sah sie, daß die anderen Frauen genauso gekleidet waren. Seufzend setzte sie auch noch ihre Kappe auf.
»Hallo!«
Christine wandte sich nach links. Sie sah einen etwa dreißigjährigen Mann, der einen weißen Schimmel am Halfter führte. Er trug einen sehr eleganten Reitanzug und spiegelblanke Stiefel dazu.
Trotz seiner etwas zu langen blonden Haare sah er wirklich sehr gut aus.
»Guten Morgen!« grüßte Christine.
»Sind Sie die Neuerwerbung?« fragte der junge Mann unverblümt. Er blieb neben ihr stehen. Unverhohlen betrachtete er sie. Anerkennend pfiff er durch die Zähne. »Nicht schlecht, nicht schlecht«, murmelte er vor sich hin.
Christine errötete. »Sind Sie mit Ihrer Inspektion fertig?« fragte sie ärgerlich. »Kann ich weitergehen?«
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht verärgern!« Der junge Mann lachte sie an. »Als unser Leon vor zwei Tagen sagte, daß wir Neuzuwachs erwarten könnten, dachten wir alle an eine Dame zwischen vierzig und fünfzig.«
»In Ausreden sind Sie wohl nie verlegen?« fragte Christine. Obwohl sie den jungen Mann für reichlich unverschämt hielt, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Er besaß ohne Zweifel einen gewissen Charme.
»Eine gute Ausrede zur rechten Zeit spart Ärger und Verlegenheit«, erwiderte der junge Mann grinsend. »Aber jetzt sollte ich mich endlich vorstellen. Ich bin Bernd Heubach.«
»Christine Walter«, stellte sich auch Christine vor und reichte ihm die Hand. »Sagen Sie, der Name Heubach kommt mir so bekannt vor…«
»Heubach Import-Export«, erklärte Bernd Heubach. »Ich bin der Junior!« Er lachte. »Allerdings habe ich nichts mit den Geschäften meines Vaters zu tun. Ich ziehe es vor, mein Leben auf angenehmere Art zu verbringen.«
»Auch ein Standpunkt.«
»Und kein schlechter.«
»Wo finde ich Herrn Robitschek?« fragte Christine.
»In seinem Büro.« Bernd wies nach rechts. »Sehen Sie den roten Anbau?«
Als Christine nickte, fuhr er fort:
»Gut, dort befindet sich Leons Büro. Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir.«
»Werde ich«, sagte Christine. »Danke für die Auskunft!«
»Wir könnten einmal zusammen essen gehen«, schlug Bernd unvermittelt vor. Christine gefiel ihm. Sie war viel natürlicher als die Mädchen und Frauen, die er bis jetzt kennengelernt hatte.
»Ich bin verheiratet und habe eine kleine Tochter«, antwortete Christine. »Sie verschwenden also Ihren Charme.«
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